Am 22. Mai veröffentlichte die LVZ online ein Interview mit Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU), in dem der seine Sicht auf die Wohnungspolitik in Sachsen darlegte. Eine Sicht, die sich kaum von der seines Vorgängers Markus Ulbig (CDU) unterscheidet. Er würde die Menschen, die sich Wohnen in der Großstadt nicht mehr leisten können, einfach in die ländlichen Gegenden mit Leerstand umlenken wollen. Es gäbe nun mal kein Recht auf Wohnen in der Großstadt. Und Wohnungsnot gäbe es in Sachsen auch nicht.

Originaltext LVZ: „Wohnrecht ist ein verfassungsmäßig geschütztes Recht – aber es gibt kein Grundrecht auf eine Sozialwohnung mitten in der City. Solange mittlere Städte wie Meißen, Großenhain, Delitzsch oder Wurzen noch größere Leerstände haben, kann man nicht von einer Wohnungsnot sprechen.“ Am 23. Mai erschien das Interview auch in der gedruckten Ausgabe der LVZ.

Im Interview behauptete er auch schlankweg: „Wir haben innerhalb der Koalition darüber intensiv diskutiert. Wichtig ist: Man darf das Ziel nicht mit dem Mittel verwechseln. Das Ziel lautet nicht sozialer Wohnungsbau – sondern es geht um bezahlbaren Wohnraum für Menschen mit niedrigen Einkommen. Dabei sind Sozialwohnungen ein Instrument, aber meines Erachtens nicht die allererste Wahl.“

Doch das ist allein die CDU-Position, die sich auch noch auf Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) beruft. Wöller: „Und das ist bei Sozialwohnungen laut einem Bericht des wissenschaftlichen Beirates des Bundesbauministeriums eben nicht zwangsläufig: Es gibt eine Fehlbelegungsquote von 23 bis 25 Prozent – das heißt, etwa jeder vierte Mieter dürfte gar nicht in einer Sozialwohnung leben.“

Am 24. Mai reagierte dann der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion Albrecht Pallas ziemlich bissig auf Wöllers Verlautbarung.

„Die von Herrn Wöller angeführte Fixierung allein auf das Wohngeld ist ein Irrweg, wenn die Mieten trotzdem weiter steigen. Wir brauchen alle Instrumente, um bezahlbares Wohnen zu gewährleisten, im gesamten Freistaat. Deshalb fordere ich den Innenminister erneut auf, eine Mietpreisbremse für Leipzig und Dresden nicht nur zu prüfen, sondern endlich anzuordnen“, sagte Pallas. Das könne dieser schnell und unbürokratisch mit einer Verordnung tun.

Aber Wöller zögert. Noch immer tut zumindest Sachsens CDU so, als könne sie mit solchen vormundschaftlichen Anweisungen den Menschen in Sachsen vorschreiben, wo sie bitteschön zu wohnen haben. Dass man seit 20 Jahren eine desaströse Demografie-Politik betreibt, die ländliche Räume regelrecht von Infrastrukturen entblößt hat, fällt ihm wahrscheinlich nicht mal ein.

„Herr Wöller will offenbar den Menschen vorschreiben, wo sie wohnen sollen, nämlich außerhalb der Ballungszentren. Wohnungsnot in den Ballungsräumen und Leerstand in Mittelstädten sowie dem ländlichen Raum sind aber nicht nur eine Frage leistbarer Mieten, sondern hängen auch unmittelbar mit der Attraktivität eines Ortes zusammen. Da müssen wir genauso ansetzen und nicht nur auf die niedrigen Mieten außerhalb der Großstädte und die zumutbaren Pendeldistanzen verweisen“, weist ihn Pallas zurecht. Und das natürlich zu Recht.

Erst mit der SPD in der Koalition war die CDU überhaupt bereit, einen kleinen Teil des vom Bund vorgesehenen Geldes für sozialen Wohnungsbau auch für sozialen Wohnungsbau zur Verfügung zu stellen. Viel zu wenig, um in Städten wie Leipzig auch nur nennenswerte Teile des benötigten preiswerten Wohnungsbaus darzustellen.

„Auch das Thema Fehlbelegung von Sozialwohnungen hilft in der Diskussion nicht weiter, wenn gleichzeitig kein bezahlbarer Wohnraum für einen Umzug vorhanden ist“, ergänzt Pallas. „Das löst nur der soziale Wohnungsbau, wie es die Bauministerkonferenz im Oktober 2018 auch bestätigt hat. Deshalb haben wir als SPD den sozialen Wohnungsbau 2017 in Sachsen eingeführt und kämpfen dafür, ihn langfristig fortzusetzen. Zukünftig muss die Wohnraumförderung auch für Haushalte mit kleinen und mittleren Einkommen geöffnet werden. Und selbstverständlich brauchen wir auch gute Instrumente für schrumpfende Städte und Regionen, gerade auch auf dem Mietermarkt und nicht nur für die Eigentumsförderung.“

Aber deftige Kritik erntet der gut versorgte Minister auch aus Leipzig. In diesem Fall von Pfarrer Andreas Dohrn, der sich mit seiner Kirchgemeinde sehr intensiv um die Frage des sozialen Wohnraums kümmert.

„Wohnungsnot ist durch die Wohnkostenbelastung definiert und nicht durch Leerstände in benachbarten Städten“, klärt er den Innenminister auf. „Im fünften Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung ist Wohnungsnot mit dem Indikator ‚Wohnkostenbelastung‘ verknüpft.“

Da kann man dann lesen: „Der Indikator gibt die Wohnkostenbelastungsquote der Haushalte an. Diese beschreibt das Verhältnis der Ausgaben für Wohnkosten zum Haushaltsnettoeinkommen (jeweils abzüglich der Sozialleistungen für das Wohnen). Das Haushaltsnettoeinkommen umfasst die Summe aller Einkommensarten ohne Steuern und Sozialversicherungsbeiträge. Der Indikator nimmt die kompletten Wohnkosten (inkl. Heizkosten und selbstnutzende Eigentümerinnen und Eigentümern) in den Blick und basiert auf Kennziffern der EU. Er gibt den Median der Wohnkostenbelastung an. Diese Belastung ist als Anteil aller das Wohnen betreffenden Kosten am verfügbaren Haushaltseinkommen definiert (Eurostat: ‚Median of the housing cost burden distribution‘). Liegt der Anteil der Wohnkosten am verfügbaren Haushaltseinkommen höher als 40 Prozent, geht man einer EU-Konvention folgend von einer Wohnkostenüberbelastung aus. Die Quote der Personen, die in derartig belasteten Haushalten lebt (Eurostat: ‚Housing cost overburden rate‘), bildet den zweiten Teil des Indikators.“

Die Hans-Böckler-Stiftung hat im März erst Zahlen für Leipzig (und 76 andere Großstädte) zur Wohnkostenbelastung vorgelegt. Auf S. 1.324 ihres Berichtes werden Zahlen von Haushalten genannt, deren Wohnkostenbelastung über 40 Prozent liegt.

11.292 Haushalte bzw. 4 % aller Haushalte zahlen 40 bis unter 45 Prozent ihres Einkommens für die Wohnung, 9.356 Haushalte (das sind 4 % aller Haushalte) zahlen 45 bis unter 55 Prozent und mehr als 55 Prozent müssen 3.423 Haushalte (das ist 1 % aller Haushalte) hinblättern.

Man kann auch die Ergebnisse der Leipziger Bürgerumfrage von 2017 zurate ziehen, wo ausgewertet wurde, welche Haushalte eigentlich dazu gezwungen sind, mehr als 30 oder 40 Prozent ihres Einkommens für die Wohnung auszugeben. Es sind – keineswegs überraschend – Leipzigs Niedriglöhnerhaushalte, die mit weniger als 1.100 Euro im Monat auskommen müssen. Wenn Wöller also fordert, die sollten sich irgendwie draußen auf dem Land eine (billigere) Wohnung suchen, fordert er ausgerechnet all jene Menschen zum Wegzug auf, die sowieso schon unter der von Sachsens Regierung geförderten Niedriglohnpolitik leiden.

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