Am Freitag, 24. Mai, gab es im Sächsischen Landtag auch eine Debatte über den Artenschutz in Sachsen. Oder besser: dessen Fehlen. Denn die Grünen-Fraktion hatte die Debatte unter dem Titel „Froschlöffel und Kratzdistel, Hochmoor-Gelbling und Wildkatze retten – die Warnung des Weltbiodiversitätsrates gilt auch für Sachsen“ nicht ganz grundlos beantragt. Die aktuelle Wahlperiode ist für den Artenschutz in Sachsen ein Totalausfall.
Und es war dann auch die regierende CDU samt ihrem Landwirtschaftsminister, deren Versagen beim Thema Umwelt-, Klima- und Artenschutz der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Wolfram Günther, sehr deutlich kritisierte.
„Was betrifft uns das in Sachsen? Man muss sich nur die Listen des Landesamtes für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie anschauen: Bei den Brutvögeln sind mehr als ein Drittel gefährdet und haben lediglich die Hälfte keinen Gefährdungsstatus. Bei den Tagfaltern sind ein Fünftel der Arten vom Aussterben bedroht und gerade mal ein Viertel ungefährdet. Bei den Lurchen haben nur ein Drittel der Arten keinen Gefährdungsstatus. Bei den Säugetieren sind 40 Prozent der Arten gefährdet, bei den Farm- und Samenpflanzen sind gerade mal ein Drittel der Arten ungefährdet“, so Günther in seiner Rede. „Man könnte diese Liste noch lange fortsetzen.“
Natürlich meldete sich auch der zuständige Landwirtschaftsminister Thomas Schmidt zu Wort: „Es gibt keinen Zweifel: Weltweit nimmt die Zahl der Tier- und Pflanzenarten ab. Das bedroht unsere Lebensgrundlagen. Die Weltgemeinschaft ist in der Pflicht, noch mehr gegen diese Entwicklung zu tun. Das gilt auch für Sachsen. Wir nehmen die Warnungen keineswegs erst seit dem Bericht des Weltbiodiversitätsrates ernst. In den letzten Jahren sind in Sachsen erste Erfolge einer langfristigen Strategie zum Erhalt der biologischen Vielfalt sichtbar. Die Gewässergüte hat sich seit den 1990er Jahren erheblich verbessert.“
Immerhin. Denn der umweltpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Jan Hippold, hatte die Feststellungen des Weltbiodiversitätsrates einfach mal als populistisch bezeichnet. Als hätte die CDU nicht gerade mit dem Youtube-Beitrag von Rezo eine deftige Diskussion über ihre Glaubwürdigkeit an der Backe. Jahrelang hat es ja irgendwie funktioniert, die Probleme kleinzureden und so zu tun, als würden große Organisationen wie der Weltbiodiversitätsrat oder der Weltklimarat nur übertreiben.
Und Thomas Schmidts Verweis auf die 1990er Jahre war einfach nur noch peinlich. Fast 30 Jahre nach der Deutschen Einheit immer noch damit zu argumentieren, das man damals die schlimmsten ökologischen Erbschaften der DDR beseitigte und die Flüsse auch deshalb sauberer wurden, weil die Industrie nun keine Gifte mehr einleiten durfte, das nennt man für gewöhnlich „Schmücken mit fremden Federn“. Dass die Flüsse im sächsischen Tiefland aber heute noch immer genauso belastet sind wie im Jahr 2000, ist ein Armutszeugnis und erzählt davon, dass die zuständigen Minister ganz und gar nicht an der Erfüllung der Wasserrahmenrichtlinie arbeiten.
Und dass einige Tierarten erst lange nach Ende der DDR ausstarben, hat nun einmal direkt mit Versäumnissen der diversen CDU-Regierungen zu tun.
„Es gibt auch eine ganze Reihe von ausgestorbenen Arten hier in Sachsen: Zum Beispiel das Auerhuhn, hier hatten wir 1997 die letzte Brut. Oder denken Sie an die Großtrappe, wir haben von ihr 1994 den letzten Nachweis. Oder auch den Großen Brachvogel, 1999 war das letzte Revier in Sachsen. Und denken Sie bei den Wirbeltieren an den Gartenschläfer, hier gab es 2006 den letzten Nachweis“, zählte Wolfram Günther auf.
„Oder denken Sie an die Pflanzenarten, die jetzt vom Artensterben bedroht sind: an die Weiß-Tanne, den Grasblättrigen Froschlöffel, das Sommer-Adonisröschen, gleich drei Eisenhut-Arten, vier Glockenblumen-Arten, 14 Seggen-Arten und viele mehr. Auch der Feldhamster und Wildkatze sind jetzt auf der Gefährdungsliste. ‚Too big to fail‘ – Wann wird der Punkt erreicht sein, bei dem wir endlich aktiv in die Artenvielfalt investieren?“
Dass sächsische Ministerien und Behörden so agieren konnten, hat natürlich auch mit der (gewollten) Schwäche der Naturschutzverbände in Sachsen zu tun. Dazu haben die Grünen ja gerade einen Antrag gestellt, die Klagerechte der Naturschutzverbände endlich deutlich zu stärken.
Denn auf die zuständigen Umweltschutzbehörden können sich Bürger dabei nicht verlassen. Die Leipziger können davon ein Lied singen.
„Die Tendenzen beim Artensterben sind dramatisch und gehen nach unten und nicht nach oben. Es geht in Sachsen auch um komplette Lebensräume, auch um europäisch geschützte Lebensräume“, stellte Günther fest. Und benannte dann das aktuellste Problem aus Leipzig: „Zum Beispiel wurde in der Harthholzaue, ein ganzer Lebensraumtyp in Leipzig, der Leipziger Auwald, mit der Fällung von tausenden Bäumen gefällt. Gesamte Lebensräume werden noch immer in Sachsen zerstört. Damit wird der Raum für Arten zerstört.“
Und wie reagiert die Staatsregierung, die wohl irgendwie die Gefahr sieht, der Leipziger Stadtrat könnte beim nächsten Mal den Mumm haben, den vorgelegten Forstwirtschaftsplan wirklich abzulehnen? Sie legt halt fest, dass Forstwirtschaftspläne nicht mehr durch die Kommunalparlamente bestätigt werden müssen. Störgeräusch beseitigt. Da können dann Behörden einfach handeln, wie ihnen gerade lustig ist. Und wenn Naturschutzverbände klagen, klagen sie sich – wie in Sachsen üblich – eben in die Insolvenz.
Das ist Sachsen.
Und Sachsens Umweltministerium schmückt sich dann mit lauter kleinen Rettungsprogrammen für einzelne bedrohte Arten, während die großen Lebensräume der Tiergemeinschaften planiert werden.
Wolfram Günther: „Wir müssen einen gemeinsamen Handlungsrahmen schaffen. Ich sage ich auch deutlich: Ja, es gab einzelne Schutzprogramme wie für das Birkhuhn im Erzgebirge, für den Schwarzstorch und für den Lachs. Aber eben kein Programm, das den Artenschutz insgesamt in den Blick nimmt. Der Weltbiodiversitätsrat hat einen dringenden Aufruf zum Handeln verfasst. Folgen wir dem als Politik endlich: Wir haben hier in Sachsen kein Erkenntnisproblem, sondern ein Handlungsproblem.“
Denn Sachsen hat ja, wie Minister Thomas Schmidt erklärte, seit zehn Jahren ein eigenes Biodiversitätsprogramm, das über zahlreiche Maßnahmen die biologische Vielfalt sichern sollte. Aber es verliert sich in lauter kleinen Maßnahmen. Das große Handlungsprogramm, mit dem wirklich die Lebensräume in Sachsen gerettet werden, gibt es nicht. Das weiß sogar Thomas Schmidt, auch wenn das in seiner Rede wieder so klang, als arbeite die Regierung schon unermüdlich, sei für all die Unermüdlichkeit nur noch nicht belohnt worden.
Die Mitteilung seines Ministeriums wurde am Ende dann etwas deutlicher: „Der Rückgang vieler Arten bedarf weiteren aktiven Handelns aller. Fehlende Strukturelemente wie Steinhaufen und Sträucher, Nutzungsänderungen von Flächen, Entwässerung und Eutrophierung haben dazu geführt, dass 56 Prozent der Biotoptypen in Sachsen und damit auch viele Pflanzen- und Tierarten, besonders bei den Insekten, gefährdet sind.“
Da kann man wirklich nicht von einer erfolgreichen Artenschutzpolitik sprechen, eher im Gegenteil.
Und zum ersten Mal gesteht Schmidt auch zu, dass die Kritiker recht haben, wenn sie ihm auch eine bislang fehlende Insektenschutzpolitik vorwerfen. Noch 2018 wollte er das Thema Insektensterben mit einem Schulterzucken abtun.
Jetzt rührt sich zumindest etwas: „Das sächsische Umweltministerium hat den Erhalt der Insektenvielfalt mit einem eigenen Handlungskonzept zum fachpolitischen Schwerpunkt gemacht. Im Mittelpunkt des Konzeptes, das Ende Juni vorgestellt werden soll, stehen insektenfreundliche Maßnahmen im Bereich der landwirtschaftlichen Flächennutzung und im Siedlungsbereich. Zudem werden spezielle Maßnahmen für den Artenschutz und den Biotopverbund und eine intensivere Zusammenarbeit mit anerkannten Naturschutzverbänden Teil des Konzeptes sein.“
Das klingt noch nicht sehr überzeugend, eher nach einem kleinlauten Eingeständnis, dass man all das die ganze Zeit nicht gemacht hat: Artenschutz, Biotopverbund und intensivere Zusammenarbeit mit anerkannten Naturschutzverbänden.
Jetzt immerhin amtlich: Das zuständige Ministerium gesteht jahrelange Untätigkeit zu.
Und es ist nicht die einzige Instanz in Sachsen, die genau so agiert hat. Oder besser: verhindert.
Wer nur auf Feldrandgespräche setzt, wird die sächsischen Insekten nicht retten
Wer nur auf Feldrandgespräche setzt, wird die sächsischen Insekten nicht retten
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