Natürlich hat das Kevin-Kühnert-Interview in der „Zeit“ auch die Frage in den Blickpunkt gerückt: Wie hat es erst so weit kommen können, dass die deutschen Großstädte derart unter Wohnraumknappheit und galoppierenden Mieten leiden? In einem Kommentar hat der Makroökonom Marcel Fratzscher ja darauf aufmerksam gemacht, dass Länder und Kommunen jahrelang nicht nur keinen Sozialwohnungsbau betrieben haben, sondern ihre Wohnungsbestände auch billig verscherbelt haben.
Seit 2006 ist die Förderung von sozialem Wohnraum auch nicht mehr Bundes-, sondern Ländersache. Doch der Blick nach Sachsen zeigt, dass es der Landesregierung bis 2015 völlig egal war, ob sich im Niedriglohnland Sachsen noch alle Lohnarbeiter eine Wohnung leisten können. Der soziale Wohnungsbau war schon Jahre vorher zum Erliegen kommen. Mit dem Ergebnis, dass um das Jahr 2015 herum gerade in den beiden großen Städten Leipzig und Dresden die alte Mietpreisbindung aus den 1990er Jahren auslief.
Die Zahl der noch offiziell mit Mietpreisbindung belegten Leipziger Wohnungen tendiert gegen Null, der Bedarf ist aber deutlich gestiegen. Die Schätzungen der Stadt schwanken zwischen 10.000 und 15.000 neuen Sozialwohnungen bis 2030. Ein Bedarf, den Leipzig schon seit 2006 hätte bearbeiten können – hätte sich Sachsens damaliger Innenminister Markus Ulbig nicht strickt geweigert, auch nur einen müden Euro aus den Bundeszuweisungen dafür bereitzustellen.
2014, als durchaus noch Spielraum gewesen wäre, bezahlbare Wohnungen (auch zu niedrigeren Baukosten) in Größenordnungen zu bauen, verteilte Markus Ulbig die vom Bund bereitgestellten 46 Millionen Euro so: 25 Millionen für Erwerb von Wohneigentum, 19 Millionen für energetische Sanierung und 2 Millionen für Mehrgenerationenwohnen. Alles Dinge, die eigentlich nicht in das soziale Wohnbauprogramm gehören. Aber Ulbig nutzte die schwammige Formulierung im Bundesgesetz aus und deckte mit den Geldern einfach landeseigene Förderziele ab.
Dass die Förderung sozialen Wohnungsbaus überhaupt erst wieder in Gang kam, hat die SPD dann in der neuen Regierungskoalition ab 2015 durchgesetzt. Seit 2018 stehen endlich wieder Gelder dafür bereit. Viel zu wenige.
Die Kommunen hatten mit 40 Millionen Euro gerechnet, mit denen man wirklich hätte nennenswert in den Wohnungsbau einsteigen können – für die beiden größten Städte zusammen. Die Grünen hatten vorgerechnet, dass eigentlich 200 Millionen Euro vonnöten wären.
Aber tatsächlich geflossen sind seit 2016 deutlich geringere Summen. Das ist das Ergebnis der Anfrage der fraktionslosen Abgeordneten Andrea Kersten, die Innenminister Roland Wöller jetzt beantwortet hat: „Der Freistaat Sachsen hat sich mit Fördermitteln aus der Richtlinie gebundener Mietwohnraum an den von der Stadt Leipzig begonnenen Sozialwohnungen in Höhe von 9.625.576 Euro und an den von der Landeshauptstadt Dresden begonnenen Sozialwohnungen in Höhe von 5.996.000 Euro beteiligt. Der Freistaat Sachsen hat mit 6.911.700 Euro aus Haushaltsmitteln der Richtlinie Integrative Quartiersentwicklung zur Gewinnung von Belegungsrechten beigetragen. Bis Jahresende 2019 sollen weitere 702.500 Euro ausgezahlt werden.“
Ein Problem bei der sächsischen Förderung ist das starre bürokratische Korsett, das das Innenministerium für die Bewilligung der Gelder geschnürt hat. Gerade einmal 35 Prozent der Baukosten werden gefördert, der am Ende zu erzielende Mietpreis aber soll bei 6,50 Euro liegen.
Eigentlich stehen Sachsen aus den Entflechtungsmitteln des Bundes jährlich rund 72 Millionen Euro für soziale Wohnraumförderung zur Verfügung. Aber davon reicht der Freistaat tatsächlich nur 40 Millionen für den Zweck der sozialen Wohnraumförderung weiter. Eben unter benannten bürokratischen Auflagen, die es den Antragstellern schwer machen, überhaupt die nötigen Bedingungen zu schaffen, um die Mittel beantragen zu können. Die Leipziger LWB etwa hat die bittere Erfahrung gemacht, dass sie für ihr erstes größeres Wohnungsbauprojekt kein Angebot erhalten konnte, das wenigstens eine Quadratmetermiete von 10 Euro ermöglicht hätte, was dann mit 35-prozentiger Förderung die besagten 6,50 Euro ergeben hätte.
Es ist erstaunlich, dass sich die Politiker jetzt über Kevin Kühnerts Thesen zur Enteignung zerfetzen und gleichzeitig das elementare Steuerungselement für einen bezahlbaren Wohnungsmarkt derart bürokratisch überfrachtet ist, dass es mitten in der Bedarfszeit so völlig versagt.
Entsprechend winzig sind dann die Zahlen in der Umsetzung. Während Leipzig also eher 1.000 bis 1.500 neue mietpreisgebundene Wohnungen pro Jahr braucht, um den Bedarf überhaupt abzufangen, werden mit den kärglichen Geldern in den Jahren 2018 und 2019 gerade einmal 253 solcher Wohnungen fertig.
Mit den Worten von Innenminister Roland Wöller: „In der Stadt Leipzig werden derzeit 253 Sozialwohnungen mit Fördermitteln aus der Richtlinie gebundener Mietwohnraum errichtet. Die Fertigstellung wird in der Zeit von Mai 2019 bis September 2020 erfolgen. In der Landeshauptstadt Dresden werden derzeit 142 Sozialwohnungen mit Fördermitteln aus der Richtlinie gebundener Mietwohnraum errichtet. Die Fertigstellung wird in der Zeit von April 2019 bis Oktober 2020 erfolgen.“
Und während die sächsische Regierung noch 2014 felsenfest davon überzeugt war, dass auch die Großstädte kein Geld für sozialen Wohnungsbau brauchen, schaffen es mittlerweile auch kleinere Städte, einen Bedarf an Sozialwohnungen anzumelden.
Wöller: „Derzeit werden in Görlitz, Hainichen und Mittweida Gebäude saniert. In Folge der Sanierung entstehen 43 Belegungsrechte an Wohnungen (Görlitz 19, Hainichen zehn, Mittweida 14) für Sozialleistungsempfänger nach Maßgabe der Richtlinie Integrative Quartiersentwicklung (vorherige Bezeichnung: Richtlinie Flüchtlingswohnungen). Die Fertigstellung der Sanierung soll bis Ende 2019 erfolgen.“
Was auch keine Überraschung ist, denn die Baupreise sind in ganz Sachsen derart angezogen, dass auch in den Landkreisen nicht mehr wirklich preiswert und für die künftigen Mieter bezahlbar gebaut und saniert werden kann. Was eben auch heißt: Das lange Zeit auch von Konservativen geschätzte Instrument des sozialen Wohnungsbaus als preisdämpfendes Element für den deutschen Wohnungsmarkt ist durch das jahrelange Versagen völlig ausgefallen. Die Deutschen haben einen völlig entfesselten Wohnungsmarkt bekommen, auf dem mietpreisgebundener Wohnraum kaum noch als Gegengewicht wirkt.
Und so wie Sachsen die Gelder ausreicht, kommt das Instrument ebenfalls nicht zur Wirkung. Dazu ist die Fördervergabe zu restriktiv, verhindernd und kaum zu erfüllen. Und sie steckt – wie gehabt – voller Misstrauen gegenüber kommunalen Bauträgern, sodass wieder nur ein Bruchteil der verfügbaren Summe ausgereicht wird und trotzdem nicht genug neue Sozialwohnungen entstehen.
Leipzig braucht nicht nur 4.400 neue Sozialwohnungen, sondern 12.000
Leipzig braucht nicht nur 4.400 neue Sozialwohnungen, sondern 12.000
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