Am Donnerstag, 11. April, debattierte der Sรคchsische Landtag รผber den Antrag der Fraktionen CDU und SPD โBezahlbares Wohnen fรผr alle โ soziale Wohnraumfรถrderung weiterentwickelnโ. Was schon verblรผffend war. Nicht die Linke oder die Grรผnen hatten die Debatte angeregt, sondern die Regierungskoalition. Die Enteignungsdebatte spielte auch eine Rolle. Aber eigentlich geht es um fehlende bezahlbare Wohnungen in den Groรstรคdten.
Aber es war natรผrlich keine รberraschung, dass sich die CDU im Rahmen der Diskussion (hier das Video der Debatte zum Nachschauen [Anmerkung: das Video unter war ursprรผnglich unter https://www.landtag.sachsen.de/de/aktuelles/videoarchiv/sitzung/1317/4?page=1 abrufbar]) gegen mรถgliche Enteignungen von Wohnungsbestรคnden, wie sie gerade in Berlin diskutiert werden, verwahrte.
โDie CDU stellt sich gegen grรผne und linke Enteignungsfantasien! Durch Enteignung von Wohnungsunternehmen entsteht keine einzige neue Wohnung. Sie mรผssen gebaut werden. Aber die Enteignungsรผberlegungen sorgen dafรผr, dass potentielle Investoren verschreckt werden. Es ist ein fatales Signal in den Wohnungsmarkt zur Unzeit!โ, sagte der wohnungspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Oliver Fritzsche.
โIn Sachsen finden wir angespannte Wohnungsmรคrkte in Leipzig und Dresden und in einigen Gemeinden des unmittelbaren Speckgรผrtels der Metropolen. Und auch dort vorrangig in bestimmten Lagen und Grรถรen. Keine Frage: Die Mieten sind gestiegen, aber mit Blick auf den gesamten Freistaat auf ein moderates Niveau. Der Verband Sรคchsischer Wohnungsgenossenschaften (VSWG) hat in seiner aktuellen Untersuchung zur Bezahlbarkeit des Wohnens in Sachsen klar ermittelt, dass im Freistaat kein Mietenproblem sondern wenn, ein Einkommensproblem vorliegt.โ
Eine Feststellung, die schon verblรผfft. So weit hat sich Sachsens CDU bisher noch nicht vorgewagt, was die Einkommenssituation in Sachsen betrifft. Nur bedeutet das eben auch, dass sich viele Sachsen die gestiegenen Mieten nicht leisten kรถnnen. Und so richtig funktioniert das Ausweichen in die umliegenden Landkreise dann eben auch nicht.
Auch wenn der CDU-Wohnungspolitiker betont: โDer lรคndliche Raum kann einen wichtigen Beitrag zur Entlastung der groรen Stรคdte leisten! Deshalb ist es fรผr uns als CDU besonders wichtig, soziale Wohnraumfรถrderung nicht verengt auf die groรen Stรคdte zu betrachten. Mit Augenmaร fรถrdern wir den Sozialwohnungsbau in Leipzig und Dresden und wir unterstรผtzen die Eigentumsbildung und den Erhalt sowie Umbau, insbesondere den altersgerechten Umbau von Wohneigentum im lรคndlichen Raum.โ
Nachdem endlich wieder ein bisschen sozialer Wohnungsbau in Sachsen gefรถrdert wird, gibt es seit diesem Jahr auch die Richtlinie zur Fรถrderung des Wohneigentums im lรคndlichen Raum, betonte Fritzsche. Dafรผr wรผrde ein staatlich gefรถrdertes Darlehen fรผr die Schaffung, Erweiterung oder Sanierung von selbstgenutztem Wohneigentum im lรคndlichen Raum ausgereicht. Hierfรผr stehen 40 Millionen Euro bereit, die insbesondere fรผr junge Familien attraktive Lebensperspektiven im lรคndlichen Raum erรถffnen sollen und fรผr diejenigen, welche dort verwurzelt sind, die Mรถglichkeit geben zum Erhalt des Eigentums.
SPD fordert Mietpreisbremse in Leipzig und Dresden
Ganz anders klingt die Sache, wenn der kleine Koalitionspartner SPD dazu Stellung nimmt. Der SPD-Politiker Albrecht Pallas hat die Forderung der SPD nach bezahlbarem Wohnraum, gerade auch in den Groรstรคdten, erneuert. In der aktuellen Debatte sagte er am Donnerstag im Landtag: โBezahlbares Wohnen ist eine der entscheidenden sozialen Fragen unserer Zeit. Jeder hat das Recht, angemessen und sicher zu wohnen โ das schlieรt auch die Wohnkosten mit ein. Die SPD will, dass die Menschen in Sachsen kรผnftig nicht mehr als ein Drittel ihres Nettoeinkommens fรผr die Warmmiete aufbringen mรผssen. Deshalb fordere ich den sรคchsischen Innenminister erneut auf, in Leipzig und Dresden endlich die Mietpreisbremse anzuordnen. Das kann er schnell und unbรผrokratisch mit einer Verordnung tun.โ
Albrecht Pallas erinnerte in der Debatte auch daran, dass Sachsen ein Mieterland ist โ mit einer Eigentumsquote von gerade einmal 33 Prozent. In den Groรstรคdten ist das Verhรคltnis noch deutlicher. In Leipzig zum Beispiel wohnen 87 Prozent der Einwohner zur Miete. Fรผr sie sind steigende Mieten ein brennendes Thema.
Dazu Pallas: โIn den drei sรคchsischen Groรstรคdten sind die Wohnungen knapp, es werden nicht genรผgend neue Wohnungen schnell genug gebaut. Wir als SPD werden die Zweckentfremdung und die Spekulation mit Wohnimmobilien nicht lรคnger akzeptieren. Wenn unsere bisherigen wohnungspolitischen Bemรผhungen, etwa beim sozialen Wohnungsbau, dabei nicht ausreichen, mรผssen baurechtliche Optionen wie Bebauungsverpflichtungen auf leeren Grundstรผcken genutzt werden. Als absolut letztes Mittel sind Enteignungen nach dem deutschen Recht mรถglichโ, so Pallas abschlieรend.
Und dann betonte er noch, dass in der Koalition die SPD den sozialen Wohnungsbau รผberhaupt erst wieder eingefรผhrt hat. Vorher hatte Sachsen jahrelang รผberhaupt kein Fรถrderprogramm fรผr sozialen Wohnungsbau. Seit 2017 stehen dafรผr jรคhrlich 40 Millionen Euro bereit, ab 2020 sind sogar 50 Millionen Euro dafรผr vorgesehen. Dieses Geld wurde in den Vorjahren durch die Wohnungswirtschaft nicht vollstรคndig abgerufen, erinnert Pallas. Immer mehr Sรคchsinnen und Sachsen mรผssten aber inzwischen mehr als 30 Prozent bis hin zur Hรคlfte ihres Einkommens fรผr die Wohnkosten aufbringen. Das betrรคfe vor allem Alleinverdiener-Haushalte oder solche mit kleinem und mittleren Einkommen, Alleinerziehende, Auszubildende und Rentner/-innen. Somit ist Wohnen mittlerweile fรผr viele ein erhebliches Armutsrisiko.
Linke fordert: Den Mieterinnen und Mietern helfen, nicht den Spekulanten!
Enrico Stange, Sprecher der Linksfraktion fรผr Bauen und Wohnen, nahm dann auch kein Blatt vor den Mund: โDas zentrale Problem verschรคrft sich massiv: Die finanzielle Leistungsfรคhigkeit vieler Mieterinnen und Mieter und die Mietpreisentwicklung klaffen auseinander, vor allem im Bereich der Angebotsmieten. Das liegt insbesondere in Dresden und Leipzig einerseits am massiven jahrelangen Zuzug und andererseits daran, dass die Schere zwischen den unteren und mittleren sowie den hรถheren Einkommen weiter aufgeht. Weil zu wenige Wohnungen gebaut werden und zu wenig sozialer Wohnraum รผbrig geblieben ist, verteuern sich alle Mietsegmente.โ
Aus seiner Sicht mรผsse das Mietpreisniveau begrenzt und die finanzielle Leistungsfรคhigkeit der Mieterinnen und Mieter erhรถht werden.
โDazu mรผssen die Angemessenheitsgrenzen fรผr die โKosten der Unterkunftโ angehoben werden. Damit die soziale Wohnraumfรถrderung besser wird, mรผssen die Einkommensgrenzen in der Sรคchsischen Einkommensgrenzen-Verordnung angehoben werden. Das hilft vor allem Familien mit niedrigen und mittleren Einkommen sowie Alleinerziehendenโ, so Stange. โZudem ist der Neubau von Wohnungen zu fรถrdern, die vor allem fรผr Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen bezahlbar sind. Dieser Neubau muss in den Groรstรคdten, den Stรคdten und Gemeinden des direkten Umlands und auch in anderen Stรคdten erfolgen.โ
Und Andrรฉ Schollbach, Sprecher fรผr Kommunalpolitik, fรผgt hinzu: โZehntausende demonstrieren gegen explodierende Mieten โ weil sie sich sorgen, ob sie sich ihre Wohnungen noch leisten kรถnnen. Ihre Sorgen sind berechtigt, denn internationale Spekulanten spielen Monopoly mit ihren Wohnungen. Die Mietentwicklung verschรคrft die soziale Ungleichheit โ wegen zu hoher Mieten bleibt inzwischen รผber einer Million Haushalte in Deutschland weniger zum Leben als bei Hartz IV-Bezug. Laut der Staatsregierung sind 700.000 Menschen in Sachsen arm โ aber auch Durchschnittsverdienenden treibt die Wohnungsfrage die Sorgenfalten auf die Stirn. Ich habe kein Verstรคndnis dafรผr, dass sich die CDU-SPD-Landesregierung weigert, fรผr Dresden und Leipzig die Mietpreisbremse einzufรผhren. Der Wohnungsmarkt darf nicht den Privatinvestoren und Immobilienhaien รผberlassen bleiben. Bezahlbare Mieten statt fetter Renditen! Der Staat muss gewรคhrleisten, dass alle eine bezahlbare Wohnung finden kรถnnen. Dazu muss er nรถtigenfalls auch zum Mittel der Enteignung greifen, wie er das im Dienste des Kohleabbaus oder des Braunkohleabbaus bereits tut.โ
Enteignung? Das ist doch in Sachsen lรคngst Usus
Als in Berlin die Initiative zur Enteignung groรer Immobilienkonzerne gestartet wurde, gab es ja bekanntlich den groรen Aufschrei bei FDP und Union. Sie griffen dabei gleich mal zur โSozialismusโ-Keule, obwohl Enteignungen nicht nur im Grundgesetz als machbar festgeschrieben sind, sondern fรผr viele Menschen in Deutschland Realitรคt sind.
Worauf Wolfram Gรผnther, Fraktionsvorsitzender der Grรผnen, dann dezidiert zu sprechen kam.
โWir reden bei der Enteignung nicht รผber irgendetwas Neues. Ich bin seit 2004 zugelassener Rechtsanwalt und einige meiner Brรถtchen habe ich damit verdient, dass ich Landwirte vertreten habe, die auch in Sachsen enteignet werden sollten. Das waren nicht die Grรผnen, die enteignen wollten. Vielleicht dient das der Versachlichung der Emotionen hier im Haus zu diesem Thema. Das ist Alltag in Deutschlandโ, sagte Gรผnther in seiner Landtagsrede. โUm einem Mythos vorzubeugen: Unser Bundesvorsitzender Robert Habeck hat gesagt: Wenn Brachen in groรen Stรคdten nicht bebaut werden, dann kann man รผber Enteignungen nachdenken. Das gibt ja der Paragraph 85 des Baugesetzbuches seit 1960 vor.โ
Nur suchten auch Stรคdte wie Leipzig eben nicht den Weg der Enteignung, sondern genau das, was Unionspolitiker immer fordern: die Zusammenarbeit mit privaten Investoren, die die zumeist riesigen Filetstรผcke im Stadtinneren besitzen. Das Ergebnis ist aber zumindest durchwachsen, denn die Vereinbarungen, bis tatsรคchlich belastbare Masterplรคne vorliegen, dauern Jahre. Und auch dann gibt es nur einen kleinen Anteil an gefรถrdertem Wohnungsbau. Das entspannt die Lage in den Groรstรคdten natรผrlich nicht.
โWenn wir heute รผber die Mietenfrage reden: Ja โ die Frage nach bezahlbaren Wohnungen hat sich in den groรen Stรคdten zu der sozialen Frage unserer Zeit entwickelt. Wir beschรคftigen uns damit wiederholt, weil es auf dem Wohnungsmarkt eine unglaubliche Dynamik gegeben hat. Etwa in der Stadt Leipzig seit 2013: Der Mietpreis steigt seitdem um รผber 25 Prozent, dort ist man inzwischen bei 7,30 Euro pro Quadratmeter. Aktuelle Zahlen aus Dresden, da ist man inzwischen im Schnitt bei 7,60 Euro. Selbst Mieten von รผber 12 Euro pro Quadratmeter sind nicht mehr ganz unnormal. Da gibt es enorme Verschiebungenโ, sagte Gรผnther in seiner Rede.
โWenn wir รผber die Attraktivitรคt unseres Landes reden: Die Leuchtturmpolitik in Sachsen ist ja keine Erfindung der Grรผnen, sondern von Ihnen von der CDU. Wenn Sie Leuchttรผrme entwickeln, in die immer mehr Menschen ziehen, dann es ist nicht unnormal, dass der Wohnungsmarkt in Probleme gerรคt. Wir werden das Mietenproblem in Leipzig und Dresden nicht in Coswig lรถsen kรถnnen!โ
Und es geht eben nicht nur ums Bauen. Ohne Fรถrdergelder bekommt man heute keinen Wohnungsbau mehr, der dann auch fรผr Normalverdiener bezahlbare Mieten ergibt.
Wolfram Gรผnther: โWenn wir darรผber reden, was wir im sozialen Wohnungsbau tun kรถnnen, dann gibt es eben nicht den einen Baustein. Natรผrlich muss man in den sozialen Wohnungsbau Geld hineinpumpen. Ich kann Sie nur daran erinnern: Der Bund gibt รผber 140 Millionen fรผr den sozialen Wohnungsbau, er erwartet, dass wir als Freistaat das verdoppeln. Sie von der Koalition geben nur 40 Millionen Euro in den sozialen Wohnungsbau. Wir wollen 200 Millionen Euro in den sozialen Wohnungsbau stecken, damit man 5.000 neue Wohnungen jรคhrlich bauen kann.โ
Und dann ging er auch noch auf die โverschwindendenโ Sozialwohnungen in Sachsen ein: โWir haben immer gesagt: Man muss die Mietpreisbindung รผber die 15 Jahre hinaus verlรคngern auf 25 Jahre. Man muss verstรคrkt in kooperative Wohnformen investieren, fรผr Bauprojekte Geld bereitstellen. Wir brauchen eine Mietpreisbremse, die immer noch nicht in Sachsen gilt. Wir brauchen endlich ein aktives Flรคchenmanagement, nicht nur eine kommunales Flรคchenmanagement, sondern auch des Freistaates. Das alles passiert bisher nicht.โ
Leipzig braucht nicht nur 4.400 neue Sozialwohnungen, sondern 12.000
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