LEIPZIGER ZEITUNG/Auszug Ausg. 65Die letzten Rüben kamen am 7. Dezember 2001. Dann wurde die Zuckerfabrik Delitzsch nach 112 Jahren Betriebszeit stillgelegt. Eine glorreiche Epoche in der Geschichte der sächsischen Kleinstadt bei Leipzig endete, ein schmutziges Kapitel sollte bald beginnen. Und es ist noch nicht zu Ende.
Die Heizkessel der alten Zuckerfabrik im Südwesten von Delitzsch ruhten nur für elf Monate. Im November 2002 wurden sie wieder hochgefahren. Statt mit Kohle wurde nun mit Altholz gefeuert. Statt in die Zuckerproduktion floss die erzeugte Energie ins öffentliche Stromnetz. „Unserer Umwelt zuliebe“, wie der neue Betreiber, die BKD Biokraftwerk Delitzsch GmbH, auf einem Firmenschild warb. Doch die umfunktionierten Verbrennungsöfen stießen nicht überall auf Gegenliebe.
Größter Widersacher war und ist der Bürgerverein „Sauberes Delitzscher Land“. Dessen Vorsitzender, der Bauer Dietmar Mieth, bezweifelte von Beginn an, dass man mit dieser Verbrennungsanlage der Umwelt einen Gefallen tut. Neueste Rechercheergebnisse, die der Verein Anfang März 2019 auf seiner Internetseite pro-demokratie.com veröffentlicht hat und die wir überprüft haben, zeigen, dass die Zweifel mehr als berechtigt waren. Die Recherchen führen hinter die grün angestrichene Kulisse des Betriebs und decken dabei erschreckende Zustände auf. Sie münden schließlich in einen ungeheuren Verdacht: Dass die Bevölkerung von Delitzsch über Jahre hinweg einer Giftschleuder ausgesetzt war.
Toxisches Erbe
Das Biomassekraftwerk ist zwar seit mittlerweile fast drei Jahren dicht. Es hat den Menschen in Delitzsch aber offenbar ein toxisches Erbe hinterlassen. Mehrere Proben, die der Bürgerverein um Bauer Mieth nach eigener Aussage an verschiedenen Stellen auf dem Betriebsgelände genommen hat und in einem Fachlabor untersuchen ließ, weisen durchgehend extrem hohe Belastungen mit Schwermetallen, insbesondere mit dem Nervengift Blei aus. „Durch Wind und Regen können die Schadstoffe in die Umwelt gelangen, in Gärten und Wohngebiete“, warnt Mieth.
Besorgniserregend ist noch eine andere Entdeckung: In der Filtertechnik des Kraftwerks, die durch einen teilweisen Abriss heute offenliegt, stießen Mieth und seine Mitstreiter bei ihren Probenahmen auf sehr hohe Konzentrationen hochgiftiger Dioxine und Furane. Diese Stoffe, die als unerwünschte Nebenprodukte vor allem bei industriellen Feuerungsprozessen entstehen, sind krebserregend. Ihre Konzentration ist abhängig vom Material, das verbrannt wird und von der Verbrennungstemperatur. 400 bis 600 Grad sind der kritische Bereich. Bei 1.000 Grad werden sie wieder zerstört.
Die Heizkessel in Delitzsch konnten bis zu 850 Grad erreichen. Der Bürgerverein sieht in seinem Fund den Beleg dafür, dass das Biomassekraftwerk jahrelang Gift in die Luft geschleudert hat.
Die Recherche des Bürgervereins fußt auf zwei Fundamenten. Das eine sind die Proben. Das andere Fundament besteht aus brisanten Dokumenten, die der Verein zusammengetragen und nun ebenfalls veröffentlicht hat. Diese Unterlagen, die ursprünglich von Polizei, Behörden und Firmen stammen, untermalen auf teils erschreckende Weise das Bild von der Giftschleuder.
Der erste Verdacht auf Gift über Delitzsch reicht ins Jahr 2011 zurück. Damals häuften sich bei der zuständigen Umweltbehörde im Landkreis Nordsachsen Beschwerden von Bürgern über den Gestank, der von der Anlage ausging. Darüber hinaus fiel bei mindestens einer Emissionsmessung im Kraftwerk „die Schadstoffkomponente Dioxine/Furane“ durch hohe Werte auf. Die Konzentration überstieg den gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwert um ungefähr das Doppelte. Das geht aus dem Überwachungsprotokoll der Umweltbehörde vom 17. November 2011 hervor.
Unklar bleibt, ob es auch schon früher zu Überschreitungen gekommen war. Was auch daran liegen könnte, dass dies nicht wie in der Genehmigung der Anlage vorgesehen kontrolliert wurde. Unter „Mängelbewertung“ protokollierte die Behörde, dass der Anlagenbetreiber in der Vergangenheit keine Messberichte vorgelegt hat. Das Biomassekraftwerk war zu diesem Zeitpunkt bereits seit neun Jahren in Betrieb.
Was wurde wirklich in Delitzsch verbrannt?
Auch bei der Entsorgung von Stäuben und Aschen gab es damals Probleme. Vor ihrer Endlagerung im ehemaligen Kali-Bergwerk in Bleicherode, Thüringen, wurden die Verbrennungsrückstände auf Dioxine und Furane analysiert. Auch hier zeigte sich „eine ungewöhnlich hohe Belastung“, wie ein Entsorger in einer E-Mail an die Betriebsleitung in Delitzsch schrieb. Und weiter wunderte er sich: „Dies ist erstaunlich, da entsprechend der Prozessbeschreibung nur Altholz der Kategorie A I und A II in der Anlage eingesetzt wird.“ Diese Aussage verbunden mit den von verschiedenen Akteuren festgestellten Dioxin-Belastungen führen unweigerlich zu der Frage: Was wurde wirklich in Delitzsch verbrannt? Erlaubt war nur naturbelassenes bis wenig behandeltes Holz der Klassen A I und A II.
Zu all den Ungereimtheiten kam Ende 2011 die Pleite der Betreiberfirma BKD. Die GOAZ GmbH aus Berlin übernahm das Biomassekraftwerk und das Unheil nahm weiter seinen Lauf. Rost- und Kesselaschen, die im Verbrennungsofen anfielen, wurden nicht mehr ordnungsgemäß entsorgt, sondern einfach auf dem Betriebsgelände abgelagert. Die Umweltbehörde ordnete zwar die Beseitigung an, den Betrieb der Anlage stoppte sie aber nicht. Die Verbrennung lief weiter und auch der illegale Ascheberg wuchs und wuchs und wuchs – auf 21.500 Tonnen. Noch heute erhebt sich diese schwarze – laut Proben des Bürgervereins mit Blei und Cadmium belastete – Masse über das Gelände.
Die neuen Betreiber vernachlässigten nicht nur die Entsorgung der Asche, sondern auch die Pflege der Anlagen-Technik. Wieder kam es zu Beschwerden. Dieses Mal von Streifenpolizisten, die am Abend des 7. Juni 2015 in einem Wohngebiet in Delitzsch eine „erhebliche Geruchsbelästigung“ feststellten. Sie sahen eine beigefarbene Rauchsäule vom Schornstein des Biomassekraftwerks in ihre Richtung ziehen. Daraufhin fuhren sie zum Werk, trafen dort aber niemanden an.
Der Gestank hielt sich über Stunden. All das lässt sich in dem Einsatzbericht der Polizisten nachlesen, den sie an die Umweltbehörde übermittelten – „mit der Bitte um Einleitung geeigneter Maßnahmen“. In diesem Bericht steht auch: „Es war nicht die erste Feststellung dieser Art, verursacht durch dieses Biomassekraftwerk.“
Trotz ihres maroden Zustandes wurde die Anlage weiter betrieben
Die alarmierten Umweltkontrolleure rückten am nächsten Morgen im Kraftwerk ein. Es muss ein denkwürdiger Besuch gewesen sein. Was sie davon in ihrem Überwachungsbericht festhielten, liest sich wie eine Bankrotterklärung – vor allem für die Kontrolleure und ihre Behörde. Dem Bericht nach waren wesentliche Teile der Anlage, die dem Schutz von Mensch und Umwelt dienen sollten, bereits seit Längerem defekt.
Wortwörtlich heißt es beispielsweise: „Die Messgerätetechnik für die kontinuierlichen Emissionsmessungen sei nach Betreiberaussage seit etwa 1 bis 1,5 Jahren zumeist funktionsuntüchtig gewesen.“ Wenn, wie unter anderem die Proben des Bürgervereins befürchten lassen, Dioxine, Furane und andere Gifte in die Luft gelangten, dann fiel es nicht mehr auf. Konnte mangels funktionierender Messtechnik nicht auffallen.
Trotz ihres maroden Zustandes durfte die Anlage weiter betrieben, durfte weiter verfeuert werden. 2015 wechselte noch einmal der Betreiber. Von der Berliner Firma GOAZ zur Knock on Wood GmbH. Erst mit der Insolvenz dieses Unternehmens im Frühsommer 2016 war Schluss. Seitdem stehen die Kessel wieder still und das schmutzige Kapitel drohte in Vergessenheit zu geraten. Es gab zwar mehrere Strafanzeigen.
Doch die zuständige Staatsanwaltschaft aus Leipzig stellte ihre Ermittlungen ein – auch die gegen die Umweltbehörde im Landkreis Nordsachsen. Die will im Übrigen am ehemaligen Kraftwerksstandort „keine unmittelbare Gefahr für Mensch und Umwelt“ festgestellt haben. Die Rechercheergebnisse des Bürgervereins „Sauberes Delitzscher Land“ widersprechen dieser Einschätzung vehement.
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