Was ist nur mit den Grünen los? Seit geraumer Zeit wundern sich ja vor allem die großen Zeitungen darüber, dass die Grünen sogar im Osten bei allen Wahlprognosen zulegen. 9 Prozent sind laut INSA in Sachsen möglich. Und nicht nur in Sachsen wird in diesem Jahr der Landtag neu gewählt, auch in Brandenburg. Dort vermeldet Forsa für die Grünen sogar mögliche 12 Prozent, genauso wie INSA in Thüringen.
In allen drei Bundesländern stehen Landtagswahlen vor der Tür.
„Die eigentliche Überraschung besteht darin, dass sich die Grünen und der Osten so nahe scheinen wie noch nie seit dem Fall der Mauer. Die Grünen stellen sich für die Europawahl auf und treten auf die Euphoriebremse“, schreibt zum Beispiel die „Frankfurter Rundschau“.
„Die Partei bzw. deren führende Repräsentanten geben sich erkennbar Mühe, den Wählern entgegenzukommen. Die Ost-Kompetenz ist da. Parteichefin Annalena Baerbock wohnt in Potsdam. Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt wurde in Gotha geboren, der Politische Bundesgeschäftsführer Michael Kellner in Gera.“
Kann man machen. Kann man vermuten. Es ist die übliche Interpretationsweise, wie westdeutsche Medien seit Jahren Politik verkaufen und glauben, verstehen zu können. Und bestimmt ist es ein Aspekt, nach dem man versuchen kann, politische Entwicklungen zu verstehen. Aber nur ein Teil. So, wie auch die Wahlumfragen nur ein Teil des Versuches sind, die Wähler und ihre Wahlmotive zu verstehen.
Ob die zentralen Punkte, mit denen die Grünen Wahlkampf machen, so spezifisch ost-typisch sind, darf man bezweifeln. Und man bezweifelt es spätestens, wenn man mit Robert Habeck selbst gesprochen hat, der nicht so ganz zufällig zum Grünen-Vorsitzenden wurde. Denn er versteht Politik – was bei vielen anderen Politikern längst aus der Wahrnehmung verschwunden zu sein scheint – als Lösungsmodell für die Dinge, die den Menschen wirklich das Leben schwer machen.
Dass sich die Grünen beim „Thema Flüchtlingspolitik“ auffällig zurückhalten, wie die FR schreibt, hat viel weniger mit dem Geschrei und der Panikmache der politischen Gegenspieler zu tun als mit der Tatsache, dass das nun wirklich nicht das größte Problem der Menschen in Deutschland ist. Auch nicht in Ostdeutschland, wo das ewige Lied vom Sündenbock von rechten und rechtsradikalen Parteien ja bis zum Abwinken gesungen wird – eine nervende Melodie.
Als solle dieser Film genauso enden wie „Once upon a time in west“. Als wäre der deutsche Osten der Wilde Westen und Politik müsse zwingend auf einen großen, mörderischen Showdown hinauslaufen. Irgendwie können die Cowboys der Politik nicht anders. Bei ihnen ist Politik ein riesiges Kampf- und Prügelfeld.
Und weil sich so viele eher liberale Parteien auf dasselbe krautige Feld von Politik-Shooting eingelassen haben, fiel natürlich auf, dass die Grünen einfach in Habeck-Manier mit realer Politik weitermachten. Was auch deshalb auffiel, weil die ganze Republik seit 2005 wie betoniert wirkt, eingemauert in lauter falsche Versprechen, eine falsche Alternativlosigkeit und eine Schwarze-Null-Politik, die für viele Wahlbürger mittlerweile wie Geiselhaft und Erpressung wirkt.
Was man zwar auch bei der SPD weiß. Aber es war ja frisch zu beobachten, wie der durchaus reale Unmut der Basis mit dem Thema „Hartz IV“ postwendend von einer betonierten Parteispitze abgebügelt wurde.
Dass sich das ausgerechnet in einer Zeit in mögliche Punktgewinne der Grünen bei Wahlen ummünzt, in der die Gesellschaft zu zerreißen droht, überrascht freilich. Denn das bedeutet, dass die Grünen tatsächlich durchdringen mit ihren Botschaften. Dass ihre ein wenig unterkühlte Realpolitik tatsächlich als belastbare Alternative zum Westernhelden-Jargon der Rechtsradikalen wahrgenommen wird. Trotzdem versuchen natürlich auch die sächsischen Grünen zu verstehen, wie es kommt, nachdem kurzzeitig alle Umfragen wieder auf ein Abrutschen unter die so wichtige 5-Prozent-Marke hindeuteten.
„Unsere steigenden Umfragewerte bestätigen unseren konsequenten Kurs: Mit klarer Haltung für ein weltoffenes, ökologisches und gerechteres Sachsen. Es ist für uns deshalb an der Zeit, bei der Landtagswahl erstmals ein zweistelliges Ergebnis in Angriff zu nehmen“, versuchen Christin Melcher und Norman Volger, die Landesvorstandssprecher/-innen der Grünen in Sachsen, die Entwicklung zu erklären. Wobei sie beide selbst für diese Entwicklung stehen. Das muss hier angemerkt werden.
„Die Menschen haben erkannt, dass die politische Landschaft im Umbruch ist und dass es Parteien braucht, die bereit sind, Verantwortung zu tragen. Wir Grüne stellen uns dieser politischen Verantwortung, gerade weil wir für einen demokratischen Wettstreit der Ideen und eine widerstandsfähige Demokratie kämpfen. Mit Zuversicht und Tatendrang starten wir in das entscheidende Wahljahr 2019.“
Da rutschte es wieder in das übliche Politiker-Sprech ab, was schade ist.
Denn honoriert wird augenscheinlich vom sächsischen Wähler auch der Wechsel an der Grünen-Spitze im Landesverband. „Kämpferisch“ hatte sich in dem Sinne eher der vorherige Landessprecher Jürgen Kasek gezeigt – und damit zwar für jede Menge Streit und Diskussion gesorgt, aber auch für ein gewisses Gefühl des Überdrehens. Als müssten nun auch die Grünen mit Feuerköpfen in einen eh schon überhitzten Wahlkampf ziehen.
Melcher und Volger stehen für den nüchternen Politikstil der Grünen in Sachsen. Und sie kommen nicht zufällig aus Leipzig mit dem stärksten Grünen-Kreisverband in Sachsen. Und die Leipziger Grünen wachsen, wie kurz darauf Matthias Jobke, Sprecher des Grünen-Kreisverbandes in Leipzig meldete.
Im Jahr 2018 erhöhte sich die Mitgliederzahl der Grünen in Leipzig von 450 auf 612 Mitglieder. Das stelle einen neuen Mitgliederrekord dar, noch nie in der Geschichte des Kreisverbandes sei die Mitgliedschaft so stark innerhalb eines Jahres gewachsen, noch nie gab es so viele Grüne-Mitglieder in Leipzig.
Matthias Jobke: „2019 wird mit der Kommunal-, Europa- und Landtagswahl ein Superwahljahr. Wir freuen uns über den starken Rückenwind durch die vielen Neumitglieder und sind zuversichtlich, dass der positive Trend auch in diesem Jahr anhalten wird. So können wir voller Energie in die Wahlkämpfe gehen und auf großartige Ergebnisse für uns Grüne hoffen!“
Das Aufkommen der AfD und ihre rabiate Art Politik zu machen, hat bundesweit dazu geführt, dass vor allem junge Leute begannen, sich wieder für Politik zu interessieren und in Parteien einzutreten. Dass die Grünen davon profitieren, hat auch mit einem Thema zu tun, das kaum eine Partei auf dem Tableau hat: dem spürbaren Auseinanderdriften zunehmend abgehängter ländlicher Regionen und dem Boom der Großstädte, wo die Baufirmen gar nicht hinterherkommen, neue Wohnungen zu bauen.
Die modernen Arbeitsplätze entstehen in den Großstädten, die Hochschulen sind hier, hier siedeln sich die modernen, fast alles IT-basierten Unternehmen an. Die Lebens- und Arbeitswelten der Großstädter und der Landbewohner driften immer weiter auseinander, ebenso die der jüngeren Gutausgebildeten und die der Älteren und Alten. Und damit auch die Erwartungen an Politik.
Im Kleinen ist es auch in Sachsen so – die politischen Landschaften in den drei Großstädten unterscheiden sich immer stärker von denen im ländlichen Raum. Während in den Großstädten die CDU darum bangt, ihre Direktmandate an Linke und Grüne zu verlieren, droht in den ländlichen Regionen dieser Verlust an AfD und Freie Wähler.
In gewisser Weise ähnelt Sachsen damit Bayern, und hier wie dort haben die alten Dauerregierungsparteien ihr Gefühl dafür verloren, was da auseinanderdriftet. Und Rezepte, beides zu verbinden, haben sie auch beide nicht. Sie haben beim Thema „Flüchtlingspolitik“ beide aufs falsche Pferd gesetzt und eher zur Radikalisierung der Gesellschaft beigetragen, als zum Konsens.
Übrigens bis in die Kommunalparlamente hinein. Auch das merken Wähler. Nur goutieren nicht alle Wähler diesen Krawall, schon gar nicht die schrille Hysterie dahinter, als wären diese enthemmten Politiker nicht in der Lage, das politisch Machbare in aller Ruhe zu tun.
Die Sehnsucht der Wähler nach einer verständlichen, ruhigen und sachgerechten Tagespolitik ist unübersehbar.
Es gibt 2 Kommentare
Nun ja, wenn der Artikel in dem Sinne geschrieben wäre, wie er endete, dann wäre vielleicht ein realistisches Bild heraus gekommen.
Die Grünen haben, wenn überhaupt, halb so viel Stimmen wie die AfD. Deren Wachstum ist deutlich …. größer.
Bei den Grünen ist es ansonsten wie bei jeder anderen Partei – man komme um Gottes Willen nicht mit einem konkreten Problem. Dann wird geschwiegen, auf Zuständigkeiten verwiesen oder es kommt Politikersprech.
Meine Vermutung: Kann es nicht auch sein, dass Menschen die ein “besseres Leben” wollen und nichts mit “links” und “rechts” zu tun haben wollen oder dort nichts erwarten, ihre Stimme dann auf die einzige Möglichkeit, die Grünen geben?