Zumindest in einigen Fraktionen des Sächsischen Landtages ist so ein wenig Verständnis für die Erwerbstätigen in Sachsen entstanden, die sich irgendwie versuchen als Selbstständige durchzuschlagen. Sie tauchen ja nicht nur in der Armutsstatistik des Freistaats auf, sondern auch in der Statistik der Krankenkassen, die sich hinter den Kulissen gar nicht mehr darüber wundern, dass Kleinstunternehmer in Sachsen die überzogenen Beiträge nach Weststandard nicht zahlen können.
Denn wenn mit einem Kleingewerbe in Sachsen nicht mal ein auskömmlicher Lebensunterhalt verdient werden kann, bleibt für mehrere hundert Euro Krankenversicherung kein Euro mehr übrig. Trotzdem besteht Krankenversicherungspflicht, auch wenn die in Deutschland nicht so heißt, sondern „obligatorische Anschlussversicherung“.
Es gibt zwei Ursachen, aus denen die Betroffenen dann zu Schuldnern ihrer Krankenkasse werden, selbst dann, wenn sie die Kassenleistung nicht ein einziges Mal in Anspruch genommen haben: Entweder fürchten sie sich schon vor der Diskussion mit der Kasse über die Höhe der Beiträge – und etliche Berater beherrschen tatsächlich die Kunst, ihre Mitglieder mit Beitragssätzen zu erschrecken, die geradezu als zwingend und unabdingbar dargestellt werden, selbst dann, wenn sie in keinem realen Verhältnis zum Einkommen stehen.
Gerade dann brauchen die Betroffenen im Grunde Beratung – und wenn sie diese nicht finden, verweigern sich augenscheinlich viele dem quälenden Kampf mit der Bürokratie und zahlen lieber gar nicht. Mit dem Risiko, dass die auflaufenden (viel zu hohen) Versicherungsbeiträge irgendwann per Gerichtsvollzieher und Kontensperrung versucht werden einzutreiben. Denn in deutschen Ämtern ist es ja so: Gerade bei denen, die von der Hand in den Mund leben, vermuten misstrauische Gesetzgeber in der Regel lauter verheimlichte Konten und Guthaben. Da genügt meist nicht mal der Steuernachweis der Finanzämter.
Wenn dann selbst die Gerichtsvollzieher feststellen müssen, dass bei den Betroffenen nichts, wirklich nichts zu holen ist, werden die aufgelaufenen Beträge dann oft aus Kulanzgründen (zum Teil) erlassen.
Aber es sind nicht nur die zuweilen utopischen Beitragssätze, die die Betroffenen nicht zahlen können. Eine Gruppe ist oft schon qua Einkommen gar nicht in der Lage, dieselben Sätze wie ein gut verdienender Anwalt oder Architekt zu zahlen.
„Eine weitere Gruppe an Mitgliedern mit Beitragsrückständen sind die freiwillig versicherten hauptberuflich Selbständigen“, erläutert Sachsens Sozialministerin Barbara Klepsch (CDU) auf Anfrage der sozialpolitischen Sprecherin der Linksfraktion im Landtag, Susanne Schaper.
„Im Rahmen dieser freiwilligen Mitgliedschaften entstehen Beitragsschulden dahingehend, dass die tatsächlichen Einnahmen des Mitgliedes unterhalb der für den Beitrag heranzuziehenden (höheren) Mindestbemessungsgrenze für diesen Personenkreis liegen und die Mitglieder diese dann ermittelten hohen Beiträge nicht erwirtschaften und zahlen können.“
Das ist nicht neu. So oder ähnlich hat sie selbst schon früher geantwortet. Selbst auf Bundesebene ist das Thema bekannt, auch wenn sich die sperrigen Koalitionen bzw. die überforderten Gesundheitsminister einfach nicht aufraffen können, dieses Problem endlich zu lösen, obwohl bekannt ist, dass es in allen Bundesländern Selbstständige gibt, die nicht genug verdienen, um die hoch angesetzten Beiträge zu zahlen. Und die immer wieder in dieselbe Falle laufen – zwar nie eine Leistung der Kassen in Anspruch zu nehmen, trotzdem aber mit den obligatorisch angesetzten Versicherungssätzen binnen weniger Jahre in eine unbezahlbare Überschuldung zu geraten.
Was tun?
Zumindest über die AOK, wo viele derer dann obligatorisch versichert sind, die in anderen Kassen nicht mehr angenommen werden, bekommt die sächsische Staatsregierung Zahlen über den Umgang mit diesem Problem. Und da es selbst der AOK nichts nützt, wenn die Beitragsschuldner einfach ins Gefängnis wandern, bloß weil sie das Geld wirklich nicht haben, werden die aufgelaufenen Beitragsschulden (oder ein Teil derselben) einiger hundert Betroffener jedes Jahr aus der Bilanz gestrichen.
2015 betraf es 840 Fälle in Sachsen und Thüringen, 2016 dann 868 Fälle und 2017 dann 766 Fälle. Erlassen wurden jeweils 1,9 Millionen Euro, 1,4 und 1,6 Millionen Euro. Pro Kopf wurden also im Schnitt 2.000 Euro erlassen, also etwas weniger als ein Jahresbeitrag. Ob die Fälle damit geklärt waren, erfährt Susanne Schaper natürlich nicht. Aber es gehört bestimmt zu den „Anreizen“, die viele Kleinstunternehmer in Sachsen dazu bringen, ihr Gewerbe lieber abzumelden und sich irgendwo zu verdingen.
Redaktioneller Nachtrag / Anmerkung zum Beitrag
Zurecht wurden wir in der sozialen Netzwerken darauf hingewiesen, dass es mit dem Jahr 2019 eine Neuregelung der sogenannten „Beitragsmindestbemessung“ in Deutschland für Selbstständige gab. Somit beträgt nun die neue Untergrenze nicht mehr 2.283,50 Euro, sondern nunmehr analog zum nicht pfändbaren Existenzminimum 1.038,33 Euro. Bei diesen Angaben handelt es sich um sogenannte monatliche Bruttogewinne, demnach sind alle Angaben vor Abgaben und Steuern und stellen nicht das Einkommen (nach Abzug derselben) wie bei Angestellten dar.
Je nach Kasse und Alter der Versicherten wurde mit der Neuregelung für Selbstständige der Mindestbetrag auf 150 bis etwa 180 Euro abgesenkt, welche nun von den 1.083,33 zu erbringen sind. Da es in unserem Beitrag hier um die AOK Sachsen / Thüringen und deren Erlassungen von nicht einbringbaren Verschuldungen bei Selbstständigen geht, ist anzumerken, dass ein von Grünen du Linken beantragter Schuldenerlass für bereits verschuldete Beitragszahler in der Neuregelung von der Regierungsmehrheit abgelehnt wurde. Ebenfalls nicht erwogen wurden flexiblere Unter- und Obergrenzen.
Inwieweit also die Neuregelung zu einer nachhaltigen Verbesserung der Situation, also zur Wiederversicherung der betroffenen Selbstständigen beiträgt, hängt nunmehr – wie schon in der Vergangenheit – vom Kulanzverhalten der einzelnen Kassen ab. Einen Antrag dazu kann jeder Selbstständige unter Nachweis seiner realen Einkünfte bei seiner Kasse stellen.
Bereits vor der Neuregelung gab es verkappte “Sozialtarife” bei vielen Kassen für Selbstständige, bei welchen in der Praxis mit verminderten Arbeitsstundenzahlen gerechnet wurde, um den Beitrag zu senken. Für prekär agierende Selbstständige, wie es sie in Leipzig und Sachsen häufig gibt, hat sich demnach wenig geändert. Informationen zur Neuregelung finden sich hier.
Sachsens Regierung interessiert sich nicht wirklich für Kleinunternehmen und Selbstständige
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Etwas komplizierter ist es schon. Was mit der Wahl der Rechtsform beginnt. Richtig kompliziert wird es, wenn sich wegen bestehenden Mangels an Kapital Mehrere zu einer wie auch immer rechtlich gestalteten Unternehmung zusammenschließen.
Andererseits gehört zu einer Unternehmensgründung auch ein finanzielles Konzept. Wer dort die Versicherungsbeiträge unterschlägt, dem kann kein Bedauern oder Mitleid gewiss sein. Dessen Planung ist von vornherein zum Scheitern verurteilt. Ich weiß nicht, warum die Allgemeinheit diese Verantwortungslosigkeit tragen soll?
Warum gibt es so viele “selbständige” Transportunternehmer, die von ihrer Arbeit nicht leben können?
Die KK argumentieren, daß es nicht ihr Job sei, eine Unternehmensgründung mitzufinanzieren. Das lasse das SGB V gar nicht zu.
Der Gesetzgeber, also die seit 16 Jahren regierenden Spezialdemokraten, abwechselnd mit Grünen und CDU, haben die entsprechenden Regelungen des SGB erlassen. (Wohlgemerkt neben der Entsolidarisierung durch Einfrieren der Arbeitgeberbeiträge) Die KK können sich über gesetzlich festgelegte Einkommensuntergrenzen nicht einfach hinwegsetzen. Sie beraten dann zu Teilzahlungen und/oder Stundungen. Was natürlich Schwachsinn ist, denn die Einnahmen erhöhen sich nicht.
Daß es genügend unqualifizierte Mitarbeiter der KK gibt, die sich in den rechtlichen Regelungen einer Selbständigkeit (bis hin zu GmbH, AG, Dienstverträgen, Steuerrecht) übrigens genau so, wie die Mitarbeiter des Arbeitsamtes (mir kommt das Wort Agentur nicht über die Lippen) überhaupt nicht auskennen, erschwert es zusätzlich.
Fakt ist aber, daß die Verantwortung beim Gesetzgeber liegt. Der wie immer Arbeit statt Kapital belastet. Hier nicht nur im Wortsinn, denn die meisten betroffenen “Selbständigen”, die oft genug scheinselbständig sind, erwirtschaften ihren Lebensunterhalt durch Arbeit. Eigene Arbeit, wohlgemerkt.