Am 14. Dezember debattierte der Sächsische Landtag nicht nur über den Wald, sondern auch über „Armut per Gesetz“. Die Linksfraktion hatte den Prioritätenantrag „Hartz IV abschaffen – sanktionsfreie Grundsicherung einführen!“ (Drucksache 6/15521) gestellt. Immerhin diskutiert ja die SPD mittlerweile über die Abschaffung von „Hartz IV“ und eine ehrlichere Grundsicherung für Arbeitslose. Aber wirklich streitbar zeigten sich nach der Debatte eher Linke und Grüne.
Susanne Schaper, Sprecherin für Sozial- und Gesundheitspolitik der Linksfraktion, hatte ja schon vorher zum „Paritätischen Armutsbericht 2018“ Stellung bezogen. Danach lebten noch nie seit 1990 mehr Menschen in Deutschland in Armut.
„Hartz IV ist einer der Hauptgründe. Es kann jeden treffen – denn prinzipiell können wir alle beruflich aus dem Tritt kommen und am Ende in Hartz IV fallen. Derzeit sind in Sachsen etwa 330.000 Menschen von Hartz IV betroffen. Davon arbeiten über 71.000, mehr als 37.000 sogar sozialversicherungspflichtig. Bei ihnen kommt die gute Konjunktur nicht an. Laut der Arbeitsagentur leben mehr als 90.000 Kinder in ‚Bedarfsgemeinschaften‘. Ihre Wünsche, seien sie noch so bescheiden, wird der Weihnachtsmann auch in diesem Jahr kaum erfüllen können“, stellt die Linken-Abgeordnete fest.
„Die SPD diskutiert nun im Abwärtsstrudel über Hartz IV, lässt aber keine klare Linie erkennen. Unsere Ansicht ist seit Jahren klar: Hartz IV muss weg. Deshalb beantragen wir im Landtag, dass Sachsens Staatsregierung im Bundesrat für die Abschaffung von Hartz IV streiten soll. Bis dahin sollen wenigstens die Sanktionen ausgesetzt werden, die viele Betroffene unter das Existenzminimum drücken.“
In Sachsen waren 2017 fast 9.000 Haushalte von Sanktionen betroffen, darunter über 2.300 Haushalte mit Kindern.
„Die Regelsätze müssen endlich realistisch berechnet werden. Es ist höchste Zeit, den Armutsmotor Hartz IV abzustellen. Hartz IV muss durch eine sanktionsfreie Grundsicherung ersetzt werden, die zuverlässig vor Armut schützt“, betont Schaper. „Wir wollen nicht, dass ein Jobverlust den Fall ins Bodenlose bedeutet. Menschen sollen darauf vertrauen können, dass ein soziales Netz sie auffängt. Sie sollen für die Jobsuche motiviert, nicht bestraft und als ‚faul‘ stigmatisiert werden. Alle Menschen in Deutschland, die in eine soziale Notlage geraten, sollen weiter am normalen Leben teilnehmen können.
Dazu gehören nicht nur ein voller Bauch und ein Dach über dem Kopf. Dazu gehört auch, dass man gelegentlich ins Kino oder ins Erlebnisbad gehen kann, dass die Kinder Klassenfahrten unternehmen oder Freunde zum Geburtstag besuchen können, ohne sich schämen zu müssen. Kaum ein anderes Gesetz hat die Gesellschaft derart tief gespalten. Dabei sind es nicht die Hartz-IV-Betroffenen, die diese Gesellschaft um Milliarden betrügen. Das zeigen zum Beispiel der Skandal um ‚Cum-Ex‘ und ähnliche Geschäfte von Steuerflüchtlingen.“
Und genauso deutlich wurde Volkmar Zschocke, der für die Grünen ans Rednerpult ging.
„Hartz IV bedeutet für viele Menschen Demütigung, Demotivation und Degradierung. Hartz IV löst Ängste aus und vergiftet das Klima zwischen den Menschen“, sagte er und ging dann auch auf die Beteiligung der Grünen an der „Hartz IV“-Gesetzgebung unter Gerhard Schröder ein.
„Die oft geäußerte Unterstellung, wir Grünen würden unsere Mitverantwortung an der Agenda 2010 nicht kritisch aufarbeiten, ist schlichtweg falsch. Seit vielen Jahren bringen wir regelmäßig Anträge in den Bundestag ein, um dieses entwürdigende System zu reformieren, die Regelsätze anzuheben und die Sanktionen zu beenden“, betonte Zschocke.
„Wir werden den Antrag der Linken unterstützen. Er bleibt allerdings die Antwort schuldig, wie eine sanktionsfreie Grundsicherung konkret aussehen und finanziert werden soll. Diese Frage müssen wir aber beantworten. Denn ein Beschluss des Sächsischen Landtages, das bestehende Hartz-IV-System unverzüglich abzuschaffen, bringt den Betroffenen nichts und auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Jobcentern nichts. Denn auch für sie ist es demotivierend, Menschen zu sanktionieren und eine Flut von Widersprüchen bearbeiten zu müssen. Sie würden ihre Zeit und Kraft viel lieber dafür einsetzen, Menschen zu ermutigen, sie dabei zu unterstützen, neue Perspektiven zu entwickeln.“
Hartz IV abzuschaffen und zu dem System davor zurückzugehen, wäre aus seiner Sicht grundfalsch.
„Ich habe als Sozialarbeiter in diesem alten System der Sozialhilfe gearbeitet. Auch damals fielen Menschen durchs Netz, wurden hart sanktioniert oder weit bis in das Existenzminimum hinein gekürzt. Es geht kein Weg zurück. Der Weg in die Zukunft führt über ein neues Grundsicherungssystem, das dem rasanten Wandel der Arbeitswelt, der Armutsentwicklung und den Veränderungen von Familie und Lebensmodellen gerecht wird. Wir brauchen eine Garantiesicherung, die Menschen davor bewahrt, in Würdelosigkeit zu fallen. Zentrale Elemente von einem neuen Garantiesystem sind nach unseren Vorstellungen
- Anreize statt Bestrafung – der Arbeitszwang entfällt.
- Die Grundsicherung wird auf der Grundlage eines geprüften Bedarfes bedingungslos gewährt.
- Die Regelsätze werden angehoben.
- Zuverdienstgrenzen und Schonvermögen werden deutlich angehoben, damit Menschen von ihrer Arbeit wirklich profitieren.
- Alle existenzsichernden Leistungen werden in einem System gebündelt, nicht mehr einzeln beantragt und bewilligt. Viel Bürokratie entfällt dadurch.
Diese Weiterentwicklung ist längst überfällig. Der Wandel der Arbeitswelt betrifft bereits jetzt viele Berufsgruppen. Viele Arbeitsfelder haben sich durch die Digitalisierung bereits verändert. Prekäre Arbeitsbedingungen weiten sich immer mehr aus. Statt die Angst vor der Arbeitslosigkeit, sozialem Abstieg und Ausgrenzung weiter zu verstärken und Menschen in irgendeine Arbeit oder Maßnahme zu zwingen, braucht es Anreize für Weiterbildung oder berufliche Neuorientierung. Es braucht garantierte, passgenaue Qualifizierungsangebote und das Recht, ein Angebot ablehnen zu können.“
Dass Menschen unter das Existenzminimum gedrückt werden, findet Zschocke inakzeptabel.
„Die Garantiesicherung muss zudem eine echte Existenzsicherung sein. Dafür braucht es ein klares, ehrliches Verfahren für die Berechnung des soziokulturellen Existenzminimums. Das gilt auch für Kinder. Deshalb kämpfen wir seit Jahren für eine Kindergrundsicherung“, sagte Zschocke.
„Menschen, die einer Erwerbsarbeit nachgehen, müssen spürbar bessergestellt werden. Wer heute so wenig verdient, dass er mit Hartz IV aufstocken muss, bekommt 80 bis 100 Prozent des selbst verdienten Geldes auf Hartz IV angerechnet. Das ist das Gegenteil von einem Anreiz. Und wenn der Zwang zur Arbeit abgeschafft ist, wird das zu Verbesserungen auf dem Arbeitsmarkt führen. Heute schlecht bezahlte Jobs müssten dann zwangsläufig attraktiver bezahlt werden.“
Und dann noch zur CDU gewandt: „Wir ignorieren die enormen Probleme des derzeitigen Hartz IV-Systems nicht, wie es die CDU tut. Wir wollen nicht nur an den Problemen herumdoktern, wie die SPD, sondern das System grundsätzlich neu aufstellen. Und wir rufen nicht einfach nur nach dem Ende von Hartz IV, sondern haben konkrete, durchgerechnete Vorstellungen, was darauf folgen soll.“
Wer sind denn eigentlich die 13,7 Millionen Armen in Deutschland?
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