Mit ihrer Forderung, den ostdeutschen Kohleländern in den nächsten 30 Jahren 60 Milliarden Euro für den Strukturwandel zur Verfügung zu stellen, haben es die Ministerpräsidenten von Sachsen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt tatsächlich fertig gebracht, die Arbeit der Kohlekommission im letzten Moment auszubremsen. Die Zahl fand auch Dr. Jana Pinka irre. Sie fragte nach – und sieht sich in ihrem Verdacht bestätigt.
„Sachsens Staatsregierung fordert gemeinsam mit den Ländern Sachsen-Anhalt und Brandenburg bis zu 60 Milliarden Euro vom Bund für die Bewältigung des Strukturwandels in den ostdeutschen Braunkohleregionen. Ich wollte wissen, auf welchen Konzepten, Studien oder Fachgutachten diese Forderung basiert. Das aber verschweigt Kretschmers Regierung dem Landtag und der Öffentlichkeit“, kommentiert Dr. Jana Pinka, Sprecherin der Linksfraktion für Umweltpolitik und Ressourcenwirtschaft, die Antwort auf ihre Kleine Anfrage „Grundlage der Forderungen durch die Staatsregierung für den Braunkohleausstieg“ (Drucksache 6/15425).
Oliver Schenk, Chef der Sächsischen Staatskanzlei, hat ihr geantwortet und eigentlich nur auf das Positionspapier der drei Ministerpräsidenten verwiesen.
Das aber zeigt eher auf, dass sich Sachsens Regierungsspitze noch nie einen Kopf darüber gemacht hat, was ein Strukturwandel in der Kohlelandschaft tatsächlich kosten würde und wofür das Geld eigentlich gebraucht wird. Die 60 Milliarden sind eine reine Windnummer.
„Aus dem Positionspapier der drei Ministerpräsidenten spricht vor allem Unverschämtheit, die wohl eher nicht zu einer günstigen Verhandlungsposition gegenüber dem Bund führen wird“, sagt Pinka. „Kretschmer, Haseloff und Woidke dringen unterm Strich darauf, die Braunkohleverstromung ‚bis Mitte der 2040-er‘ Jahre aufrechtzuerhalten.“
In dem Papier heißt es: „Eine vorzeitige, politisch gewollte Stilllegung von Kraftwerken und Tagebauen in Ostdeutschland käme – unbeschadet von Entschädigungsansprüchen der Bergbauunternehmen – für die ostdeutschen Braunkohleländer nur dann in Betracht, wenn vorher neue, gleichwertige Arbeitsplätze entstanden sind.“
Übersetzt heiße das, so Pinka: „Der Kohleausstieg und damit der Strukturwandel sollen erst beginnen, wenn der Strukturwandel abgeschlossen ist. Das ist offensichtlicher Unsinn und ein Kotau vor den Kohleunternehmen.“
Der Gipfel sei aber die Forderung, der Bund möge sicherstellen, „dass die Länder nicht für die Kosten der bergrechtlichen Wiedernutzbarmachung einzustehen haben und sie damit keine Haftung für Wiedernutzbarmachung und Folgeschäden eines bundespolitisch auferlegten Braunkohleausstiegs übernehmen.“
„Kretschmers Regierung, allen voran Wirtschaftsminister Dulig, ignorieren seit Jahren unsere ständigen Mahnungen, insolvenzfeste Sicherheitsleistungen von den Kohleunternehmen für die sächsischen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler zu sichern. Jetzt vom Bund zu erwarten, dass er sich kümmert, ist eine Bankrotterklärung für die sächsische Regierung. Der Braunkohleausstieg wird überdies nicht von der Bundesregierung auferlegt, sondern vom gesunden Menschenverstand“, sagt Pinka.
„Der Freistaat muss endlich seinen Teil dazu beitragen, den Weg ins saubere Energiezeitalter zu finden. Das ist aber weder allein mit schnellem Internet zu schaffen noch mit neuen Straßen. Denn die entwickeln sich, wenn sich die Landesregierung weiter nur auf andere verlässt, allenfalls zu neuen Strecken für Pendler und Abwanderung.“
Im Positionspapier wird zumindest angedeutet, wie sich die drei Landesregierungen die 60 Milliarden Euro zusammengebastelt haben.
Die Passage lautet: „Die bei einem Braunkohleausstieg wegfallende Wertschöpfung beläuft sich auf rund 2,4 Mrd. Euro p.a. für die ostdeutschen Braunkohlereviere. Der Erwirtschaftung dieser Wertschöpfung liegt in etwa eine doppelt so hohe Nachfrage zugrunde. Für Investitionen in Arbeitsplätze, substituierte Kraftwerksleistung sowie Maßnahmen für die Strukturentwicklung bewegen sich Kosten von 2 Milliarden € pro Jahr für einen Zeitraum von 30 Jahren eher am unteren Rand.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass in den ostdeutschen Revieren ein forcierter Ausbau der Verkehrsinfrastruktur ohnehin nötig und speziell in der Lausitz mehr als überfällig ist. Die entsprechenden Maßnahmen müssen ohne Anrechnung auf diesen Plafonds finanziert werden.“
Die 2,4 Milliarden Euro sind in etwa das Bruttoinlandsprodukt der gesamten sächsischen Energiesparte von 2015.
Was LEAG und MIBRAG tatsächlich erwirtschafteten, liegt deutlich darunter: Für die LEAG in der Lausitz sind 593 Millionen Euro (2017) Umsatz im Gespräch, für die MIBRAG im mitteldeutschen Raum 426,5 Millionen (2014). Die beiden Kohlereviere sind also eher weit davon entfernt, eine Bruttowertschöpfung wie von den Ministerpräsidenten geschätzt zu erreichen.
Und die rechnerische Wertschöpfung hat nichts mit notwendigen Investitionskosten für einen Strukturwandel zu tun. Denn in der Wertschöpfung stecken ja auch Löhne, Gehälter, die Kosten der Kohleförderung und des Betriebs der Kraftwerke. Das alles ist kein Gewinn. Und wirklichen Gewinn weisen die bekannten Bilanzen auch nicht aus.
Die Ministerpräsidenten tun einfach so, als müsste der komplette Betrieb von Tagebauen und Kraftwerken über 30 Jahre durch Bundesförderung ersetzt werden. Was schlicht wirtschaftlicher Unfug ist. Denn tatsächlich muss punktuell und einmalig in Infrastrukturen wie Straße, Netze und Gleise und in möglicherweise neue geförderte Unternehmen investiert werden.
Welche das sind, wissen aber die drei Ministerpräsidenten nicht einmal, weil sie ja bis 2042 Kohle verfeuern wollen und erst dann in den Strukturwandel einsteigen möchten. Was ziemlich sinnlos ist, denn die alternativen Unternehmen, die – je nach Schätzung – 2.000 oder 8.000 Beschäftigte aus dem Bergbau und den abhängigen Bereichen aufnehmen sollen, müssen vorher entstehen.
Selbst wenn man annimmt, dass solche gezielten Investitionen über 6 Milliarden Euro kosten, wäre das eine ordentliche Stange Geld, die von Investoren, die bei wirklich zukunftsfähigen Branchen immer einsteigen, ganz bestimmt ergänzt werden würde. Die 60 Milliarden erzählen nur von drei völlig überforderten Ministerpräsidenten, die sich nicht vorstellen können, dass eine wegfallende Bergbaubranche durch andere Wirtschaftszweige komplett ersetzt werden könnte.
Mit einer falschen Ausstiegszahl versucht der Ministerpräsident, seine Kohlepolitik zu begründen
Mit einer falschen Ausstiegszahl versucht der Ministerpräsident, seine Kohlepolitik zu begründen
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