Während Sachsens Verkehrsminister Martin Dulig (SPD) am Donnerstag, 1. November, für seinen Entschluss, eine Landesverkehrsgesellschaft zu gründen, Watschen von fast allen Parteien kassierte, gab es am Freitag zwei durchaus zustimmende Stimmen. Denn nicht erst Martin Dulig ist ja mit dem Versuch gescheitert, die Interessen der Landräte in einem geamtsächsischen Nahverkehr zusammenzubringen. Sachsen war schon vorher ein unregierbares Land.
Das ist jetzt zugespitzt, gehört aber zur Analyse dessen, was wir seit einigen Jahren als Landespolitik erleben. Völlig unsinnigerweise hat Sachsens Regierung schon in den 1990er Jahren innerhalb des Freistaats eine Art kleinen Föderalismus eingeführt. Man gängelt zwar Landkreise und Großstädte mit strikter Haushaltskontrolle und knappen Mittelzuweisungen.
Aber zur Beruhigung der damals noch wie Kleinfürsten agierenden Landräte verschaffte man ihnen kleine Königreiche, in denen sie ihren Wunsch zum Gestalten ausleben konnten. Das betrifft nicht nur den Nahverkehr und den Schienenpersonennahverkehr, sondern auch Dinge wie die Sparkassen und die Abfallzweckverbände.
Das Ergebnis waren schon damals etliche Entscheidungen, die einen ratlos machten und die – aufgrund ihrer Kleinteiligkeit – bis heute Zusatzkosten produzieren, während sich die Serviceangebote für die Bürger schleichend verschlechterten.
Und dass das Scheitern von Duligs ÖPNV-Strategie schon in der Arbeit der ÖPNV-Kommission, die er einberufen hatte, angelegt war, bringt jetzt Holger Zastrow, Landesvorsitzender der sächsischen FDP, auf den Punkt.
„Das Ziehen der Notbremse durch Martin Dulig ist ein Eingeständnis des Scheiterns der bisherigen ÖPNV-Strategie der Koalition und der bisherigen Arbeit des Verkehrsministers. Sowohl die Arbeit der ÖPNV-Strategiekommission als auch die Gespräche mit den Verkehrsverbünden haben sich als zeitaufwendiger Irrweg erwiesen. Es ist allerdings fraglich, wie jetzt in kurzer Zeit alle Fragen der komplexen Aufgabenübertragung für die Verkehrsorganisation von der kommunalen Ebene auf die Landesebene gelöst werden sollen“, meint Zastrow.
Aber die Idee hinter Duligs Vorstoß unterstützt er: „In der Sache unterstützen wir den Ansatz, die kleinteiligste Nahverkehrsstruktur in ganz Deutschland zu überwinden und mindestens für den Schienenpersonennahverkehr ein Angebot für ganz Sachsen aus einer Hand zu schaffen. Wenn selbst die Landräte von Bautzen und Görlitz über Jahre nicht in der Lage sind, das zersplitterte Tarifsystem innerhalb eines Landkreises im Interesse der Fahrgäste zu vereinheitlichen, zeigt dies die Problematik in der Zusammenarbeit verschiedener Verkehrszweckverbände.
Für einen attraktiven ÖPNV in Sachsen brauchen wir eine kundenfreundliche Tarifstruktur, attraktive Taktzeiten, eine einfache digitale Ticketbuchung und gute Abstimmungen zwischen den Fahrplänen von Eisenbahn, Bus und Straßenbahn. Wenn eine Landesverkehrsgesellschaft dafür eine bessere Lösung als bisher findet, ist sie einer zersplitterten ÖPNV-Organisation auf kommunaler Ebene vorzuziehen.“
Und natürlich bekommt Dulig auch Unterstützung von jenem Verband, der seit Jahren schon gegen diese unsinnige Kleinteiligkeit im sächsischen Nahverkehr kämpft.
Der Fahrgastverband PRO BAHN begrüßt die Pläne des sächsischen Verkehrsministers Martin Dulig, die Zuständigkeit für den Nahverkehr auf eine zentrale Landesnahverkehrsgesellschaft zu übertragen. Dadurch kann das Kirchturmdenken der Zweckverbände durchbrochen und endlich ein integriertes Angebot für Bahn und Bus im gesamten Freistaat geschaffen werden.
Die Ankündigung des sächsischen Verkehrsministers ist für den Fahrgastverband ein historischer Paukenschlag. Der Freistaat kehrt von seinem alles ausbremsenden Sonderweg ab. Kein anderes Bundesland hat die Zuständigkeit für den Schienenpersonennahverkehr (SPNV) auf ganze fünf Aufgabenträger verteilt. Dadurch entstanden aus Fahrgastsicht viele unnötige Schnittstellen. Oft denken die Zweckverbände nicht über die eigenen Grenzen hinaus.
„Den RE 50 zwischen Leipzig und Dresden missbrauchen die Zweckverbände auf beiden Seiten als S-Bahn. 16 Zwischenhalte! Das hat mit Express nichts mehr zu tun“, stellt Ronny Hausdorf, Vorsitzender des Fahrgastverbands PRO BAHN Mitteldeutschland fest.
Auch ein anderes Ärgernis wird angegangen: Es wurde angekündigt, dass eine Zweckbindung für die zur SPNV-Bestellung genutzten Regionalisierungsmittel eingeführt wird. Das ist wichtig, da bisher ein zu großer Teil der Mittel für andere Zwecke umfunktioniert wurde.
„Wenn man die Zweckbindung konsequent umsetzt, kann man eine deutliche Ausweitung des Angebots realisieren – besonders in der Fläche – und stillgelegte Strecken wiederbeleben“, zeigt sich die stellvertretende Landesvorsitzende Anja Schmotz hoffnungsvoll.
Auch bundesweit sei dies positiv zu werten. Länderübergreifende Linien nach Sachsen, z.B. von Hof nach Dresden, mussten bisher mit vier Aufgabenträgern abgesprochen werden. In Bayern war die BEG beteiligt, in Sachsen der Zweckverband ÖPNV Vogtland (ZVV), der Zweckverband Verkehrsverbund Mittelsachsen (ZVMS) und der Zweckverband Verkehrsverbund Oberelbe (ZVOE). Dadurch gab es immer wieder Schwierigkeiten.
„Auch bei den Plänen für den Deutschland-Takt mussten wir bisher immer mit fünf Zweckverbänden reden, die sich teilweise widersprachen. Damit könnte bald Schluss sein“, hofft Lukas Iffländer, stellvertretender Bundesvorsitzender des Fahrgastverbands PRO BAHN und Repräsentant im Arbeitskreis Deutschland-Takt des Zukunftsbündnis Schiene. Wichtig ist für die Fahrgastvertreter jetzt aber besonders eines: „Das darf keine leere Ankündigung im beginnenden Wahlkampf sein, sondern muss auch umgesetzt werden.“
Dulig steht also unter Zugzwang. Und eigentlich hat er nur noch ein halbes Jahr, seine Pläne umzusetzen. Dann sind schon wieder Wahlen. Den Gegenwind haben die Parteien im Landtag ja schon hörbar gemacht.
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