Die sächsische Kohlepolitik wird immer irrealer. Statt die Strukturkommission als Chance zu begreifen, mit Bundeshilfe den Strukturwandel im sächsischen Kohlerevier tatsächlich in Gang zu kriegen und somit eine belastbare Planungsperspektive zu schaffen, setzte sich Ministerpräsident Michael Kretschmer am Dienstag, 27. November, vor die Presse und erzählte augenscheinlich Dinge, die mit der Realität wenig zu tun haben. Was nicht nur Dr. Jana Pinka seltsam vorkam.
Dr. Jana Pinka ist umweltpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Sächsischen Landtag und wunderte sich über Kretschmers seltsame Aussagen zur Laufzeit der Rahmenbetriebspläne. Als gäbe es da irgendwo Geheimdokumente, die den Tagebaubetreibern Laufzeiten bis weit übers Jahr 2040 garantieren, aus denen man sie quasi auskaufen müsste, wenn der Bund nun beschließt, dass die Kohlekraftwerke früher ausgeschaltet werden.
„Unklar ist, was MP Kretschmer damit meint, dass die ‚Tagebaue auf der Grundlage der geltenden Rahmenbetriebspläne zu Ende geführt‘ werden“, findet Jana Pinka. Und zählt dann auf: „Nicht genehmigt und gar noch nicht einmal beantragt ist bspw. die Erweiterung Teilfeld Mühlrose aus dem LEAG-Revierkonzept vom 30.03.2017. Das heute veröffentlichte Rückstellungsgutachten der Länder Sachsen und Brandenburg zeigt: genehmigte Laufzeiten in Jänschwalde: bis 2019, in Welzow: bis 2023, in Nochten: bis 2026, in Reichwalde: bis 2032. Längere Abbaggerung ist gegenwärtig nicht genehmigt.“
Sie vermutet etwas anderes hinter dem Taktieren des Ministerpräsidenten – nämlich genau die Frage nach den Sicherstellungen für die Renaturierung der Landschaft, wenn der Kohlebergbau ausläuft. Sachsen hat sich bislang vehement gesträubt, diese Sicherstellungen von den Bergbaubetreibern zu verlangen.
Was Jana Pinka in dem Verdacht bestätigt, dass es diese fehlenden Sicherstellungen sind, die Michael Kretschmer jetzt dazu bringen, die Arbeit der Kohlekommission mit aller Macht auszubremsen.
„Kretschmers Ausführungen, dass eine klimabedingt-vorzeitige Beendigung der Tagebaue diese unwirtschaftlich machen würde, zeigt schmerzlich, dass die für die Wiedernutzbarmachung der Landschaftsschäden angesammelten Gelder noch lange nicht zusammengespart sind und erst noch erwirtschaftet werden müssen. Dies kann nur gelingen, wenn die Energiewende ausfällt und die EPH-Töchter LEAG und MIBRAG lange weiter unbehelligt mit Gewinn wirtschaften“, zieht sie ihren Schluss aus Kretschmers Verhalten.
„Tatsächlich sollte Politik dafür sorgen, dass die Unternehmen ihre Tagebaue geordnet zu Ende führen – Beschäftigte und alle anderen in der Region brauchen Planungssicherheit; Laufzeiten bis nach 2040 sind jedoch keinesfalls akzeptabel und waren auch nie genehmigt. Das Bundesberggesetz sieht ausnahmslos vor, dass verursachte Schäden behoben werden müssen, der Bergbautreibende kann nicht argumentieren, dass er erst länger baggern muss, um das erforderliche Geld zusammenzubekommen.“
Ganz so weit geht Dr. Gerd Lippold, der energiewirtschaftliche Sprecher der Grünen-Fraktion, nicht.
Für ihn ist Kretschmers Agieren eher der verzweifelte Versuch, an einer seit Jahren geübten falschen CDU-Energiepolitik festzuhalten und dabei das Gesicht nicht zu verlieren.
„Die sächsische Staatsregierung hatte mit Absicht in der Vergangenheit keinerlei eigenen Plan für einen schrittweisen Kohleausstieg und begleitenden Strukturwandelförderung entwickelt. Was man nicht plane, könne auch nicht stattfinden, war offenbar die Meinung“, stellt Lippold fest.
„Jetzt will er in der Kommission mitarbeiten. Ich sehe darin den Versuch, die Entscheidungen für den Kohleausstieg vor der Landtagswahl und in dieser Wahlperiode des Bundestages zu blockieren. Es ist ein altbekannter Trick handlungsunwilliger oder inkompetenter Manager, Entscheidungsvorlagen samt der Ersteller mit dem Ruf: ‚Ich brauche konkretere Informationen!‘ zwecks Zeitgewinn vom Tisch zu fegen und zurück in die Schleife zu schicken. Wenn es wie beim Klimaschutz jedoch um äußerst zeitkritisches und bereits rechtlich verbindliches Handeln zur Sicherung der Lebensgrundlagen künftiger Generationen geht, verbietet sich jegliches Taktieren für einen Zeitgewinn.“
Aber nur: Für wen?
Hat nicht doch Jana Pinka recht? Ist Kretschmers Agieren nun der Versuch, fatale falsche Regierungsentscheidungen und mangelnde Wirtschaftskompetenz für das 21. Jahrhundert zu kaschieren?
„Auf dem Rücken des Klimaschutzes und kommender Generationen macht MP Kretschmer so weiter für die Gewinne der Kohleverstromung Politik, während er sich als Anwalt des Ostens gibt und u. a. die Uralt-BAB 16-Pläne aus der Mottenkiste holt und damit noch mehr Gütertransit und KfZ-Pendelmöglichkeiten schafft, statt einer lebenswerten Region“, zeigt sich Pinka vom Agieren des Ministerpräsidenten frustriert.
„Diese heute so unverzichtbar dargestellte Verkehrsverbindung hatte 2014 nicht mal FDP-Minister Morlok beim Bund angemeldet, u. a. aufgrund einer absolut vernichtenden ökologischen Risikobewertung und unverhältnismäßiger Kosten-Nutzen-Relation war das Vorhaben seinerzeit durchgefallen.“
Kein Wunder, wenn der Umweltschutz in Sachsen so eine miserable Stellung hat. Die Regierungspartei hängt mit ihren Visionen augenscheinlich noch tief im 20. Jahrhundert fest. Klimawandel? Nix gemerkt davon.
„Wenn sich Ministerpräsident Kretschmer heute zufrieden zeigt, den ambitionierten Zeitplan der Kohlekommission durch Intervention bei der Bundeskanzlerin kurz vor entscheidenden Abstimmungsrunden gekippt zu haben, so offenbart das angesichts der Größe der Aufgabe ein erschreckendes Maß an Verantwortungslosigkeit“, geht Dr. Gerd Lippold auf die Folgen von Kretschmers Intervention ein.
„Die unmittelbare Folge ist, dass die Bundesregierung mit leeren Händen zur Folgekonferenz des Pariser Abkommens nach Polen fährt, wenn es um das Thema konkreter Maßnahmen zur Umsetzung geht.“
Dabei war die Kohleausstiegskommission in einem zeitraubenden Einsetzungsprozess so ausgewogen wie möglich besetzt worden und ist für den bestmöglichen Konsens aller Interessengruppen nur mit Zweidrittelmehrheit beschlussfähig. Sie sollte Handlungsvorschläge unterbreiten, in deren Erarbeitung sich die Regierung explizit nicht einmischen wollte. Mit seinem Hineingrätschen durch gezielte politische Erpressung in einer für die Zukunft der CDU entscheidenden Phase riskiert Ministerpräsident Kretschmer eine nachhaltige Delegitimierung der Kommission durch deren öffentliche Degradierung zu einer Art Marionettentheater.
„Bundesumweltministerin Schulze sah in den letzten Wochen die Kohlekommission gar als Vorbild für andere Länder, wenn es um sozial gerechten und ökonomisch nachhaltigen Ausstieg aus der fossilen Energieerzeugung geht. Das alles setzt der sächsische Ministerpräsident nun aufs Spiel, um noch etwas Zeit für die LEAG und ihre Aktionäre zu gewinnen“, moniert Lippold.
Zumindest habe sich Ministerpräsident Kretschmer in den letzten Tagen gegen staatliche Entschädigungszahlungen für Energieunternehmen ausgesprochen, betont Lippold. „Doch es kommt darauf an, die öffentlichen Mittel ganz und gar für neue Impulse in den betroffenen Regionen zur Verfügung zu stellen. Ein rascher Ausstieg aus der Braunkohle lässt sich weitgehend entschädigungsfrei gestalten, wenn Übergangsfristen eingehalten werden und für die Restlaufzeit Rechtssicherheit geschaffen wird. Mit Klimaschutzerfordernissen nicht vereinbar ist hingegen die Haltung des Ministerpräsidenten, Entschädigungszahlungen dadurch zu vermeiden, dass man die Unternehmen ihre eigenen Pläne bis zum letzten Kilogramm Braunkohle umsetzen lässt.“
Aber Porzellan ist trotzdem zerdeppert. Deutschland wird ohne belastbare Vorschläge für seinen Beitrag zum Klimaschutz nach Polen fahren.
„Die Kommission hatte die wichtige Aufgabe, noch vor dieser Konferenz Vorschläge zu unterbreiten, wie die Lücke zum Klimaschutzziel 2020 geschlossen werden kann“, betont Lippold noch. „Sie war auf dem besten Weg, die gestellte Aufgabe pünktlich zu erfüllen. Das wären zugleich die einzigen Vorschläge der Kommission gewesen, die unverzüglich, noch in dieser Wahlperiode bis 2021, konkretes Handeln verlangt hätten. Die Vorstellung eines wirklich stattfindenden Einstiegs in den Kohleausstieg ist allerdings für den Ministerpräsidenten wohl das eigentliche Schreckgespenst.“
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