Die mutmaßlich rechtsterroristische Gruppe „Revolution Chemnitz“ und deren führende Köpfe sind den Behörden schon länger bekannt, stellt jetzt Kerstin Köditz, Sprecherin für antifaschistische Politik der Linksfraktion im Landtag fest. Denn die Chemnitzer Terrorgruppe ist nicht erst am 11. September in Erscheinung getreten. Ihre Hauptakteure traten schön öfter mit Straftaten in Erscheinung.

Bei Tom W., den der Generalbundesanwalt als einen der Rädelsführer bezeichnet, soll es sich nach den Informationen von Kerstin Köditz um den Kopf der verbotenen Neonazi-Kameradschaft „Sturm 34“ handeln. Auch mindestens ein weiterer aktuell Beschuldigter soll zum Umfeld derselben Gruppe gehören.

Und wenn man sich mit der Geschichte von „Sturm 34“ beschäftigt, merkt man schnell, dass sich die alten Netzwerkstrukturen um das Verbot nie geschert haben. Sie haben sich einfach neu formiert und einen neuen Namen verpasst. Und weil die Mitglieder selten bis nie wirklich für ihre Straftaten zur Rechenschaft gezogen wurden, haben sie einfach weitermachen können mit der Einschüchterung Andersdenkender.

Kerstin Köditz: „,Sturm 34‘ wurden zahlreiche Gewaltstraftaten zur Last gelegt, die Gruppe wurde unter anderem deshalb im April 2007 durch das Sächsische Innenministerium verboten. Tom W. ist der Verbotsbescheid damals persönlich zugestellt worden. In der Begründung hieß es, er sei der ‚Anführer‘ des harten Kerns der Gruppe gewesen, ihm habe auch die ‚Entscheidungsgewalt‘ oblegen. Die Gruppe war in Mittweida (Mittelsachsen) entstanden, ihr Einzugsbereich war aber weit größer, reichte schon damals nach Dresden, ins Erzgebirge – und nach Chemnitz.“

Und da taucht jetzt das Problem der sächsischen Justiz auf, die auch bei den Dresdner und Leipziger Netzwerken ähnlich zögerlich vorging.

„Die juristische Aufarbeitung wurde jahrelang verschleppt, auch Tom W. kam letztlich mit einer Bewährungsstrafe davon. Dabei fielen frühere Mitglieder weiter durch Straftaten auf, offenbar wurde sogar wegen des Verdachts der illegalen Fortführung der Gruppe ermittelt – jedoch ohne Ergebnis“, so Köditz. „Auch deshalb fragte ich in den vergangenen Jahren die Staatsregierung immer wieder nach möglichen Nachfolgeaktivitäten von ‚Sturm 34‘. Die lapidare Antwort lautete jedes Mal: ‚keine Erkenntnisse‘.“

Als wenn Sachsens Staatsanwälte einfach keine Lust hatten, sich ernsthaft mit den gewaltbereiten rechten Netzwerken zu beschäftigen. Netzwerken, die bis 2011 auch geholfen hatten, dass das „NSU“-Trio problemlos in Chemnitz und Zwickau untertauchen konnten.

Die Verbote durch den Innenminister waren nur Symbolpolitik.

Denn dass das Innenministerium immer wieder auf Köditz’ Nachfragen behauptete, keinerlei Erkenntnisse zu haben, schätzt sie als verwunderlich und falsch ein.

„Denn seit 2013 trat ‚Revolution Chemnitz‘ mit einem eigenen Facebook-Profil in Erscheinung. Schon in der Frühphase der Gruppe wurde dort eine Grafik gepostet, offenbar ein Entwurf für ein Gruppenlogo. Im Hintergrund prangt groß die Zahl ‚34‘ – eine Anspielung auf ‚Sturm 34‘. Das muss auch dem Innenministerium aufgefallen sein: Im sogenannten ‚Internetatlas 2014‘ des Landesamtes für Verfassungsschutz wurde die betreffende Facebook-Seite ausdrücklich als neonazistisches Internetangebot aus Chemnitz erwähnt“, stellt die Landtagsabgeordnete fest.

„Offenbar sponnen die ‚Revolution‘-Drahtzieher frühzeitig Kontakte zu weiteren militanten Gruppierungen. So verwendete die 2014 verbotene Kameradschaft ‚Nationale Sozialisten Chemnitz‘, die unter anderem Schießübungen durchführte, das Facebook-Profil von ‚Revolution Chemnitz‘ als Propaganda-Kanal. Das ergibt sich aus der damaligen Verbotsverfügung des Sächsischen Innenministeriums – sie wurde übrigens auch einer Person zugestellt, die früher wiederum bei ‚Sturm 34‘ aktiv war. Eine Klage gegen das NSC-Verbot wurde hernach abgewiesen. In der Urteilsbegründung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts wurde in dem Zusammenhang gar konstatiert, dass die ‚Nationalen Sozialisten Chemnitz‘ die Facebook-Seite von ‚Revolution Chemnitz‘ selbst betrieben haben.“

Und da ist man dann schnell bei den rechtsradikalen Auftritten in Chemnitz Anfang September, als sich zeigte, wie gut vernetzt und leicht mobilisierbar die Neonazi-Gruppen sind.

„Kaum verwunderlich: Frühere NSC-Mitglieder traten zuletzt auch wieder bei den Neonazi-‚Protesten‘ in Chemnitz in Erscheinung“, kann Köditz feststellen. „Zu mehreren früheren NSC-Anhängern liegen Hinweise auf Verbindungen zum ‚Nationalsozialistischen Untergrund‘ vor. Es ist mir auch deshalb völlig unverständlich, warum ‚Revolution Chemnitz‘ erst jetzt ins Visier sächsischer Ermittler geriet. Gut, dass sich jetzt Bundesbehörden kümmern.“

Wieder einmal stehen die sächsischen Ermittler ratlos im Wind. Die Bundesbehörde hat ihnen – nach Freital – nun zum zweiten Mal gezeigt, wie man eine rechtsradikale Terrorgruppe zu fassen bekommt.

Und da sieht man das ganze sächsische Problem, das auch bei den „Trauermärschen“ in Chemnitz sichtbar wurde: Bis dato waren sich die agierenden Rechtsextremen ziemlich sicher, dass sie von Sachsens Ermittlern nicht viel zu befürchten haben, egal, wie rabiat sie in der Öffentlichkeit auftraten. Auch deshalb konnten sie in Sachsen so auftrumpfen und ein Klima erzeugen, als sei das rechtsradikale Gehabe wieder normal.

Radikalisierung der Rechtsextremen bringt jetzt endlich auch die sächsische Politik auf Trab

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Es gibt 3 Kommentare

Und genau hier beißt sich der Hund nicht nur in den eigenen Schwanz, sondern auch noch in die Ohren: Weil die V-Männer ja geschützt werden müssen, kann man keine wirksamen Aktionen gegen die Strukturen durchführen. Finanziert und befeuert also munter weiter das rechte Treiben. Im Sinne des Schutzes der V-Männer.
Worüber reden wir hier? Radikalisierung? Schutz der Verfassung, des Landes? Hinlegen und weiterschlafen bis das Dach brennt

Man kann nur hoffen, dass der Sächsische Verfassungsschutz seinen Auftrag nun deutlicher wahrnimmt. Aber dazu müssten wohl erstmal personelle Konsequenzen gezogen werden, nicht nur beim Kopf

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