KommentarEine heute 18-jährige Jugendliche kennt in ihrer bisherigen Lebenszeit nur eine Bundesvorsitzende der CDU. Nun wird sie eine Neue oder einen Neuen kennenlernen, was ja mit 18 keine schlechte Sache und eher spät ist. Angela Merkel hat nach der Hessenwahl und eigenem Bekunden natürlich ihre Entscheidung bereits vor dem Sommer 2018 getroffen und verkündete heute den Rückzug von der Parteispitze der Bundes-CDU. Damit endet perspektivisch und ab dem Bundesparteitag am 7./8. Dezember in Hamburg auch die bislang 13-jährige Kanzlerschaft der ersten Frau an der Spitze Deutschlands. 2021 wird Angela Merkel erwartungsgemäß auch zur Bundestagswahl nicht noch einmal antreten.

Wer in den vergangenen Jahren Angela Merkel aufmerksam beobachtete, ahnt mindestens die Vorsicht dieser Frau. Und wohl auch, dass sie sich einen leiseren Übergang vorgestellt hätte, so wie unzählige Personalentscheidungen der letzten Jahre meist schnell und weitgehend geräuschlos verliefen.

So hatte sie bis heute mehrfach erklärt, dass sie sich bereits für die Bundestagswahl 2017 „nach langem Nachdenken zur erneuten Kanzlerschaft entschlossen“ habe. Der Übergang während dieser Legislatur war also schon da ahnbar, die vierte Amtszeit und damit dann 16 Jahre nach Antritt der ersten sollte die letzte werden.

Nun ist dieser Übergang nicht mehr aus dem Erfolg heraus möglich, Merkel gibt nach den deutlichen Verlusten der CDU in Hessen, aber mehr noch wohl unter dem Eindruck der letzten Querelen in der Bundesregierung mit der Neuwahl der CDU-Bundesspitze das Ruder faktisch aus der Hand. In der Abgabe des Parteivorsitzes sieht Merkel zwar ein Wagnis, hält es aber für akzeptabel. Ob dem so ist, werden wohl die Debatten der kommenden Wochen und vor allem der längst begonnene Personalreigen um den Bundesvorsitz zeigen müssen.

Die Pressekonferenz vom 29. Oktober 2018. Quelle: ARD

In einer Pressekonferenz am frühen Nachmittag stellte die Bundeskanzlerin ein „inakzeptables Bild“ der Bundesregierung fest, welches jedoch tiefere Ursachen als nur kommunikative habe. Ob dabei ihre Aufgabe des CDU-Vorsitzes die Situation bessern wird, darf zumindest bezweifelt werden. Sie selbst zeigte sich immer überzeugt, dass Bundesvorsitz und Kanzlerschaft zusammengehören.

Auf sich persönlich bezogen stellte sie fest: „Ich wurde nicht als Kanzlerin geboren und das habe ich auch nie vergessen. Diese vierte Amtszeit ist meine letzte als Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland“, so Merkel weiter. Sie werde ab 2021 nicht einmal mehr im Bundestag vertreten sein und auch keine anderen politischen Ämter anstreben. Ihr sei es wichtig, das Amt „in Würde zu verlassen“.

Trommeln im Wald

Knapp einen Monat hat die CDU nun also Zeit, sich auf etwas einzustellen, was bereits direkt nach der Bundestagswahl 2017 stets über allen politischen Entscheidungen in Berlin schwebte. In einer letzten Amtszeit werden Nachfolger aufgebaut und das Erbe sortiert, so einem die Zeit gelassen wird. Nun dürfte sich angesichts der umgehend gehandelten Namen um den Bundsvorsitz ein echter Richtungskampf innerhalb der CDU abspielen.

Wenn es um bislang aussichtsreiche Namen rings um die Kandidatur am 7. und 8. Dezember in Hamburg und damit wohl bereits eine gewisse Richtungsentscheidung für eine kommende Bundestagswahl geht, stehen da unter anderem CDU-Sekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer und Armin Laschet, Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, in dem Raum, der wohl Merkel am besten gefallen könnte.

Aber auch der bislang eher durch neoliberale Parolen aufgefallene Gesundheitsminister Jens Spahn wird wohl sein Glück versuchen wollen, er gilt eher als neuer Hardliner. Sogar von Friedrich Merz ist auf einmal wieder zu hören, wobei dieser eher umgehend von der BILD-Zeitung ohne bisherige Bestätigung einer Kandidatur medial in den Ring geworfen wurde. Kurz darauf bestätigte heute Merz seine Kandidatur gegenüber dem WDR.

Jeder der noch hinzukommenden Kandidaten wird sich die Frage gefallen lassen müssen, ob er oder sie auch „Kanzler*in kann“. Damit hat Merkel wohl auch das Startsignal um eine offene Zukunftsdebatte innerhalb ihrer Partei in Zeiten schmelzender Mehrheiten gegeben. Ein Parteitag, der wirklich spannend werden könnte.

Christian Hartmann (CDU), Foto: CDU Sachsen
Christian Hartmann (CDU), Foto: CDU Sachsen

Erste Signale aus Sachsen

Als einer der Ersten meldete sich heute CDU-Fraktionschef Christian Hartmann mit einer Stellungnahme aus Sachsen zu Wort. Eine Binse vorab: „Es braucht jetzt die personelle Erneuerung an der Spitze.“ Weiterhin habe „Angela Merkel … die CDU Deutschlands viele Jahre sicher auch durch stürmische Fahrwasser gelenkt, dafür zolle ich ihr großen Respekt. Nun ist es jedoch Zeit, dass Steuerrad vertrauensvoll in andere Hände zu legen.“

Gleichzeitig ertönte das wohl interessantere Lied zum Begriff der „Volkspartei“, welches seit Wochen eher als Sterbelied intoniert wird: „Wollen wir als CDU unseren Anspruch als Volkspartei ausfüllen, dann brauchen wir wieder erkennbare politische Flügel: einen christlichen, einen liberalen, einen sozialen und einen konservativen. Jeder dieser Flügel muss zu seinem Recht kommen und in seinem politischen Wirken erkennbar sein. Gelingt uns das, sind wir auch als Volkspartei wieder erkennbar und glaubhaft“, so Hartmann heute.

Totgesagte leben lang

Während die AfD bereits ein „politisches Erdbeben“ ahnt und in unverhohlenem Jägerlatein formuliert: „Bevor die Jäger kommen und ihr politisches Schicksal endgültig besiegeln, versucht sie mit einem kleinen, demütigen Schritt, das Schlimmste abzuwenden“, wird sich nun die CDU endgültig und ernsthaft mit sich befassen müssen. Und mit der Frage, wohin man nach den oft eher kleinteiligen Schritten der letzten Jahre programmatisch in den kommenden Jahren hin will.

Ein simples „Merkel muss weg“, wie es teils schon aus der Leipziger CDU zu hören war, genügte da noch nie und ist nun zudem obsolet. Es wird vielleicht nun nur noch offener zutage treten, was die CDU an ihrer Bundesvorsitzenden hatte, das übliche Dröhnen und Poltern wird nicht mehr genügen – jetzt geht es um Inhalte.

Denn während sich die Bundes-AfD auf die Beschreibung, Merkel irre „wie ein Reh im Nebel durch den Wald“ verstieg, steht die Frage im Raum, wie sich die Parteienlandschaft in Zeiten von „Aufstehen“-Bewegungen und immer stärker werdenden Grünen tatsächlich verändert.

Eine Frage, der die heutige Entscheidung der noch amtierenden Bundeskanzlerin auch in der CDU deutlich Raum verschafft hat. Ein simpler Personalwechsel jedenfalls wird angesichts Kohleausstiegsdebatten, Strukturwandel in Zeiten von Klimawandel und Digitalisierung sowie sich verändernder Mobilitätsverhalten und Lebenskonzepte nicht genügen.

„Alternativloser“ Irrflug prägt Politik der CDU Sachsen mit gestutzten Flügeln – Umsteuern ohne Union!“

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