VideoโWir sind friedlich, was seid Ihr?โ schallt es am Samstag, 4. August, an ungewรถhnlichem Ort. Vor dem Kraftwerk Lippendorf ist eine Gruppe junger Menschen unterwegs und sie wollen zum Einfahrtstor der Braunkohleverbrennungsanlage. Am Himmel kreist ein Helikopter, Polizei ist aufgefahren, Angst vor den Kohlegegnern hatten vorab lokale Medien unter krรคftiger Mithilfe des Braunkohlefรถrderers MIBRAG genug geschรผrt. Am Ende sollten angesichts eines friedlichen und klaren Protestes selbst die Kommentare beim konservativen MDR-Publikum moderat bis zustimmend fรผr die Aktionen und mehr und mehr gegen Kohleverbrennung in Sachsen ausfallen. Die L-IZ.de begleitete diesen Teil der Protestbewegung โKohleErsetzenโ den ganzen Tag รผber.
Der Samstag, 4. August 2018, am Kraftwerk Lippendorf. Video L-IZ.de, Luca Kunze
Nichts von dem, was da mal wieder an bedrohlichen Szenarien durch die MIBRAG an die Wand gemalt wurde, traf ein. Ein bisschen Ordnungsstaat angesichts angeketteter Aktivisten an einem Fรถrderband, die Blockade eines Werkstores und das Wegtragen durch Polizeibeamte.
Und eines noch; nach einer Woche Klimacamp im vom Abriss bedrohten Pรถdelwitz war am Samstag der medientechnische Hรถhepunkt der Kohlegegner geplant und entfaltete รถffentliche Wirkung. Bereits die Woche vor dem 4. August war damit vergangen, dass vermehrt im Netz รผber die Frage des Kohleausstieges, seine Kosten und die Kosten des โWeitersoโ debattiert wurden.
รbrig werden es jetzt wohl doch einige Menschen mehr geworden sein, die sich angesichts der klimatischen Bedingungen nicht nur dieses Sommers fragen: muss das noch sein? Muss es wirklich sein, dass wir einen Jahrtausende lang entstandenen, endlichen Rohstoff aus dem Boden holen, um ihn teuer zu verfeuern?
Und ganz abgesehen von den Subventionen, welche seit Jahren fรผr die โpreiswerte Kohleโ gezahlt werden, steht nun am Ende des Camps fรผr die Befรผrworter der Verbrennung fossiler Rohstoffe eine Frage glasklar im Raum. Eine Frage, die sie eigentlich mal โim Sinne unserer Kinderโ beantworten mรผssten: Was wรคre, wenn sie in ihrer Leugnung der Folgen anhaltender Kohleverbrennung nicht Recht haben?
Was wรผrde es bedeuten, wenn die umweltschรคdliche Wirkung von noch immer rund 120 in Deutschland laufenden Kohlekraftwerken, neben Hochleistungsagrarwirtschaft, Verbrennungsmotoren und Flugreisen zu einem Klimawandel beitragen, der Temperaturanstiege, regenarme Sommer und Dauerhitzeperioden normal werden lassen?
Dieser grundlegenden Frage steht in der Leugnung der menschlichen Beteiligung an den klimatischen Bedingungen letztlich nur Egoismus entgegen. Ein Egoismus, der heute sagt: ich will nichts รคndern, ich will mich nicht รคndern, ich will nicht darรผber nachdenken. Ein Egoismus, der letztlich nur abwehrt, indem er sagt, was kรผmmert mich die Zeit, die nach mir kommt?
Doch was wรผrde eine Verรคnderung in der Energiepolitik schaden, wenn die, die den Beitrag der Kohle zur Aufheizung der Erde, ja das Aufheizen der Erde selbst leugnen, am Ende โ hรถchst unwahrscheinlicherweise โ doch Recht gehabt haben sollten? Es wรคren halt fรผr kommende Generationen noch fossile Stoffe wie รl und Kohle vorhanden, Generationen, die vielleicht sogar besseres damit anzufangen wรผssten, als sie in herumfahrenden Blechkisten und groรen รfen zu verbrennen.
Wie wollen die Leugner der bereits vorhandenen und kommenden Klimaschรคden diesen Fragen argumentativ begegnen?
Ein โfindet nicht stattโ, ohne stichhaltige Gegenbeweise, ein โmir doch egalโ oder das Leugnen der stetig grรถรer werdenden Leistungsfรคhigkeit erneuerbarer Energieerzeugung, Speichermรถglichkeiten und technischem Fortschritt dรผrften angesichts der drohenden Zukunft aus Dรผrren und Klimafluchtbewegungen weltweit nicht mehr reichen.
Auf der einen Seite steht eine Zerstรถrung von Heimat, Natur und Klima und auf der anderen Seite letztlich nur noch die Leugnung einer besseren, technisch intelligenteren Zukunft aus schnell hochfahrbaren Gaskraftwerken, Wind- Sonnen- und Thermoenergie. Vielleicht haben die 350 Teilnehmer an der letztlich kleinen Lippendorf-Blockadeaktion, der Raddemo und weiteren Aktionen an einem Wochenende eben verstanden, dass ihnen bessere Lรถsungen auch in der neuen โKohleausstiegskommissionโ mit fadenscheinigen Argumenten verzรถgert, behindert und letztlich verweigert werden sollen.
Und dies zugunsten einer politisch gewollten Energieerzeugung, die gern als letzte Bastion die aktuelle โEnergiesicherheitโ und Kohle als Grundlasterzeuger ins Feld fรผhrt, wenn das Arbeitsplatzthema โ wie hier โ schon lang nicht mehr wirklich greift.
Wie โsicherโ die herkรถmmliche, zentrale Energieerzeugung ist, kann man an den ersten Medienberichten ablesen, in denen von knapper werdendem Kรผhlwasser fรผr die Groรmeiler berichtet wurde. Wie unnรถtig sie sehr bald sein wird, kann man an den Bemรผhungen auch der Leipziger Stadtwerke ablesen, kleine, lokale Dampf- und Gaskraftwerke als Ersatz in Leipzig zu bauen. Und so am Ende den Liefervertrag mit Lippendorf zu kippen.
Und so bleibt dem einen oder anderen Freund der groรen Bagger und Fรถrderbรคnder nur noch Hรคme โ gegenรผber jungen Menschen, die sich die Zeit nahmen und ihre Ferien unter anderem vor einem Kohlekraftwerk zu verbringen. Gegenรผber ihrem Wunsch nach einer klรผgeren Lรถsung, als den Braunkohleabbau in Sachsen bis 2040 weiterlaufen zu lassen. Hรคme, die da lautet: Schaltet das alles ab und dann schauen wir mal, wer in der dunklen Nacht schreit.
Niemand wird schreien, denn eine sofortige Abschaltung hat bei der Kohle wie beim Atom keiner verlangt. Eher wohl, dass die Abermillionen sรคchsischer, mitteldeutscher und bundesdeutscher Steuervergรผnstigungen, Subventionen und Ausfallrisiken fรผr den Kohleabbau in den Fortschritt und einen Strukturwandel investiert wรผrden. Ein rascher und geordneter Rรผckzug aus der Kohle, der auch die letzten sterbenden Braunkohle-Arbeitsplรคtze in der Lausitz und vor Leipzig in einem geordneten รbergang locker abfedern kรถnnte.
Wenn man denn will und nicht, wie allzu oft im grรผn-weiรen Freistaat, nun auch bei der Braunkohle lรคngst hinter der Welle schwimmt. Die jungen Protestierer haben am 4. August daran erinnert, wie unfรคhig und zukunftsvergessen sich Politik verhalten kann.
Was bleibt?
Stattdessen soll der Tagebau Vereinigtes Schleenhain erweitert werden und ein weiteres Dorf nach so vielen vor und nach 1989 soll mit Pรถdelwitz fallen. Die Vertrรคge sind gemacht, die MIBRAG ist am Drรผcker, die meisten Hรคuser im Dorf sind lรคngst fรผr den Abriss aufgekauft, die Menschen vertrieben.
โDie Botschaft des heutigen Tages heiรt: Pรถdelwitz bleibt!โ, so Josephine Lauterbach aus dem Organisationskreis des Camps zur Demonstration am 4. August. Auch Jens Hausner von der รถrtlichen Bรผrgerinitiative Pro Pรถdelwitz sieht nach Jahren des langsamen Wegkaufens seines Dorfes den Protest und Form der jungen Leute als angemessen an. โWir solidarisieren uns mit den Aktionen von Kohle erSetzen, weil diese als Aktionen des zivilen Ungehorsams notwendig sind, um verkehrte politische Entscheidungen wieder in die richtige Richtung zu wenden.โ, so Hausner in einer Presseerklรคrung.
Er und seine verbliebenen Mitstreiter im Dorf hatten die Camper eingeladen, um dem Fall seiner Heimat etwas Letztes entgegenzustellen. Vielleicht waren es die letzten schรถnen Tage in Pรถdelwitz, mit tanzenden jungen Menschen, einem Dorffest mit Musik und Badeabenden an einem mรผhsam und mit viel Geld renaturiertem Tagebaufolgesee.
Ein letzter Abgesang womรถglich. Weil es die (wรคhlende) Mehrheit der Sachsen so will.
Hinweis der Klimacamp-Veranstalter
Das Klimacamp Leipziger Land ist Teil der internationalen Klimabewegung. Verschiedene Akteur*innen haben in diesem Jahr weitere Aktionen fรผr Klimagerechtigkeit angekรผndigt. So finden im August die Climate Games in Basel, das Klimacamp im Rheinland sowie Code Rood in den Niederlanden statt. Das Bรผndnis Ende Gelรคnde kรผndigt vom 25. bis 28. Oktober eine Massenaktion zivilen Ungehorsams an, um gegen Braunkohle und fรผr den Erhalt des Hambacher Forsts zu demonstrieren.
www.klimacamp-leipzigerland.de
L-IZ.de vor Ort: Das Klimacamp im Kreis Leipzig
Leipziger Auftaktdemo zum Klimacamp Pรถdelwitz: โKohle stoppenโ + Video
Leipziger Auftaktdemo zum Klimacamp Pรถdelwitz: โKohle stoppenโ + Video
Bildergalerie vom Samstag, 4. August Lippendorf (alle Fotos: Luca Kunze)
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Es gibt 3 Kommentare
Da gebe ich Dir natรผrlich recht, Sabine.
Meinte ich auch mit รl und Gas. Allerdings kann man natรผrlich auch solche Ressourcen schonend und sparsam verwenden; siehe der Verweis darauf, was man evtl. spรคter mit diesen Dingen tun kann, z.B. nicht verfeuern.
Generell leben wir รผber unsere Verhรคltnisse.
Ich fรผrchte aber, dass dieser โErrungenschaftโ auรer einem Unglรผck oder einer Revolution keiner Einhalt gebieten kann und wird.
โGegen Lippendorf โ und Kohlemeiler generell โ kann man nur mit Emissionen argumentieren.
Quecksilber, CO2 etc.โ
Ne, auch unser maรloser Ressourcenverbrauch ist ein wichtiges Argument. Es sei denn, unsere nachkommenden Generationen sind uns egal, was uns aber spรคtestens unsere Urenkel รผbelnehmen werden.
Lustigerweise handeln โnichtdenkendeโ Spezies viel logischer als wir hochentwickelten Menschen. Der Verlust unserer natรผrlichen Instinkte scheint mir eins unserer grรถรten Probleme zu sein.
Die Argumentationskette ist nicht ganz plausibel:
Die Lieferung von Fernwรคrme und Strom aus Lippendorf durch โkleine, lokale Dampf- und Gaskraftwerke als Ersatz in Leipzigโ zu kompensieren, ist nur von der Wand bis zur Tapete gedacht.
Womit werden denn jene befeuert?
Mit โeinem Jahrtausende lang entstandenen, endlichen Rohstoff aus dem Bodenโ โ Erdgas! Oder auch Heizรถl.
Gegen Lippendorf โ und Kohlemeiler generell โ kann man nur mit Emissionen argumentieren.
Quecksilber, CO2 etc.
Bzw. mit der aktuellen Situation, selbst gesteckte Klimaziele erreichen zu wollen. Dem steht der Betrieb solcher Kraftwerke diametral entgegen.
Dass ein Ablรถsen dieser Technologie nicht schnell und einfach geht, weiร hoffentlich jeder. Aber richtig โ anfangen muss man endlich mal.
Noch einfacher gรคnge รผbrigens eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf unseren Autobahnen.
Mich wรผrde mal interessieren, wie viel Kohlekraftwerksemissionen das ungefรคhr wรคrenโฆ