Es war schon am Sonntag, 19. August, absehbar, dass Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) mit seinem lockeren Kommentar zur Behinderung eines ZDF-Filmteams beim Merkel-Besuch in Dresden mit aller Eleganz ins Fettnäpfchen getreten war. Mit einem einzigen Satz machte er deutlich, wie seltsam die Sicht der sächsischen Staatsregierung mittlerweile auf Polizeiarbeit und Pressefreiheit ist. „Die einzigen Personen, die in diesem Video seriös auftreten, sind Polizisten“, hatte er getwittert.
Und damit hat er etwas provoziert, was man vom geduldigen Juniorpartner SPD eher nicht kennt: einen deutlichen Widerspruch.
Dulig gibt kontra
„Die Pressefreiheit ist eines unserer höchsten Verfassungsgüter und genießt einen besonderen Schutz. Selbstverständlich gelten auch für Journalistinnen und Journalisten unsere Gesetze, dennoch muss es ihnen möglich sein, auch von schwierigen Situationen und Demonstrationen frei berichten zu können. Aufgabe der Polizei ist es auch, diese Pressefreiheit zu schützen“, wählte Martin Dulig, Vorsitzender der SPD Sachsen und stellvertretender Ministerpräsident, am Dienstag, 21. August, seine Worte zum Polizeieinsatz am Rande des Merkel-Besuchs in Sachsen.
Und er benannte das, was Michael Kretschmer augenscheinlich in den letzten Jahren überhaupt nicht wahrgenommen hat: Wie die in Sachsen emsig demonstrierenden Rechtsextremen auch bei Demonstrationen jede Möglichkeit nutzen, Journalisten mit Strafanzeigen zu überziehen, um die Berichterstattung über ihre ‚Spaziergänge‘ zu erschweren oder zu verhindern.
„Das Kriminalisieren kritischer Journalisten mittels haltloser Strafanzeigen ist eine gezielte Strategie rechter Aktivisten. Darauf müssen wir uns, Sicherheitsbehörden und Politik gleichermaßen, einstellen und einen souveränen Umgang finden. Daher sollten wir unsere Polizistinnen und Polizisten im Umgang mit solchen Situationen schulen“, sagte Dulig. „Die Umstände der Maßnahme müssen umfassend aufgeklärt werden. Ich begrüße die Gesprächseinladung des Dresdner Polizeipräsidenten an das ZDF-Team. Darüber hinaus ist es wichtig, dass der Innenausschuss des Sächsischen Landtages sich zu diesem Sachverhalt noch verständigen wird. Von weiteren Spekulationen und Schlussfolgerungen vor Ende der Untersuchungen sollte jetzt abgesehen werden.“
Polizeiliche Verhinderung von Medienberichterstattung
Nicht ganz so ruhig reagieren natürlich die anderen demokratischen Parteien, die das seltsame Rechtsverständnis in einigen Behörden des Freistaats schon seit Jahren kritisieren.
Der rechtspolitische Sprecher der Linksfraktion, Klaus Bartl, auch Vorsitzender des Landtags-Rechtsausschusses, hat sich mit Blick auf die Sitzung des Gremiums am heutigen 22. August an Sachsens Justizminister Sebastian Gemkow gewandt. Darin ersucht er Auskunft des Ministers vor dem Rechtsausschuss darüber, ob und wie die sächsische Justiz mit dem Vorwurf der polizeilichen Behinderung der Berichterstattung der Medien im Umfeld des Besuches der Bundeskanzlerin Angela Merkel am 16. August in Dresden befasst ist.
Dabei hat Bartl folgende konkrete Fragen gestellt:
- Welche konkreten Anzeigen lagen den Polizeikräften, die gegenüber dem ZDF-TV-Team handelten mit welchem Tatvorwurf im Zeitpunkt des Vorgehens tatsächlich vor?
- In welchen Zusammenhängen kam es zur Anzeigeerstattung und woraus resultierte die Notwendigkeit, auf die Anzeigen aus dem Bereich einer „Gegenversammlung“ zum Kanzlerinbesuch die Anzeigenprüfung sofort und über einen Zeitraum von 45 Minuten vorzunehmen, obgleich das Team seinen Auftrag der Berichterstattung über die gerade ablaufenden Ereignisse nachdrücklich kenntlich machte?
- Gab es hinsichtlich des Vorgehens gegen das ZDF-Team bzw. die Art und Weise der Anzeigenbearbeitung/Ermittlungseinleitung Abstimmungen der handelnden Polizeikräfte/Polizeiführer mit der Staatsanwaltschaft und wenn ja, welcher Art und welchen Inhalts?
- Welche Diensteinheit der Staatsanwaltschaft ist derzeit mit der Prüfung der Anzeigen bzw. eingeleiteter Ermittlungsverfahren befasst und lässt sich das Ministerium über den Ermittlungsstand berichten?
- Existieren für Sachsen generell durch Staatsanwaltschaft und/oder Polizei vorgegebene Vorschriften bzw. Handlungsanleitungen, in welcher Weise Anzeigen, die vorliegend offensichtlich aus einer Versammlung heraus gegenüber die Versammlung sichernden Polizeikräften erstattet werden, zu bearbeiten sind bzw. inwieweit werden solche Anzeigen stets oder regelmäßig durch die die Versammlung sichernden Polizeikräfte entgegengenommen?
- Sind dem Staatsministerium der Justiz rechtliche Schritte der betroffenen Journalisten bzw. der Chefredaktion des ZDF bezüglich der vorgeworfenermaßen mit Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz bzw. Artikel 20 Absatz 1 Satz 2 Sächsische Verfassung kollidierende Behinderungen der Dreharbeiten während des Besuchs der Bundeskanzlerin in Dresden bekannt?
Haben die Polizisten bewusst 45 Minuten Kontrollzeit herausgeschunden?
In der Debatte um umstrittene Äußerungen des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer zu einer polizeilichen Maßnahme gegenüber Leipziger Journalisten am Rande der Pegida-Proteste am vergangenen Donnerstag in Dresden hat auch der Leipziger FDP-Stadtrat René Hobusch den Zustand der sächsischen Polizei kritisiert.
„Wir müssen aufpassen, dass das Vehikel der Strafanzeige nicht missbraucht wird, um Menschen, die einem gerade mal nicht passen, auszubremsen. In diesem Fall traf es Journalisten, die so an ihrer Arbeit gehindert wurden. Dass die Polizei alles aufnimmt und Ermittlungen einleitet, mag formal richtig sein. Wenn das aber 45 Minuten dauert, dann ist das nicht in Ordnung, denn die Polizei wird am Ende missbraucht.
Dem werden wir nur Herr, wenn Aufnahme und Einleitung von Ermittlungen eben nicht 45 Minuten dauern, sondern nur 10 oder 15 Minuten. Statt im Video erkennbare Notizen in ein Büchlein zu schreiben, geht sowas auch digital. Foto des Ausweises, Aufnahme einer ersten Aussage und schon ist es erledigt. Ganz ohne neue Befugnisse für die Polizei, ganz einfach nur durch moderne Ausstattung, über die jeder Oberschüler im Freistaat verfügt“, meint der Leipziger Stadtrat René Hobusch (FDP).
Hobusch kritisierte in diesem Zusammenhang aber auch die Reaktionen aus der Staatsregierung.
„Dass die Staatsregierung 45 Minuten für die Aufnahme einer einfachen Anzeige für völlig normal hält, ist ein Armutszeugnis. Und es zeigt: Statt eines neuen Polizeigesetzes mit mehr Kompetenzen und zahlreichen neuen Einschränkungen von Bürger- und Freiheitsrechten braucht die Polizei eine bessere Ausstattung – und zwar die beste Ausstattung. Unsere Beamten sind keine Sekretäre, aber auch keine Armee im Inland, sondern Polizisten“, sagt Hobusch.
„Aber dazu fallen dem Ministerpräsidenten und dem Innenminister nicht viel ein. Stattdessen wird Druck auf Städte wie Leipzig gemacht, dass hier das Ordnungsamt in ‚Polizeibehörde‘ umbenannt wird, die Mitarbeiter in neue Kleidung gesteckt und in neu beklebte Kleinwagen gesetzt werden. Die Grenzen zwischen Ordnungswidrigkeitenrecht und Strafverfolgung werden dabei immer mehr verwässert, um dem Bürger Sicherheit vorzugaukeln. Dabei wäre es so wichtig, gut ausgebildete Polizisten in ausreichender Anzahl vor Ort zu haben, die mit Fingerspitzengefühl erkennen können, wann wie in Dresden gerade jemand versucht, sie für eigene Zwecke zu missbrauchen und sich dabei dem Strafrecht bedient. Dafür braucht es Schulungen, sonst laufen wir Gefahr, dass solche Ereignisse kein Einzelfall bleiben.“
CDU-Borniertheit gefährdet das Ansehen Sachsens
Mit den Äußerungen zum Polizeieinsatz gegen ein Fernsehteam des ZDF am Rande einer Pegida-Demonstration am 16. August habe Ministerpräsident Michael Kretschmer den Umgang der sächsischen Staatsregierung und der sächsischen Polizei mit kritischer Berichterstattung und Pressefreiheit erneut über die Landesgrenzen hinaus in die Kritik gebracht, stellt ihrerseits Christin Melcher, Landesvorstandssprecherin von Bündnis 90/Die Grünen in Sachsen, fest.
„Die Äußerungen von Ministerpräsident Michael Kretschmer, mit denen er läppisch über Twitter ohne vorherige Aufklärung des Sachverhalts ZDF-Journalisten als unseriös abstempelt und Polizeihandeln rechtfertigt, zeigen einmal mehr das gesamte Ausmaß der Borniertheit der sächsischen CDU-Macht. Auf dem Rücken des Ansehens des Freistaates Sachsen und letztlich auch auf dem Rücken des Ansehens der sächsischen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten wird hier Wahlkampf rechts außen gemacht“, schätzt Melcher das ein, was Kretschmer da angerichtet hat.
„Die sächsische Polizei ist nicht die Schutzmacht der CDU, sie dient nicht dem Ministerpräsidenten, sondern der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und damit auch der Pressefreiheit. Es ist die Stärke eines Rechtsstaates und seiner Organe, Fehler anzuerkennen und daraus zu lernen. Es zeigt sich immer deutlicher: Diese CDU ist nicht in der Lage zur Vernunft zu kommen und das Ansehen dieses Freistaates und seiner Bürgerinnen und Bürger vor ihren eigenen billigen Wahlerfolg ganz rechts außen zu stellen.“
Linke fordert eine unabhängige Expertenkommission zur Aufklärung des Polizei-Verhaltens bei Pegida
„Herr Kretschmer hat seinen Amtseid darauf geleistet, Schaden von der Bevölkerung im Freistaat abzuwenden – Imagepflege für einzelne Polizeieinsätze ist nicht sein Job, dafür gäbe es in erster Linie den Innenminister. Im vorliegenden Fall geht es um Beeinträchtigung der Arbeit von Journalisten, zugespitzt der Pressefreiheit – und das ist sehr wohl zum Schaden der Demokratie in Sachsen“, kommentiert Rico Gebhardt, Vorsitzender der Linksfraktion im Landtag, den Vorgang.
„Mit seiner voreilig in die Welt getweeteten Behauptung, nur die Polizisten hätten ‚seriös‘ gehandelt, das Kamerateam im Auftrag des ZDF folglich seiner Meinung nach nicht, hat Kretschmer eine unvoreingenommene interne Untersuchung in Sachsen verunmöglicht. Deshalb möge die Staatsregierung drei unabhängige Expert*innen mit der Aufklärung der Vorwürfe beauftragen, die aus den Bereichen Journalismus, Polizei und Justiz kommen.“
Das Verhalten des Ministerpräsidenten findet Gebhardt zudem hochgradig unprofessionell.
„Es hätte sich gehört, dass der Innenminister, auch Dienstherr der Polizei, auf die Vorwürfe reagiert und klar sagt, wie damit umzugehen ist. Ich gehe davon aus, dass er dem Begehren unserer Fraktion nachkommt und dies nun in der Sitzung des Landtags-Innenausschusses am Donnerstag tut“, sagt Gebhardt. „Vom Ministerpräsidenten aber erwarte ich, dass er künftig seinen Amtseid beachtet und nicht mehr im Trump-Stil ‚alternative Fakten‘ auf Kosten von Grund- und Freiheitsrechten in der Welt herumtwittert. Schließlich geht es nicht nur um die Wiederwahl des Ministerpräsidenten und seiner CDU, sondern um die Freiheitsrechte, die es in erster Linie zu verteidigen gilt.“
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