Wenn sich in Medien und Politik Verunsicherung breit macht und immer mehr Schreckensbilder einer unbeherrschbar erscheinenden Welt gemalt werden, dann hat das auch direkte Folgen für das Sicherheitsbedürfnis vieler Menschen. Und etliche scheinen sich wirklich erst mit einer Schusswaffe im Haus einigermaßen sicher zu fühlen, denn seit 2013 steigt die Zahl der registrierten Schusswaffen in Sachsen massiv an.
Was auch die jüngste Landtagsanfrage von Enrico Stange, dem innenpolitischen Sprecher der Linksfraktion im Landtag, wieder bestätigte: Der Trend zur Bewaffnung in Sachsen ist ungebrochen. Das betrifft den legalen Schusswaffenbesitz als auch die registrierten Schusswaffen sowie die waffenrechtlichen Erlaubnisse und Kleinen Waffenscheine.
„Waren 2017 in Sachsen noch 150.570 Schusswaffen registriert, so mussten zum 30. Juni 2018 165.804 Schusswaffen gezählt werden“, kann Stange nach der jüngsten Antwort von Innenminister Roland Wöller (CDU) feststellen. Dabei fallen vor allem Repetier- und halbautomatische Waffen sowie andere Schusswaffen ins Gewicht, die man nun wirklich nicht braucht, wenn man in einem Verein Sportschießen betreibt oder das Gewehr für die Jagd braucht. Die nordamerikanische „Waffenmanie“ scheint also direkt über den Großen Teich auch nach Sachsen auszugreifen. Es überwiegen in privatem Besitz die gefährlicheren Schusswaffen, deren Zahl wächst.
Dem stehen sehr geringe Zahlen bei der freiwilligen Abgabe gegenüber. 2017 wurden ganze 128 Schusswaffen abgegeben, im 1. Halbjahr 2018 immerhin 211. 2017 wurden 1.954 Stück Munition abgegeben, im 1. Halbjahr 2018 waren es 15.280. Bei der Abgabe illegaler Schusswaffen und Munition sind die Zahlen freilich niedriger. Im 1. Halbjahr 2018 wurden 49 illegale Schusswaffen und 1.774 Stück Munition freiwillig abgegeben, allerdings aufgrund einer Amnestie.
Das alles ist geradezu lächerlich verglichen mit den Zahlen der Neubewaffnung.
Wurden 2017 noch 28.066 Schusswaffenbesitzer registriert, waren es zum 30. Juni 2018 bereits 29.345. Die Zahl der waffenrechtlichen Erlaubnisse lag 2017 bei 43.759 und zum 30. Juni 2018 bereits bei 46.674. Die Zahl der Kleinen Waffenscheine stieg zwischen 2017 und dem 30. Juni 2018 um mehr als elf Prozent von 16.365 auf 18.195.
„Der gesellschaftlichen Aufrüstung stehen die Waffenbehörden mit knapp 33 Stellen in ganz Sachsen gegenüber“, stellt Stange fest. Und zählt dann zu deren Arbeit auf: „Insgesamt wurden 2017 1.299 Kontrollen der Aufbewahrung vorgenommen, im 1. Halbjahr 2018 nur 390 (2016: 824). Die waffenrechtliche Zuverlässigkeit wurde 2017 15.883-mal kontrolliert (2016: 16.689), im ersten Halbjahr 2018 dann 8.742-mal. 2017 wurden 96 waffenrechtliche Erlaubnisse widerrufen, im 1. Halbjahr 2018 waren es 46 Rücknahmen.“
Während man bei den allgemeinen Zahlen zum Waffenbesitz noch den Eindruck haben kann, Leipzig sei von diesem Waffenfieber noch nicht so angesteckt wie der ganze ostsächsische Raum, zeigt der Blick ins Detail, dass auch die Messestadt von diesem Trend zur Aufrüstung nicht wirklich ausgenommen ist. 4.551 Menschen besitzen hier eine waffenrechtliche Erlaubnis. Das ist sogar mehr als im vergleichbar großen Dresden, wo es 4.189 sind.
Dafür sind es mit 1.869 registrierten Schusswaffenbesitzern ein paar weniger als in Dresden mit 2.123.
Wobei natürlich die Aufsicht führenden Behörden nicht danach fragen, welche Gründe Menschen wirklich dazu animieren, sich eine Schusswaffe zuzulegen, ob es wirklich vor allem Sportsgeist und Jagdfreuden sind, die hier die Ursache sind. Nur wenige waffenrechtliche Erlaubnisse werden von den Behörden wieder rückgängig gemacht, 2017 insgesamt 96 sachsenweit – davon 32 allein bei sogenannten „Reichsbürgern“ und acht bei Rechtsradikalen, was sich teilweise überschneidet mit der Kategorie „fehlende Zuverlässigkeit“. Im ersten Halbjahr 2018 wurden erst 46 Erlaubnisse behördlich zurückgezogen.
„Die Menschen legen sich nicht nur immer mehr Schusswaffen zu. Auch die steigende Zahl Kleiner Waffenscheine, mit denen Reizstoffsprühgeräte und Schreckschusswaffen geführt werden dürfen, deutet darauf hin“, interpretiert Enrico Stange für sich das Bild, das sich hier ergibt.
Die Zahl der Kleinen Waffenscheine stieg gerade nach dem von panischen Debatten erfüllten Jahr 2015 in Sachsen deutlich an – von damals 5.860 auf mittlerweile 18.195. Hier kann man tatsächlich eine direkte Auswirkung der ausufernden Debatte von 2015 sehen.
Aber dass in Sachsens Wohnungen halbautomatische Schusswaffen gelagert werden müssen, erschließt sich nicht nur Enrico Stange nicht.
„Besorgniserregend ist die Zunahme gefährlicher Waffen (EU-Kategorie B und C). Hier scheinen sich irrationale Ängste und Verrohung in der Gesellschaft niederzuschlagen“, schätzt er diese Art der Aufrüstung ein. „Die Waffenbehörden sind trotz geringfügiger Personalzuwächse unterbesetzt und können keine effektiven Kontrollen durchführen – das muss sich ändern! Zudem muss gesellschaftlich darüber nachgedacht werden, inwieweit das Waffenrecht noch zeitgemäß ist. Wir brauchen eine gut ausgebildete und gut ausgestattete Polizei statt mehr Waffen!“
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