LZ/Auszug aus Ausgabe 57Die sächsische Regierung aus CDU und SPD plant eine umfassende Verschärfung des Polizeigesetzes. Anfang 2019 könnte diese im Landtag beschlossen werden. In Leipzig macht seit Ende Mai ein Bündnis dagegen mobil. Die Leipziger Zeitung hat mit Anne Kämmerer aus der Grünen Jugend und Polizeiforscherin Sophie Perthus gesprochen. Beide sind in dem Bündnis „Polizeigesetz stoppen“ aktiv.
Warum wollen Sie das sächsische Polizeigesetz stoppen?
Kämmerer: Es gibt in den letzten Jahren einen allgemeinen Trend, Sicherheitsgesetze zu verschärfen – in der letzten Legislatur waren es im Bundestag so viele wie noch nie. Dafür gibt es eigentlich keine Begründung. Die polizeiliche Kriminalstatistik zeigt, dass die Straftaten zurückgehen. Vielen Menschen ist vermutlich nicht bewusst, wie sehr die Verschärfungen in ihr Leben eingreifen. Es ist ein sperriges Thema, das wir den Menschen erklären müssen.
Perthus: Die neuen Polizeigesetze enthalten eine wahnsinnig große Anzahl an Ermittlungsbefugnissen, die noch weiter im Vorfeld von Straftaten ansetzen. Es müssen keine konkreten Gefahren oder Störungen mehr vorliegen, um das Handeln der Polizei zu rechtfertigen. Das ist problematisch, weil die Polizei mit dem staatlichen Gewaltmonopol immer selbstständiger in die Gesellschaft einwirken kann und immer mehr autoritäre statt soziale Mittel zur Konfliktlösung angewendet werden.
Welche konkreten Änderungen stören Sie?
Kämmerer: Für Kontakte und Begleitpersonen von Gefährdern gibt es einen enormen Spielraum, wo überall überwacht werden darf. Auch bei Dritten dürfen zukünftig zur Gefahrenabwehr sogar Wanzen in Wohnungen installiert werden, um eventuell relevante Gespräche mitzubekommen. Einen so krassen Einschnitt gab es vorher nicht. Wer Kontakt- oder Begleitperson ist, ist sehr schwammig formuliert. Es gibt auch neue, unscharfe Rechtsbegriffe wie „überschaubare Zukunft“. Kein Mensch weiß, was das ist.
Perthus: Die Polizei überschreitet bei der Überwachung schon jetzt immer wieder Grenzen, die im Nachhinein als nicht rechtmäßig anerkannt werden. Sie tut es aber trotzdem, weil sie in Konfliktsituationen immer wieder selbst entscheiden kann und das Gewaltmonopol bei sich trägt. Auch andere Akteure werden in die Sicherheitspolitik mit einbezogen und sollen als staatliche Exekutive autoritäre Mittel einsetzen.
Das neue Polizeigesetz sind ja eigentlich zwei Gesetze: das Polizeidienstvollzugsgesetz für die Landespolizei und das Polizeibehördengesetz für die Ordnungsämter. Diese Polizeibehörden werden aufgewertet und erhalten weitgehende Befugnisse wie Videoüberwachung und Alkoholverbot. Letzteres ist jetzt nur bei konkreten Anlässen möglich und in Zukunft auch bei abstrakten Gefahren.
Gibt es weitere Punkte, die problematisch sind?
Kämmerer: Es werden neue Befugnisse geschaffen, um Daten zu sammeln. Das ist jetzt schon problematisch und soll künftig noch ausgeweitet werden. Das führt dazu, dass Menschen verdächtigt werden, die nichts getan haben. Das ist sehr willkürlich und intransparent. Auch die Aufenthalts- und Kontaktverbote sind ein krasser Einschnitt.
Die Polizei bestimmt im Zweifelsfall, wer wann irgendwohin darf – oder nicht hin darf. Das greift tief in die Persönlichkeitsrechte ein, genau wie die Fußfessel für Gefährder.
Perthus: Es ist bereits jetzt möglich, Personen ein Aufenthaltsverbot für Plätze im Stadtgebiet zu erteilen. In Bautzen wurde ein Geflüchteter sogar für drei Monate aus der Stadt verbannt. Das war nur möglich, weil die Behörden die Verfügungsgewalt über den Wohnort des Geflüchteten hatten und ihn vorher in ein anderes Heim verlegt haben. Das wäre nicht möglich gewesen, wenn er Bautzner Bürger gewesen wäre, weil das Aufenthaltsverbot den Wohnort nicht umfassen darf. In dem neuen Polizeigesetz wäre das möglich.
Welche geplanten Änderungen sind denn sinnvoll?
Perthus: Ich persönlich habe keine Kenntnis davon, dass es etwas Sinnvolles gibt. Man kann auch nicht in das Gesetz gehen und einzelne sinnvolle Aspekte suchen. Man muss das Gesetz als Ganzes und als Ausdruck dessen, was gerade passiert, nehmen: die zunehmende Verschärfung von Polizeirecht. Forderungen aus der sächsischen Opposition und der Zivilgesellschaft wurden nicht aufgenommen: zum Beispiel nach einer wirklich unabhängigen Beschwerdestelle oder einer Kennzeichnungspflicht.
Kämmerer: Positiv wäre vielleicht einzig, dass Rechtsgrundlagen für Dinge geschaffen werden, die die Polizei jetzt schon macht.
Finden Sie die geplanten Änderungen eigentlich nur kritikwürdig oder machen sie Ihnen richtig Angst?
Kämmerer: Ich finde es sehr beunruhigend, dass der Kreis an Personen, der ohne konkreten Verdacht abgehört werden darf, so ausgeweitet werden kann – dann auch mit Rechtsgrundlage. Es ist gruselig, wenn man nicht mehr richtig kommunizieren kann, weil man Angst haben muss, abgehört zu werden. Das ist einer demokratischen Gesellschaft nicht würdig.
Perthus: Ich merke auch, dass es Momente gibt, in denen es mir Angst macht, vor allem im Hinblick auf mögliche AfD-Regierungsbeteiligungen. Aber eigentlich macht es mich vor allem traurig und wütend. Gegenwärtig ist viel Ungerechtigkeit und Härte im Umgang mit marginalisierten Gruppen, wie Geflüchtete oder nicht-rechte Jugendliche, in der polizeilichen Praxis in Sachsen erkennbar. Durch das neue Polizeirecht bekommt die Polizei dann noch mehr Macht im öffentlichen Raum und das provoziert mehr Angst für nicht-weiße oder nicht-rechte Menschen.
Um die geplanten Änderungen noch aufzuhalten, hat sich im Mai ein Bündnis gegründet, zu dessen Sprecherinnen ihr gehört. Was genau möchte das Bündnis unternehmen?
Kämmerer: Wir möchten aufklären, die Thematik in die Breite tragen und erst einmal Verständnis dafür schaffen, was dort eigentlich passiert.
Perthus: Ich glaube, dass es in Sachsen sehr viele Menschen gibt, die ein Problem damit haben, wie die Gesellschaft gerade läuft, entweder weil sie selbst betroffen sind oder weil sie merken, dass gegen ihre sozialen Probleme nichts getan wird und ihnen dafür auch keine neuen Eingriffsbefugnisse der Polizei helfen. Sinn und Zweck dieses Bündnisses ist es für mich, diese Leute zusammenzutragen.
In anderen Bundesländern gab es große Demonstrationen gegen die dort geplanten Änderungen mit vielen tausend Teilnehmenden. Wäre so etwas auch in Sachsen denkbar?
Kämmerer: Das ist auf jeden Fall ein guter Ansporn. Ich weiß nicht, ob es so viele werden, aber ich hoffe es. Bis dahin müssen wir viel Aufklärungs- und Vernetzungsarbeit leisten. Es wird bald ein bundesweites Treffen der verschiedenen Initiativen geben. Es ist ja nicht allein ein sächsisches Problem.
Bislang gab es zwei Treffen des Leipziger Bündnisses. Wie sind diese abgelaufen?
Kämmerer: Beim ersten haben wir viel über das Selbstverständnis diskutiert. Alle konnten mal aufschreiben, was ihre Ziele sind. Beim zweiten Treffen haben wir versucht, die ganzen Diskussionsinhalte zusammenzubringen. Dort haben wir auch über Grundsätze des Bündnisses gesprochen und diese verabschiedet. Danach gab es verschiedene Arbeitsgruppen, die nun an Projekten arbeiten sollen.
Das Bündnis in Bayern war sehr breit aufgestellt. Es gab viele große Demonstrationen. Das alles hat die CSU allerdings nicht beeindruckt; das Gesetz wurde im Landtag trotzdem beschlossen. Warum soll es in Sachsen anders laufen?
Kämmerer: Es gab ein riesiges zivilgesellschaftliches Bündnis, das aufgestanden ist und natürlich nachwirken wird. Es hat ein starkes Bewusstsein geschaffen, was auch in Sachsen das Ziel ist.
Perthus: Inwieweit man die Koalition in Sachsen wirklich davon abhalten kann, das Gesetz zu verabschieden, ist pure Spekulation. Aber es geht natürlich auch darum, auf die Kräfteverhältnisse bei der nächsten Landtagswahl so Einfluss zu nehmen, dass eine solidarische Alternative sichtbar wird.
Der Entwurf zum neuen Polizeigesetz in Sachsen (PDF zum Download)
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