Mit der Idee, in den Bundesländern lauter Anker-Zentren einzurichten, hat Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) eine emotionale Linie überschritten – oder die nächste Stufe der Eskalation eingeleitet, in der es als normal gilt, Menschen ohne Gründe über Monate in riesigen Sammelzentren einzusperren und von der Bundespolizei bewachen zu lassen. Dass sächsische Hardliner das begrüßen, verwundert eigentlich nicht.
Denn die Zeit seit dem desaströsen Ergebnis zur Bundestagswahl 2017 hat Sachsens CDU-Spitze nicht wirklich genutzt, sich über die Ursachen des deutlichen Absturzes der „Staatspartei“ CDU in Sachsen Gedanken zu machen – und warum alle Versuche, die rechten Hardliner von der AfD verbal zu übertrumpfen, nichts bewirkt haben. Im Gegenteil: Sie haben augenscheinlich das Wählerpotenzial der Rechtsaußen-Partei gestärkt.
Und dennoch hat der innenpolitische Sprecher der sächsischen CDU-Fraktion nichts Eiligeres zu tun, als die Seehofersche Idee zu begrüßen.
„Die geplanten Asyl-Ankerzentren sind ein konsequenter Schritt zur Erhöhung der inneren Sicherheit und Verbesserung der Verfahrensbearbeitung. Die Festlegungen im Koalitionsvertrag auf Bundesebene sind an dieser Stelle eindeutig“, findet Christian Hartmann, innenpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion.
„Für mich steht daher fest: Das CDU-geführte Innenministerium wird die notwendigen Voraussetzungen für die Umsetzung eines Pilotprojektes in Sachsen schaffen. Als Fraktion werden wir das konstruktiv begleiten. Mit großer Verwunderung nehme ich aber zur Kenntnis, dass in Sachsen durch einzelne Mitglieder der Staatsregierung der Berliner Koalitionsvertrag und die Ressortzuständigkeiten infrage gestellt werden.“
Er hat es zumindest gemerkt, dass die SPD als Koalitionspartner diese Art Lager-Denken der Union nicht mittragen will.
So schafft man erst Illegalität und Verzweiflung
Laut eines Vorschlags des Bundesinnenministeriums sollen in den sogenannten Anker-Zentren schutzsuchende Menschen bis zu 18 Monaten untergebracht werden, Familien bis zu sechs Monate, sofern sie keine vermeintlich gute Bleibeperspektive haben und über ihren Asylantrag noch nicht entschieden wurde.
Derzeit dürfen Geflüchtete – mit Ausnahme von Menschen aus sogenannten sicheren Herkunftsländern – nicht länger als sechs Monate in einer Landeserstaufnahmeeinrichtung festgehalten werden, bevor sie auf die Kommunen verteilt werden. Fünf Bundesländer, darunter auch Sachsen, haben sich bereiterklärt, Anker-Zentren als Modellversuche einzurichten.
Eine Bereitwilligkeit, die man auch beim Paritätischen Sachsen, bei der Arbeiterwohlfahrt und der Diakonie nicht teilen mag. Sie fordern die Staatsregierung auf, von den Plänen für sogenannte Ankunfts-, Entscheidungs- und Rückführungszentren (Anker-Zentren) in Sachsen Abstand zu nehmen. Diese Art der Unterbringung von Geflüchteten sei inhuman und kein Beitrag zur Integration.
„Eine bis zu 18 Monate dauernde kasernierte Unterbringung ist alles andere als ein konstruktiver Beitrag zur gelingenden Integration. Die Zeit des Aufenthalts in diesen Anker-Zentren wird insbesondere für Menschen mit unsicherer Bleibeperspektive erdrückend lang und jeder Tag ist von Ungewissheit geprägt. Wir brauchen Lösungen, wie Zuwanderung in unser Land aktiv gestaltet werden kann und wie wir beispielsweise Zugänge zum Arbeitsmarkt ermöglichen“, kommentiert Michael Richter, Landesgeschäftsführer des Paritätischen Sachsen, die Pläne, einen von bundesweit fünf Modellstandorten in Sachsen einzurichten.
Hauptkritikpunkt ist aus Sicht der Wohlfahrtsverbände die Isolation der Menschen in den Einrichtungen, da ihnen jegliche Teilhabe verwehrt wird. Für große Personengruppen bedeutet dies zukünftig, dass sie mehrere Monate bis zu eineinhalb Jahre keine Chance haben, ihre Kinder auf Schulen oder in die Kita zu bringen, selber eine Ausbildung zu absolvieren, die deutsche Sprache zu lernen oder eigene Lebensperspektiven, z.B. durch die Aufnahme einer Arbeit, zu entwickeln. Hinzu kommt der psychische Druck, der gerade auf bereits traumatisierte Personen verheerend wirken kann.
„Im schlimmsten Fall drängt man Menschen in eine Illegalität, wenn die Verzweiflung und Unsicherheit über die eigene Zukunft überhand nimmt. Zudem gibt es keinen gesicherten Zugang zu unabhängiger Asylverfahrens- und Rechtsberatung. Für unseren Rechtsstaat sollte das ein Alarmsignal sein“, warnt Christian Schönfeld, Vorsitzender des Diakonischen Werkes Sachsen.
David Eckardt, Geschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt Sachsen sagt: „Der aus dem Bundesinnenministerium kommende Vorschlag folgt einem restriktiven Verständnis von Zuwanderung, bei dem zu uns kommende Menschen weder als Hilfesuchende noch als potentieller Gewinn für unsere Gesellschaft verstanden werden. Mit derartigen Maßnahmen leitet man die Abkehr von einer humanen und rechtsstaatlichen Flüchtlingspolitik ein, bevor man die Möglichkeiten integrativer Maßnahmen voll ausgeschöpft hat.“
So wird die CDU zur Gefährderin in Sachsen
Für Irena Rudolph-Kokot, Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA) in der SPD, wird Sachsens CDU durch so einen Vorstoß selbst zur „Gefährderin für Sachsen“.
Dass Innenminister Roland Wöller (CDU) bei seinem Vorhaben nicht einmal auf die eindeutige Kritik der Gewerkschaft der Polizei (GdP) reagiert, welche den Einsatz der Beamt*innen in solchen Zentren ablehnt, verblüfft sie nur noch.
„Die Kolleg*innen der GdP haben sich in einer Resolution und etlichen Interviews klar gegen das Konstrukt solcher Zentren und gegen den Einsatz von Polizist*innen in ebendiesen ausgesprochen. Das kann ich nur unterstützen. Alle vorgebrachten Bedenken kann ich teilen. Nicht nur für Polizist*innen, deren Einsatz verfassungsrechtlich fraglich wäre, sondern auch für alle anderen Beschäftigten ist eine solches Arbeitsumfeld unzumutbar“, erklärt Irena Rudolph-Kokot, Vorsitzende der sächsischen sozialdemokratischen Arbeitnehmer*innen.
„Auch die von den Kolleg*innen verwendete Bezeichnung Lager passt aus meiner Sicht genau auf die Beschreibung solcher Zentren. In diesen sollen Geflüchtete, auch Kinder, zu Tausenden, eine lange Zeit ohne Integrationsleistungen und ohne Bildung, unter Bezug von ausschließlich Sachleistungen, auf engstem Raum isoliert werden. Neben der menschenverachtenden Komponente, welche die CDU allzu gerne ausblendet, wird dort ein Sicherheitsrisiko geschaffen und Integration wird verunmöglicht.“
In Sachsen gebe es eine gute Struktur von Erstaufnahmeeinrichtungen mit Anbindung an das BAMF, die Arbeitsagentur und an eine weitere Struktur von Ämtern zuzüglich Betreuung bis hin zum Ehrenamt, betont Irena Rudolph-Kokot. So etwas zu demolieren, bloß um die Seehofersche Idee einer Konzentration der asylsuchenden Menschen auf engem Raum zu erzwingen, hat mit vernünftiger Politik nichts mehr zu tun. Es zerstört gerade die mit viel Engagement über Jahre aufgebauten Betreuungsstrukturen.
„Diese gilt es weiter zu stärken“, sagt Irena Rudolph-Kokot. „Wir haben in Sachsen viele engagierte Menschen, die einen guten Job machen und damit zum Integrationserfolg beitragen. Die CDU sollte doch die Regierungserfolge der letzten Jahre auf diesem Gebiet loben, statt sich selbst zur Gefährderin in Sachen Sicherheit, Beschäftigteninteressen, Menschenrechte und Integration zu machen.“
Das alte verächtliche Denken der Kolonialherren steckt noch immer in den Köpfen unserer Politiker
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