Am Mittwoch, 25. April, wurde im sächsischen Landtag in einer Aktuellen Stunde über das Thema „Artensterben – wann folgt auf Wissen auch in Sachsen endlich Handeln?“ debattiert. Beantragt hatten es die Grünen. Aber Sachsens Umweltminister Thomas Schmidt (CDU) passte das Thema einfach nicht. „Es ist geradezu eine Ohrfeige für diese engagierten Bürger und Vereine, hier von einer ‚Blockade‘ zu sprechen und den Eindruck zu vermitteln, in Sachsen tue sich im Artenschutz nichts. Sachsen handelt. Ihre Debatte ist dazu nicht nötig“, sagte er in seiner Landtagsrede.
Zuvor hatte er schon die Volte geschlagen, die man von ihm kennt und die eigentlich erst zu dieser Aktuellen Stunde geführt hat, er hat die Kritik und die „pauschalen Vorwürfe gegen die Landwirtschaft als vermeintliche Verursacherin für einen Artenrückgang“ zurückgewiesen. Womit eigentlich alles wieder da war, wo es immer war: Die Staatsregierung stellt sich als hochengagiert dar, die Landwirtschaft werde „pauschal“ verurteilt, die Kritik sei also unberechtigt.
Dass nicht die Landwirtschaft in der Kritik stand, sondern der Umweltminister und sein Nicht-Handeln, vergaß man da beinah. Denn er ist verantwortlich für wirksame Pläne und ihre Umsetzung zum Schutz der Artenvielfalt. Da helfen auch die hunderte kleinen Projekte und Initiativen nichts, die er aufzählte.
„Minister Schmidt hat pauschale Vorwürfe gegen die Landwirtschaft als vermeintliche Verursacherin für einen Artenrückgang zurückgewiesen. Die Landwirtschaft hat erhebliche Akzeptanzprobleme – das ist nicht durch den moralisierenden Zeigefinger des Ministers wegzuwischen“, konterte Dr. Jana Pinka, umweltpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke, die Weißwasch-Rede des Ministers, der nicht wahrhaben will, dass einige kleine Projekte in der Landwirtschaft am Gesamtproblem nichts ändern.
Pinka: „Die Landwirtschaft bewahrt die Artenvielfalt, das Landschaftsbild und die Biotope durch die Nutzung. Andererseits verursacht sie auch zahlreiche sichtbare und nicht sichtbare Schädigungen des Naturhaushaltes.“
„Während die Landbewirtschaftung bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts zur Diversifizierung von Lebensräumen und damit zur Entstehung komplexer Agro-Ökosysteme beigetragen hat, führt ihre moderne ‚industrialisierte‘ Ausprägung bis heute zur Vereinheitlichung und Monotonisierung ganzer Landschaften mit erheblichen Auswirkungen auf die Biodiversität und den Naturhaushalt“, zitiert sie das Bundesamt für Naturschutz (BfN) in seinem Agrar-Report 2017 aus.
Es geht also nicht um „pauschale Vorwürfe“. Es geht um dringend notwendige Lösungsansätze, wie die Artenvielfalt in leergeräumten Landschaften systematisch und nachhaltig wieder hergestellt werden kann. Dazu gab es vom Minister nicht ein Wort.
„Kein Wunder, dass die Artenvielfalt auch bei Insekten auf der Strecke bleibt. Die Landwirtschaft wird über die EU-Agrarförderung maßgeblich gelenkt. Da die aktuelle Förderperiode von 2014-2020 noch andauert, sind Weichenstellungen schnell nicht zu erwarten. Dennoch gibt es Optionen, jetzt etwas zu tun.
Die Ökologischen Vorrangflächen (ÖFV) sollten aufgewertet, die ÖVF auf solche Typen eingegrenzt werden, die einen eindeutigen Mehrwert für Naturschutz erbringen. Das BfN geht davon aus, dass bundesweit auf einem Flächenumfang von 80 % der Ökologischen Vorrangflächen kaum biodiversitätsfördernde Maßnahmen durchgeführt werden“, sagt Pinka.
Denn es nutzt nichts, als Placebo mal das eine oder andere Stück Feld aus der Beackerung herauszunehmen. Es müssen stabile Strukturen entwickelt werden, die der Artenvielfalt tatsächlich verlässliche Rückzugsräume sichert.
„Grünlandumbruch muss erschwert werden und die Definition von ‚umweltsensiblem‘ Dauergrünland sollte erweitert werden, um einen besseren Schutz wertvoller Dauergrünlandbestände zu erreichen. Es muss mehr Geld in die 2. Säule, und wirklich biodiversitätsfördernde Maßnahmen müssen auch deutlich besser gefördert werden“, fordert Pinka.
„Allein von den flächenbezogenen Agrarumweltmaßnahmen aus der sogenannten 2. Säule als dem wichtigsten umweltbezogenen Förderinstrument wurden im Mittel der Jahre 2009 bis 2013 bundesweit nur auf 13 % der Förderfläche Maßnahmen mit unmittelbarer Biodiversitätsrelevanz gefördert. Schließlich muss in der kommenden GAP-Förderperiode in Sachen Biodiversität ein merklicher Sprung nach vorn gemacht werden: Nicht nur aus Naturschutzgründen, sondern insbesondere, um die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des gesamten Naturhaushaltes zu bewahren. Öffentliches Geld sollte es wirklich nur für öffentliche Leistungen geben.“
GAP ist die Gemeinsame Agrarpolitik der EU.
„Wir sollten die Debatte aber versachlichen und Lösungsansätze aufzeigen“, hatte Thomas Schmidt gesagt. Dann aber mit einem Satz gezeigt, dass er daran überhaupt nicht denkt: „Es gibt einen Artenrückgang und damit auch Handlungsbedarf, auch wenn die Zahlen der sogenannten ‚Krefelder Studie‘ und ihre wissenschaftliche Methodik nicht unumstritten sind.“
Ein Mann mit wissenschaftlicher Kompetenz wird Schmidt nicht mehr.
Es war der Grünen-Abgeordnete Wolfram Günther, der ihm dann vorhalten musste, dass die Krefelder Studie nur eine von vielen wissenschaftlichen Studien ist, die den Artenrückgang belegen.
Eine stammt direkt aus dem Wirkungsbereich von Thomas Schmidt. Aber augenscheinlich hat er den Brandbrief der Leipziger Umweltforscher nicht einmal gelesen.
In der Anhörung im Umweltausschuss des Landtages berichtete der als Sachverständige geladene Prof. Dr. Christian Wirth, Geschäftsführender Direktor des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung Leipzig, unter anderem über sogenannte Kreuzfensterfallen, mit denen die heimische Insektenfauna, u. a. Wildbienen, untersucht werden.
„Wir finden im Vergleich zu einer exakt identischen Studie von 2002 wiederholt im Jahr 2016 90 % weniger Individuen von Wildbienenarten, 86 % weniger Hummeln“, führte Wirth aus. „Es werden nicht nur weniger Individuen, sondern es werden auch weniger Arten, bei den Hummeln 58 % weniger. Der Trend ist überall sichtbar, wo man hinschaut, findet man es. Die Zeit drängt. Ich denke, der Trend der Krefelder Studie ist real.“
Oder noch komprimierter: Alle Studien zu Artenreichtum und Artenmasse, die im Kleinräumigen durchgeführt werden, bestätigen die Krefelder Studie. Umstritten ist sie nur bei Politikern, die nicht daran denken, ihre Politik zu überdenken und wirklich Lösungsansätze zu entwickeln.
Und auch der Berliner Agrarwissenschaftler und Wildbienenforscher Prof. Dr. Christian Schmid Egger hatte die Erkenntnisse der Krefelder Studie im Umweltausschuss bestätigt: „Das Artensterben ist vor allem ein Populationsrückgang. Man findet in Deutschland jede Art schon noch irgendwo – bis auf die, die ausgestorben sind; nur früher, vor 20, 30 Jahren, hat man solche Arten vielleicht an hundert Stellen gefunden, heute findet man die Art noch an drei Stellen, und das ist das Entscheidende.
Wir erleben einen massiven Populationsrückgang, und der wird natürlich irgendwann zu einem Artensterben führen. Im Moment sind die Arten alle noch irgendwo in Restbeständen da – was im Klartext bedeutet: Noch können wir bei uns etwas retten. Aber ich sage einmal voraus: In 10, 20 Jahren wird es wahrscheinlich nicht mehr der Fall sein.“
Und am Ende versteckte sich Schmidt gar noch hinter den Umweltinitiativen, die sich in Sachsen – oft gegen den massiven Widerstand der zuständigen „Umweltschutz“-Behörden für Artenschutz und den Erhalt wichtiger Biotope einsetzen: „Es ist geradezu eine Ohrfeige für diese engagierten Bürger und Vereine, hier von einer ‚Blockade‘ zu sprechen und den Eindruck zu vermitteln, in Sachsen tue sich im Artenschutz nichts. Sachsen handelt. Ihre Debatte ist dazu nicht nötig.“
Logisch, dass Günther diesem Minister eigentlich Ignoranz vorwerfen konnte.
„Es ist bisher überhaupt nicht erkennbar, dass die Koalitionsfraktionen und die Staatsregierung das Problem des Artensterbens ernst nehmen und angehen“, sagte Günther in seiner Landtagsrede.
„Am fehlenden Wissen kann es nicht liegen. Etwa die Roten Listen Sachsen werden vom Umweltministerium (SMUL) geführt. Schon 2005 etwa der Hinweis: 70 Prozent der Wildbienen sind gefährdet oder schon ausgestorben. Heute ist es 13 Jahre später. Wünschenswert wäre nur ein Bruchteil der Aufmerksamkeit und Energie, die in das Nischen-Artenschutz-Thema Wolf gesteckt wird.“
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