Wissenschaftler sind zurรผckhaltende Leute. Sie zweifeln selbst ihre eigenen Ergebnisse an, formulieren lieber vorsichtige Sรคtze, bevor sie den Politikern ins Gesicht sagen: Es ist einfach so! Akzeptiert es endlich! โ So einen vorsichtigen Satz haben Sachsens Biodiversitรคts-Forscher jetzt fรผr den unbelehrbaren Umweltminister Thomas Schmidt (CDU) formuliert. Der Satz klingt so: โDas bundesweite Monitoring ist keine Alternative zu (1) und (2).โ
Im Grunde waren die wichtigsten Institute, die sich im Freistaat seit Jahren mit der Erforschung unserer Umwelt und der bedrohten Artenvielfalt beschรคftigen, am 2. Mรคrz eingeladen in die Anhรถrung des Umweltausschusses des Sรคchsischen Landtags. Die hatten die Fraktionen von Linken und Grรผnen beantragt, nachdem im Herbst die Nachrichten รผber den groรen Insektenschwund in Deutschland Schlagzeilen machten und sich Umweltminister Thomas Schmidt in den Stellungnahmen zu den Antrรคgen der beiden Fraktionen darauf hinausgeredet hatte, die Umweltministerkonferenz habe ja ein bundesweites Insektenmonitoring beschlossen. Da brauche es keine weitere sรคchsische Initiative.
Wer den Satz in die Wirklichkeit รผbersetzt, sieht ein: โIch habe keine Lust, mich mit dem Thema zu beschรคftigen.โ
Ein Satz, der einem in der sรคchsischen Politik immer รถfter und in den verschiedensten Formen begegnet.
Und der die Abgeordneten im Landtag zur Verzweiflung bringt. Denn ihre Vorstรถรe, in Sachsen endlich eine greifbare Politik fรผr die Rettung der Artenvielfalt aufzulegen, hat nichts mit rechts und links, Opposition oder Regierung zu tun. In ihm stecken all die Meldungen der forschenden Institute, die seit Jahren nichts anderes vermelden als ein Umsichgreifen der Artenverluste. Bienen verschwinden, Schmetterlinge werden rar, Kรคfer werden immer seltener gesichtet โฆ
Deswegen wurde schon 2012 in Leipzig das Deutsche Zentrum fรผr integrative Biodiversitรคtsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig gegrรผndet, das sich thematisch um nichts anderes kรผmmert als um die bedrohte Vielfalt der Arten und โ das erzรคhlen zumindest gute Biologielehrer noch ihren Schรผlern โ den drohenden Zusammenbruch ganzer รkosysteme. Und der Artenverlust bei den Insekten ist schon lange viel weiter fortgeschritten, als es die hohe Politik zugeben mรถchte.

Es ist sehr still geworden in unseren ausgerรคumten Landschaften. Und eines attestieren die Forscher dem Umweltminister schwarz auf weiร: Er kann sich nicht hinter dem Bundesumweltminister verstecken. Er steht in der Pflicht, die Versprechen fรผr eine echte Artenschutzpolitik in Sachsen endlich in die Tat umzusetzen. Und zwar jetzt.
Im Rahmen der Anhรถrung im Sรคchsischen Landtag am 2. Mรคrz zu den Ursachen des Insektensterbens und mรถglichen Gegenmaรnahmen wurden unter anderem Wissenschaftler von iDiv, der Senckenberg Gesellschaft fรผr Naturforschung und dem UFZ gehรถrt. Einhellig betonten sie die Notwendigkeit, zรผgig zu handeln. Nach Aussage der Wissenschaftler sind sowohl Ausmaร und Tragweite des Insektenschwunds als auch dessen wesentliche Ursachen unbestritten.
Genau das, was Thomas Schmidt in seiner Naivitรคt des Agrar-Fachmannes nicht wahrhaben will. Er will lieber warten, bis der Bund irgendwann in 10 oder 15 Jahren die Ergebnisse eines bundesweiten Insektenmonitorings vorlegt. Aber dann wird es fรผr viele Naturrรคume auch in Sachsen zu spรคt sein.
Auf Basis zweier Antrรคge der Landtagsfraktionen Bรผndnis 90/Die Grรผnen und Die Linke im Sรคchsischen Landtag hatte der Landtagsausschuss fรผr Umwelt und Landwirtschaft am 2. Mรคrz in Dresden eine รถffentliche Anhรถrung der geladenen Sachverstรคndigen durchgefรผhrt. Insgesamt acht Sachverstรคndige waren dazu erschienen, unter ihnen Prof. Dr. Christian Wirth von der Universitรคt Leipzig und dem Deutschen Zentrum fรผr integrative Biodiversitรคtsforschung iDiv, Dr. Matthias Nuss vom Senckenberg Museum fรผr Tierkunde Dresden und Prof. Dr. Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum fรผr Umweltforschung (UFZ).
Drei Institutionen, die sich in ihrer Grundlagenforschung oft berรผhren. Und trotzdem bescheinigen sie der gesamten Anhรถrung eine groรe Themenvielfalt und groรe inhaltliche Substanz der Beitrรคge. Was unter Wissenschaftlern schon ein kleines Lob ist fรผr die einladenden Parteien, die ja gern auch nach politischer Sichtweise einladen. Beim Thema Biodiversitรคt ist zwar mittlerweile die thematische Bandbreite der Forschung sehr groร, das Thema ist auch fรผr politische Gremien sehr komplex โ aber รผber das Grundproblem gibt es keinen Dissens. Der Mensch hat die biologischen Grundlagen auf der Erde mit seiner Art des Wirtschaftens schon massiv geschรคdigt und wichtige รถkologische Gleichgewichte zerstรถrt.
Die anschlieรende Fragerunde war aus Sicht der Wissenschaftler ausfรผhrlich und konstruktiv.
Und es herrschte Einigkeit unter den Sachverstรคndigen darรผber, dass es einen drastischen Insektenschwund in Deutschland gibt. Wissenschaftliche Analysen kommen zu den eindeutigen Ergebnissen, dass viele Arten lang- und kurzfristig seltener werden, regional oder gar national aussterben und die Biomasse der Insekten groรrรคumig stark zurรผckgeht โ mit erheblichem Einfluss auf die Nahrungsketten in der Natur.
Die Sachverstรคndigen stimmten mehrheitlich auch darin รผberein, dass diese Entwicklungen einen Handlungsdruck begrรผndeten.
Und da kommt der sรคchsische Agrar-Minister ins Spiel, der das Thema so gern nach Berlin abspielen wollte.
Denn: Ein groรer Teil der Verantwortung liegt in der Art und Weise, wie derzeit Landnutzung betrieben wird โ von der Agrarlandschaft bis zum Privatgarten, und den Rahmenbedingungen, welche die Landwirtschaftspolitik vorgibt.
Die Problemfelder, die die Forscher beispielhaft aufzรคhlen:
โ der Verlust von Kleinstrukturen in der Landschaft und damit die zunehmende Isolierung von Lebensrรคumen
โ eine Dominanz nur weniger Kultursorten, welche das รberleben traditioneller Pflanzen- und Tierarten in Agrarlandschaften nur schwer ermรถglichen
โ der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln im agrarischen, forstlichen und privaten Bereich, die in der Regel nicht spezifisch auf Schaderreger sondern auch auf andere Organismen einwirken.
Prof. Dr. Christian Wirth, Dr. Matthias Nuss und Prof. Dr. Josef Settele betonen: โWir haben in den vergangenen Jahrzehnten massiv Insekten verloren โ das zeigen die Daten eindeutig. Die intensive Landnutzung ist eine der wichtigsten Ursachen fรผr diesen Rรผckgang. Insekten leiden unter Pestiziden und finden immer weniger Nahrung und Nistmรถglichkeiten. Um das Problem zu begrenzen, empfehlen wir, jetzt zu handeln. Wir haben konkrete Vorschlรคge gemacht, wie die Politik reagieren kann.โ
Die Handlungsempfehlungen der drei Wissenschaftler im Rahmen der Anhรถrung sind im Wesentlichen:
1) Handeln jetzt:
- a) Entwicklung und Optimierung vorhandener Maรnahmen zur Fรถrderung der Biodiversitรคt in Sachsens Agrarlandschaft;
- b) Verbesserung der Beratung der Landwirte zum Schutz der Biodiversitรคt.
2) Sachsen-spezifische Untersuchungen/Aktivitรคten:
- a) Sachsen-spezifische Zusammenstellung des handlungsrelevanten Wissens, รคhnlich dem Sachstandsbericht des Weltbiodiversitรคtsrates โ IPBES;
- b) Fรถrderung und zeitnahe Durchfรผhrung von systematischen Wiederholungsinventuren an sรคchsischen Standorten mit hochwertigen รถkologischen Daten;
- c) Praxis-orientierte Begleitforschung bei der Umsetzung von konkreten Maรnahmen gegen den Insektenschwund.
3) Nationales Monitoring: Ein nationales Monitoring โ wie von der CDU favorisiert โ ist perspektivisch wichtig. Es wird aber voraussichtlich nicht die erhoffte Ursachenanalyse leisten. Der Zeitdruck erlaubt auch nicht, auf die Ergebnisse zu warten, die kaum vor 2027 vorliegen werden. Das bundesweite Monitoring ist keine Alternative zu (1) und (2).
Es ist also eine eindeutige Aufforderung an Thomas Schmidt, jetzt wirklich ein belastbares Programm fรผr die Biodiversitรคt in Sachsen aufzulegen, die Schaffung von natรผrlichen Schutzrรคumen und zusammenhรคngenden Naturschutzgebieten endlich in Angriff zu nehmen und den Landwirten hierbei auch zu helfen. Und er kann sich nicht auf das Bundesmonitoring herausreden. In Sachsen selbst gibt es an den genannten Institutionen geballtes Forschungswissen. Das muss auch vom zustรคndigen Fachminister endlich genutzt und in nachhaltige Maรnahmen umgesetzt werden.
Schon vor Jahren war es fรผr die Insekten in Sachsen โfรผnf vor Zwรถlfโ
Schon vor Jahren war es fรผr die Insekten in Sachsen โfรผnf vor Zwรถlfโ
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Ob Anhรถrung noch der richtige Begriff ist? Das wรผrde doch voraussetzen, daร jemand aufmerksam zuhรถrt.