Was auch immer Ex-Bundeskanzlerkandidat Martin Schulz (SPD) fast zum gleichen Monat vor einem Jahr damals im Kunstkraftwerk mit seiner „Zeit für Gerechtigkeit“ gemeint haben mag, wurde am vergangenen Donnerstag im Felsenkeller mal deutlich präzisiert. Natürlich nicht von Schulz, seine Tour ist beendet und die SPD steht mal wieder vor einer weiteren Regierungsbeteiligung mit der CDU. Sahra Wagenknecht (Linke) kam, sprach und 1.200 Besucher waren knapp davor, restlos überzeugt zu sein. Denn da war er wieder – der bittere Beigeschmack von ewiger Opposition bei gleichzeitiger Meinungsmehrheit in der Bevölkerung.

Vielleicht ist die Bundesfraktionschefin Sahra Wagenknecht tatsächlich die klügste Politikerin, die die Linke derzeit vor einem so vollen Saal aufzubieten hat. Sie spricht auch in Leipzig wieder und wieder von einer „linken Sammelbewegung“, deren Kern sie auch am 22. Februar im Leipziger Felsenkeller bei ihrer Partei sieht. Was Schulz mit „Gerechtigkeit“ im Ungefähren und damit frei Interpretierbaren ließ, gibt es an diesem Abend von ihr präziser. Und sie weiß nur zu genau, wo ihre Partei seit Jahren steht, wenn es um die Machtfrage im Bund wie in Sachsen geht: am Rand, wenn auch stabil und mit Hoffnungen gerade beim durchaus jungen Publikum des Abends. Denn mittlerweile werden die Säle bei der Linken wieder voller, die Menschen suchen mehr und mehr nach Antworten – auch jenseits von CDU, AfD und SPD.

Im Osten ist ihre Partei noch immer stark, in Sachsen immerhin bei der letzten Landtagswahl 2014 mit 18,3 Prozent zweitstärkste Kraft, im Westen seither eher Wackelkandidat für die 5 Prozent-Hürde. Doch vor allem ist die Partei dank der nun in der Wählergunst geschrumpften SPD seit Jahren zur ewigen Oppositionsrolle verdonnert. Eine Ausschlussstrategie der SPD, welche mittlerweile auch für sie selbst nicht mehr aufgeht, innerhalb der Partei randalieren nun die jungen, linken Kräfte.

Doch die Linke hat es trotzdem seit Jahren in den Wahlergebnissen dort gehalten, wo die Oppositionsrolle wartet, die Ansage der Nichtkoalitionsfähigkeit der Linkspartei hat jedoch auch der SPD langfristig nichts genutzt.

Wählte man links, war dadurch selbst in den Bundesländern kaum mit einer Regierungsbeteiligung zu rechnen. Und im Bund war die SPD strikt, wählte im Zweifel lieber die Selbstmarginalisierung in den Armen der Bundes-CDU. „Realpolitik“ statt einer linken Alternative hat auch die Linkspartei ohne Machtoption in so manchen Wahlkampf ziehen lassen.

Wagenknecht sucht jedoch seit einiger Zeit einen Sammelpunkt für Positionen, die sie in der Mehrheit der Bevölkerung sieht. Nur ergeben eben diese keine Mehrheiten in der Regierung. Doch, so Wagenknecht, „Es bringt nichts, wenn immer mehr Menschen sich nicht mehr repräsentiert fühlen. Viele machen aus purer Wut ihr Kreuz bei der AfD.“ Rentengerechtigkeit ist eine der Fragen, Hartz IV-Abschaffung, deutliche Investitionen in der Bildungs-, Steuer- und Friedenspolitik.

Sahra Wagenknecht zur Wirkung von Hartz IV. Video: L-IZ.de

Letztere auch zu ihrer Überraschung nun bestätigtermaßen durch Angela Merkel längst mit Platz 2 bei den Auslandseinsätzen hinter den USA wohl kaum noch als Friedenspolitik zu sehen. Die nun überall geforderte Ausstattungsoffensive für die Bundeswehr ergäbe sich wohl nur daraus, dass man eben überall auf der Welt mitspielen will. Während zu Hause und in Europa angeblich das Geld fehlt.

„Warum wird eine Politik gemacht, die ganz klar nicht im Interesse der Mehrheit ist?“, die Frage, die Wagenknecht umtreibt. Boomende Leiharbeit, Kettenbefristungen, Lohngefälle und rund 9 Millionen Menschen unter 10 Euro Stundenlohn bis hin zu der Frage, wie eigentlich Ghettos mit vererbter Armut bereits längst gewachsen sind. Langsam entsteht in einer rund 60-Minüten Rede ein Bild von Deutschland, was man logisch nachvollziehen kann, auch wenn es ein düsteres ist.

Vor allem bei der Logik des Drucks, welcher allein durch die Angst vor Hartz IV und Billiglöhne im Gefolge entstanden ist, bleibt so bestechend richtig, wie nun seit Jahrzehnten klar.

Sahra Wagenknecht zum vor allem für den Osten wichtigen Rententhema. Video: L-IZ.de

Und es wird so weitergehen, auch, weil aus Sicht Wagenknechts im Koalitionsvertrag nichts daran verändert wird. Logisch, dass sie die SPD-Mitglieder zum Nein bei der GroKo-Abstimmung aufruft. Und es fällt der Vorwurf, welchen sich die SPD tatsächlich seit der Agenda 2010 gefallen lassen muss: neoliberale Politik zu betreiben, auf Kosten all derer, die sich an den Tafeln des Landes drängeln, die mit Kleinstrenten ins Alter gehen und in befristeten Anstellungen kaum gewerkschaftlich organisieren werden.

Was letztlich zum eingangs geschilderten Problem führt: Wie anders könnte demnach wohl die „Sammlung auf linker Seite“ aussehen, als ein konsensfähiges Angebot an linke Sozialdemokraten. Die Führungsspitze der SPD hat noch immer keine Lust, mal nach links zu schauen und starrt mittlerweile lieber auf runde 15 Prozent Zuspruch im Bund und eine einzige Machtoption für sich: mit der CDU.

Sahra Wagenknecht über Bildung, Wohnen und vererbte Armut. Video: L-IZ.de

Am Ende tosender Applaus im Felsenkeller und eine interessante Fragerunde im Anschluss. Man könnte es Kampfesmut nennen, hier an dem Ort, wo einst bis 1933 immerhin Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Clara Zetkin und Ernst Thälmann schon Reden vor rammelvollem Hause hielten. Ein Heimspiel in Leipzig wie es wohl derzeit keine der beiden Volksparteien in Besucherzahlen und Emotionen auf die Beine bekommt.

Bleibt natürlich noch immer die Frage, warum sich einst viele Deutsche den Nationalsozialisten zuwandten und anschließend den eigenen Zivilisationsbruch so rasch und gründlich vergessen wollten. Und es heute wieder tun, ganz so, als ob man von Neoliberalismus und Menschenverachtung nicht genug bekommen kann: Fast zeitgleich mit dem Auftritt Wagenknechts besagten neue Wahlumfragen ein Potential der AfD bei der Landtagswahl im Spätsommer 2019 in Sachsen erstmals auch vor der CDU stärkste Kraft zu werden. Mal wieder scheint eine rechtsradikale Kraft das Erbe von einer Partei anzutreten, welche sich auch einst als „Zentrum“ ansah.

Die vollständige Rede von Sahra Wagenknecht am 22.02.2018 im Felsenkeller als Audio zum Nachhören

 

Die Fragerunde und Debatte mit Sören Pellmann und Sahra Wagenknecht vom 22.02.2018 im Felsenkeller als Audio zum Nachhören

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