Vielleicht bekommt Sachsen tatsächlich einmal eine Übersicht darüber, wann und warum junge Leute ihr Lehramtsstudium an sächsischen Hochschulen hinschmeißen. Denn die Lehrerausbildung ist in Sachsen eine Art Black Box, was für Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange (SPD) nicht ganz neu ist. Trotzdem musste sie den Sprecher für Hochschul- und Wissenschaftspolitik der Linksfraktion im Landtag, René Jalaß, erst einmal vertrösten.
Der hatte vor Weihnachten bei der Staatsregierung angefragt: „Wie viele Studierende, welche in einem Lehramtsstudiengang an den sächsischen Hochschulen eingeschrieben waren, beendeten seit 2012 ihr Studium ohne Abschluss?“
Keine unwichtige Frage in einer Zeit, wo der Kultusminister händeringend nach Lehrern sucht und selbst hunderte Seiteneinsteiger nicht ausreichen, um die aufreißenden Löcher in der Lehrerversorgung zu stopfen.
Was die Nachfrage von Jalaß dann freilich ergibt, ist die ernüchternde Einsicht, dass Sachsen tatsächlich ein Problem bei der Lehrerausbildung hat. Seit 2012 sind die Zahlen der Studienanfänger im Lehramt im freien Fall. Begannen 2012 noch 2.988 junge Menschen ihr Lehrerstudium an einer sächsischen Hochschule, waren es 2016 nur noch 2.100. Was trotzdem genug wäre, um den jährlichen Bedarf von 1.600 bis 2.000 Lehrkräften an Sachsens Schulen zu decken.
Aber jedes Jahr musste das Kultusministerium aufs Neue vermelden, dass es wieder etliche Stellen nicht besetzen konnte. Und seit 2016 wird ein Großteil der Stellen nun schon mit Seiteneinsteigern besetzt, also Menschen, die zwar eine fachliche Eignung mitbringen – aber keine pädagogische Ausbildung oder oft gar Befähigung.
Lehrer sind in einer Gesellschaft, die von sich behauptet, eine Informations- und Wissensgesellschaft zu sein, eigentlich der wertvollste Berufsstand. Jede Landesregierung müsste sie hegen und pflegen und vor allem dafür sorgen, dass auch genug junge Lehrkräfte auf höchstem Niveau jedes Jahr ausgebildet werden.
Die Zahlen suggerieren, dass genug ihr Studium beginnen.
Aber wo bleiben sie dann? Das ist auch das große Rätsel, das René Jalaß umtreibt und auf das auch die Wissenschaftsministerin keine Antwort weiß, weil sich zuvor niemand in der Regierung auch nur die Bohne dafür interessiert hat, was aus all den enthusiastischen Studienanfängern an Sachsens Hochschulen überhaupt wird. Viele verschwinden einfach aus der Statistik, lassen sich exmatrikulieren, weil sie überfordert sind oder das Studium doch das falsche ist oder weil sie die Hochschule wechseln oder weil das Geld nicht mehr reicht zum Studieren.
Genauer wird das nicht untersucht, obwohl die Zahlen, die Eva-Maria Stange 2016 schon auf eine Anfrage von René Jalaß lieferte, zumindest nachdenklich machen. Denn danach wurden jedes Jahr über 8.000 Studierende ohne Hochschulabschluss exmatrikuliert, rund 4.000 exmatrikulierten sich selbst, ohne dass sie einen Abschluss erreicht hatten. Und das waren nur die Zahlen bis 2009. Danach stiegen ja die Studierendenzahlen noch weiter an – damit aber auch die Exmatrikulationen ohne Abschluss, auf rund 15.000 im Ganzen. Jedes Jahr.
Und irgendwo darin die Lehramtsstudenten, nach denen Jalaß jetzt direkt gefragt hat.
Aber Zahlen zu deren Studienabbruch gibt es noch keine, erwiderte Eva-Maria Stange: „Zu diesen Angaben liegen momentan keine belastbaren Angaben vor. Studierende,
die ihr Studium abbrechen, werden bislang in keiner amtlichen Statistik erfasst, weil dazu die gesetzlichen Grundlagen fehlten. Wenn die Neuerungen des novellierten Hochschulstatistikgesetzes greifen, wird erwartet, dass dann entsprechende Zahlen im Rahmen der Studienverlaufsstatistik vorliegen werden.“
So ist das in Sachsen. Oder besser: So war es bisher. Die Staatsregierung steuerte einfach auf Sicht, stellte irgendwie ausreichend Studienplätze für Lehramtsstudierende bereit, interessierte sich dann aber nicht die Bohne dafür, ob die jungen Leute mit der Studienwahl zufrieden waren, sich gut betreut fühlten und am Ende gar einen guten Abschluss schafften. Oder die richtigen Abschlüsse. Sachsens Kultusministerium brachte es ja bis in die Gegenwart hinein fertig, fertig studierte Pädagogen abzulehnen, wenn deren Profil nicht passte.
Das Lehramtsstudium ist zwar ausdifferenziert – von Grundschule über Oberschule und Gymnasium bis Förderschule. Aber es herrscht das gleiche vernagelte Denken wie im Schulsystem selbst, wo die Kinder ja teilweise schon vor Eintritt in die Schullaufbahn sortiert werden und spätestens nach Klasse 4 das Lebensschicksal besiegelt ist.
Die Logik, ein breit aufgestelltes Grundlagenstudium für angehende Lehrer zu schaffen und ihnen dann die Spezialisierung zu überlassen (mit klarer Orientierung auf den tatsächlichen Bedarf), scheint im CDU-Land Sachsen einfach nicht umsetzbar.
Das Ergebnis ist entsprechend belämmert: Es gibt nicht genügend ausgebildete junge Pädagogen, um die immer weiter aufreißenden Versorgungslücken zu schließen. Und niemand weiß, wo die ganzen Studienanfänger abgeblieben sind.
Das ist nach Jahren der erkannten Malaise schon ziemlich frappierend.
Die Anfrage von René Jalaß zu „Studienabbruch Lehramtsstudiengänge“. Drs. 11252
Keine Kommentare bisher
Besonders interessant erscheint mir an der Antwort der Staatsregierung, dass die Nennung von Gründen der Exmatrikulation offensichtlich nur Vermutungen wie Überforderung, Interessenwechsel oder Geldmangel darstellen. Ich würde der Unvollständigkeit halber gerne folgende weitere Vermutung anstellen: Vielleicht sind die Studierenden auch einfach sehr schlau und machen in Sachsen alle Module ihres Studiums um dann kurz vor Ende des Studiums in ein Bundesland zu wechseln in dem sie statt einer Examensarbeit und unzählichen mündlichen und schriftlichen Prüfungen nur eine einzige Masterarbeit zur Erlanung eines ähnliches Abschlusses machen müssen. Aber ich schließe ich mich der Staatsregierung an, dies kann man nur vermuten!