Selbst 60 Prozent der CDU-Wähler sind dafür, dass Sachsen ein längeres gemeinsames Lernen der Kinder ermöglicht. Das war das Ergebnis einer von der Linksfraktion 2017 in Auftrag gegebenen Umfrage. Und zumindest einen Abgeordneten aus der CDU-Fraktion hat das zum Nachdenken gebracht. Denn wirklich Gründe, dass Sachsen nicht über längeres gemeinsames Lernen nachdenkt, gibt es nicht.
Andreas Heinz, Vorsitzender des Arbeitskreises für den ländlichen Raum, Umwelt und Landwirtschaft in der CDU-Fraktion, hat noch im Dezember eine ganze Reihe von Anfragen an die Staatsregierung formuliert, um herauszubekommen, welche Auswirkungen ein zwei Jahre längeres gemeinsames Lernen auf die Schulstandorte in Sachsen haben würde.
Und das hätten sie. Das ist ihm als Abgeordneter, der sich um den Erhalt der ländlicen Räume sorgt, nur zu bewusst. Und selbst in der letzten Ecke Sachsens weiß man inzwischen, wie wichtig die Schule im Dorf eigentlich ist – nicht nur die Kirche. Vielleicht hätte er das in seinen drei Anfragen zu Grundschulen, Oberschulen und Gymnasien betonen sollen. Denn in der sächsischen Bildungsbürokratie ist das Stichwort “Gemeinschaftsschule” ein Reizwort. Da gehen sofort die Schotten hoch und die ganze Verwaltungsbürokratie geht auf Abwehr. Auch mit falschen Begründungen.
Da hilft auch nicht, dass mit Christian Piwarz seit Dezember ein neuer Mann im Kultusministerium die Verantwortung trägt. Sämtliche Antworten, die Andreas Heinz bekommen hat, erzählen davon, dass ein Umbau des sächsischen Schulsystems für zwei Jahre längeres Lernen der Kinder sehr wohl möglich ist. Man muss nur Ressourcen neu verteilen. Grundschulen werden wieder größer, weil dann – so zumindest die Fragegrundlage von Andreas Heinz – die Kinder eben nicht nur vier, sondern sechs Jahre gemeinsam lernen. Oberschulen und Gymnasien würden um die zwei Jahrgänge schrumpfen.
Natürlich kann niemand sagen, was es kosten würde. Christian Piwarz: “Der Investitionsbedarf des kommunalen Schulträgers wäre abhängig vom jeweils notwendigen zusätzlichen Raumbedarf an jedem einzelnen Grundschulstandort. Dieser Raumbedarf wäre ggf. des Weiteren davon abhängig, ob die Nutzung frei werdender Raumkapazitäten an den weiterführenden Schulen – Oberschule und Gymnasium, die dann zwei Klassenstufen weniger aufzuweisen hätten – möglich wäre. Eine generelle Beantwortung dieser Frage ist dem Sächsischen Staatsministerium für Kultus daher nicht möglich.”
Aber sicher ist, dass viele Bürgermeister und Landräte genau so en Projekt freudestrahlend anpacken würden, weil sie damit wertvolle Grundschulstandorte in ihrer Region langfristig sichern könnten.
Dumm nur, dass die SPD im Koalitionsvertrag etwas unterschrieben hat, was niemals ihr eigentliches Bildungsprogramm war. In der Antwort von Piwarz wird es genüsslich zitiert: “Alle Kinder haben Anspruch auf erstklassige Schulbildung. Dafür wollen wir eine Bildungspolitik gestalten, die Bewährtes beibehält und sinnvolle Neuerungen mit Augenmaß auf den Weg bringt. … An der achtjährigen gymnasialen Ausbildung halten wir fest.”
Dabei sind auch 69 Prozent der SPD-Wähler für ein längeres gemeinsame Lernen. Das Festhalten am achtjährigen Gymnasium zementiert nur das alte Tonnage-Denken im Bildungssystem. Obwohl allen Beteiligten bewusst ist, dass sich die Lernleistungen aller Kinder erhöhen, wenn sie länger gemeinsam lernen und einander anspornen. Die Sachsen selbst gehen sogar noch weiter: 51 Prozent der Befürworter des längeren gemeinsamen Lernens befürworten sogar ein gemeinsames Lernen bis zur 8. Klasse.
Dass die Lernergebnisse an vielen Oberschulen heute so schlecht sind, hat ja mit dem mittlerweite verbreiteten Gefühl zu tun, dass hier die “Abgehängten” versammelt sind. Lehrer kämpfen vergebens gegen die Null-Bock-Stimmung in den Klassen an.
Und das alles, weil man in Westdeutschland bis heute glaubt, die Kinder würden – nach Leistungsniveau sortiert – besser lernen. Doch die Lehrpläne sind mit Wissenballast vollgestopft. Da gehen die Grundlagen – das Lernen des Lernens selbst – schlicht verloren.
Es sind nicht die Lehrer und Eltern, die einer Veränderung im Bildungsystem entgegenstehen. Dass der Umbau Zeit kostet – keine Frage. Die Veränderung der Schulkapazitäten braucht genauso Zeit wie die Ausbildung der richtigen Lehrer. Sieben Jahre würde ein entsprechender Umbau der Lehrerausbildung dauern, teilt Piwarz mit.
Das heißt: Wenn der Landtag heute ein längeres gemeinsames Lernen beschließen würde, hätten alle Beteiligten sieben Jahre lang Zeit, dafür die personellen und räumlichen Bedingungen zu schaffen. Nur an den Hochschulen müsste die Umstellung schneller gehen, denn die nötigen Grundschullehrer würden ja von Anfang an so ausgebildet werden müssen.
Oder auch nicht.
Denn ein Hauptproblem in der sächsischen Lehrerausbildung ist ja das mittelalterliche Spartendenken: Lehrer werden nach Schulart getrennt ausgebildet, statt ihnen eine für alle Schularten gültige Grundausbildung zu geben, bevor sie sich spezialisieren.
Und dann wird die eigentliche Angst im Bildungsministerium sichtbar, wenn Piwarz schreibt (oder wohl besser: schreiben lässt): “Bei massiven Eingriffen in die derzeit bestehenden Studiengänge bedürfte es einer umfassenden Abstimmung mit den lehramtsausbildenden Hochschulen, die das Überwinden massiver Widerstände auf Seiten der Hochschulen einschlösse.”
Und auch bei den berechtigten möglichen Wünschen der Kommunen nach finanzieller Unterstützung verbreitet das Ministerium erst einmal Panik:
Piwarz: “Derartige Veränderungen wären sowohl im Hinblick auf die Anpassung der schulischen Infrastruktur der kommunalen Schulträger als auch hinsichtlich der Veränderung des Personalkörpers der Lehrkräfte für die Schularten in ihren Wechselwirkungen äußerst komplex und würden hinsichtlich der Investitionsbedarfe erhebliche Forderungen der kommunalen Schulträger nach deren vollständiger Finanzierung durch den Freistaat im Rahmen des Mehrbelastungsausgleichs nach Artikel 85 Absatz 2 Satz 2 der Verfassung des Freistaates Sachsen nach sich ziehen, weil das Land die Veränderung des Schulsystems im Sinne der Fragestellung verursacht hätte.”
Das heißt: Sachsen handelt deshalb nicht, weil ein moderneres Schulsystem Investitionskosten verursachen würde? Da behält man lieber ein altes System bei, das die meisten Sachsen gar nicht wollen?
Mit diesen Antworten hat sich das Kultusministerium auch unter dem neuen Kultusminister ein weiteres Mal lächerlich gemacht. Das ist wie der Schüler, der sich vor der Matheprüfung drückt, weil er befürchtet, dort alles zu vermasseln, und dafür lieber die 6 in Kauf nimmt. Lieber schlecht in Mathe, als nur einmal richtig angestrengt. Das ist das sächsische Kultusministerium.
Die Anfrage von Andreas Heinz (CDU) zu “Längeres gemeinsames Lernen in der Grundschule”. Drs. 11550
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Dazu kommt, dass Schülern, die in einer vollen Gymnasialklasse sitzen und dort nicht mitkommen, auch nur der Gang auf die Verliererschule anempfohlen wird. Denn Förderung ist auch nicht möglich, dafür umso eher der Abstieg während der Orientierungsphase (Klassen 5 und 6). Es mag jede froh sein, die ihre Kinder aus der Schule heraus hat – solange sie dann nicht verklärt und die Parteien des Weiter-so wählt!