LZ/Auszug aus Ausgabe 49Derzeit starren viele wie gebannt auf die Vorgänge rings um die Regierungsbildung auf Bundesebene. Doch während sich die Bundesparteien mit Ende der ersten Sondierungen am frühen Morgen des 20. November in grundlegenden Neuorientierungen befinden, dürfte neben Bayern vor allem Sachsen in den kommenden 18 Monaten ein hochinteressantes Politikfeld werden. Nicht zuletzt der einzigartige Erfolg der AfD mit 27 Prozent bei der Bundestagswahl 2017, vor allem in den ländlichen Gebieten rings um Dresden erzielt, und die darauf einsetzende Krise innerhalb der Sachsen-CDU haben das Gesamtgefüge im Freistaat verschoben. Wohin dabei die Linkspartei steuert, hat die LZ in einem langen Interview nachgefragt.
Sachsen scheint eine Art „Labor“ mit Frühwarnfunktion für viele Parteien geworden zu sein. Während sich die Sachsen-CDU personell mit Michael Kretschmer versucht an der Spitze neu aufzustellen und die SPD im Hintergrund Teile des Koalitionsvertrages neu zu verhandeln, orientiert sich auch die Linke um. Mit immerhin 18,9 Prozent bei der letzten Landtagswahl 2014 ist sie die zweitstärkste Kraft in Sachsen und hat Anfang November einen Richtungsparteitag hinter sich gebracht. Zwei Hauptfragen standen dabei an: Wer folgt auf den turnusmäßig ausscheidenden Parteichef Rico Gebhardt als neue(r) Parteivorsitzende(r) und wohin steuert die Linke in den kommenden Monaten?
Die Frage der neuen Spitze ist geklärt: Antje Feiks ist die neue Frontfrau der sächsischen Linkspartei und stand uns Rede und Antwort. Wohin also geht’s in unruhigen Zeiten? In welcher Rolle sieht sich die Linkspartei in Sachen AfD und wie steht sie zur CDU und der derzeit mitregierenden SPD? Das Interview erschien zuerst am 24. November 2017 in der aktuellen LEIPZIGER ZEITUNG.
Am Samstag, 4. September, sind Sie zur neuen Landesvorsitzenden der Linken in Sachsen und damit zur Nachfolgerin Rico Gebhardts gewählt worden. Im Vorfeld gab es ein knappes Rennen gegen André Schollbach. Wie sehen Sie die Situation des Landesverbandes nach der Wahl im Licht dieser Gegenkandidatur?
Zunächst: Es ist vollkommen legitim, wenn es für ein Amt mehrere Kandidaturen gibt. Es ist eine Wahl. Und gerade in der Linken gehört das dazu. Ich nehme allerdings zur Kenntnis, dass es mit der Kandidatur von André Schollbach und den Unterstützer*innen, die sich dahinter versammelt haben, einen erheblichen Kreis innerhalb des Landesverbandes gibt, der Veränderungen will.
Viele haben sich im Vorfeld und auf dem Parteitag dahingehend geäußert, dass wir als Linke die CDU mehr treiben müssten, dass wir dem Rechtstrend etwas entgegensetzen müssten und unsere Oppositionsrolle besser ausfüllen sollten. Im Grunde sind das Forderungen, die ich in Anbetracht der Wahlergebnisse zur Bundestagswahl, aber auch generell der letzten Wahlen, teile. Die Frage ist, wie wir das hinbekommen.
Und genau hier liegt der Hase im Pfeffer. Die Frage des Wie müssen wir jetzt gemeinsam beantworten. Und zwar alle. Denn es geht um die Zukunft der Linken in Sachsen. Ich bin sehr gespannt, ob und welche Vorschläge dafür kommen. Ich habe einige Vorschläge unterbreitet und bin für weitere Vorschläge sehr offen. Ich hoffe, dass hier alle, so wie sie es versprochen haben, mitziehen.
Im Rahmen Ihrer Bewerbung um den Landesvorsitz haben Sie speziell die Lage und Situation in Sachsens kleineren Gemeinden thematisiert. Was genau hat die Linke Sachsen nun im ländlichen Raum vor und mit welchen Forderungen wollen Sie in den kommenden Monaten auftreten?
Hierfür liegen bereits erste Ideen auf dem Tisch. Seit ungefähr 10 Jahren reden wir darüber, dass wir gerade in ländlicheren Regionen an Zuspruch verlieren. Aber konkret untersetzt hat die Partei als Ganzes nie, ob und wie sie dem begegnen könnte. Mir geht es in erster Linie darum, in Orten, in denen es nicht per sé politische Angebote gibt, ins Gespräch zu kommen. Darüber zu reden, was Unzufriedenheit hervorruft. Den einfachen Antworten von rechts, wie „Grenzen dicht!“ etwas entgegenzusetzen.
Wir punkten gut in Städten, das soll auch so bleiben. Aber wir wollen eine Partei für ganz Sachsen sein und das heißt für mich, auch dahin zu gehen, wo es wehtut. Dorthin, wo wir zu lange nicht waren. Dorthin, wo man uns auch heftig kritisiert. Schon im Vorfeld des Landesparteitages gab es dazu aus den Reihen der Abgeordneten, aber auch aus der Partei große Bereitschaft, einen solchen Weg mitzugehen. Vermutlich werden wir bei unseren Versuchen auch auf die Nase fallen, aber wir werden bestimmt auch Anknüpfungspunkte finden.
Wie müssen Großstadtbewohner in Chemnitz, Leipzig und Dresden den kommenden Kurs der Linken verstehen, welche Ziele hat die Linke für die Ballungszentren Sachsens? Unsere politische Anknüpfungsfähigkeit an ein urbanes Milieu wollen wir gar nicht infrage stellen. Aber man muss zur Kenntnis nehmen, dass es – neben urbanen Hochburgen – auch in Großstädten ein Anspracheproblem gegenüber Menschen gibt, die eigentlich zu unserer Kernwähler*innenschaft gehörten. Da müssen wir ran. Allerdings: In den großen Städten gelingt es uns schon heute durch unsere Stadträte und durch unsere Abgeordneten Präsenz zu erzeugen. Das muss so bleiben.
Darauf können wir stolz sein. Wir können in den Großstädten zeigen, dass wir reale Veränderungen herbeiführen. Weiterhin gehen wir dort in die Wohngebiete, es haben teilweise Haustürwahlkämpfe als Testlauf stattgefunden. Das ist alles richtig und darf nicht zurückgefahren werden. Ich sage nur, dass wir ebenso funktionierende Konzepte in ländlicheren Regionen brauchen, auch in Mittelzentren. Und auch unsere politischen Ideen ein wenig mehr darauf ausrichten.
In Leipzig ist die Forderung nach kostenfreiem ÖPNV richtig und sinnvoll. In ländlicheren Regionen geht es eher darum, ob überhaupt ein Bus fährt. Und das an vielen Stellen mitzudenken, gelingt uns noch nicht.
Die Neuwahl des Landesvorsitzes geschah auch unter dem Eindruck der zurückliegenden Bundestagswahl und der kommenden Landtagswahl 2019 in Sachsen. Rückblick: Die AfD wurde auch am 4. November auf dem Parteitag mehrfach thematisiert – wie will die Linke dem Aufstieg der Blauen in Sachsen begegnen?
Dafür sind zwei Dinge dringend nötig. Zum einen brauchen wir Partner*innen und eine Art Bündnis der Humanst*innen in Sachsen. Immerhin die Hälfte der Menschen meint eben nicht, dass Ausgrenzung von Menschen, weil sie woanders herkommen, in Ordnung ist. Im Gegenteil. Hier müssen wir und vermutlich auch alle anderen, denen eine Weltanschauung wichtig ist, die darauf basiert, dass alle Menschen gleich sind, über ihre Schatten springen.
Das ist ja erst mal nicht links, sondern menschlich. Es geht dabei gar nicht zuerst darum, sich programmatisch, also im Detail anzunähern, sondern es geht um Haltung. Wollen wir ein demokratisches, humanistisches und solidarisches Sachsen und warum ist das die einzige Perspektive, die wir haben.
Zweitens brauchen wir selbst schlüssige Konzepte, die Menschen eine Perspektive geben, die untersetzen, dass es auch anders geht. Dabei müssen wir über ein Sozialsystem des 21. Jahrhunderts reden, über sich verändernde Bedingungen am Arbeitsmarkt, was zunehmende Flexibilisierung, Digitalisierung, Globalisierung mit Arbeitnehmer*innen macht, was arbeiten in 10 Jahren heißt. Rechts hat dafür Antworten, ziemlich einfache. Und sie sind im Kern falsch. Sie negieren, dass es eine Welt um Deutschland gibt, die uns beeinflusst.
Wir müssen als Gesamtpartei hier Maßstäbe setzen und Antworten diskutieren. Wir müssen aber auch in Sachsen als Linke mehr aus dem Korsett des Bestehenden raus. Und mehr über derzeitige gesetzliche Rahmenbedingungen hinausdenken. Die Rahmenbedingungen sind nicht unsere, sondern wurden von der CDU mit wechselnden Koalitionspartnern verzapft. Schon deshalb dürfen sie nicht unser Maßstab sein. Wir kritisieren diese seit Jahren und engen uns gleichzeitig durch Akzeptanz selbiger ein. Sachsen braucht grundsätzliche Veränderungen. Der Ausgangspunkt kann für uns Linke nur sein: was brauchen die Menschen in Sachsen, was die sächsische Gesellschaft.
Was sind die Hauptziele und Forderungen der Linkspartei unter Ihrer Führung für die kommenden Jahre?
Mein Hauptziel ist, dass wir in Sachsen nicht nur Parlamentspartei sind, sondern unsere gesellschaftliche Rolle wieder mehr begreifen und annehmen. Parlament ist nur ein kleiner Teil von Politik. Wir haben zu lange den Eindruck erweckt, dass mit der Wahl der Linken alles gut werden würde. Klar, hätten mehr Menschen gewählt, um Mehrheiten zu schaffen, wäre es das vielleicht.
Aber nach 27 Jahren in der Opposition sagen uns Menschen eben auch, dass wir unser Versprechen nicht einlösen konnten. Und das stimmt. Es darf nicht darauf ankommen, Gesetze und Anträge in Hülle und Fülle für den Papierkorb zu produzieren, sondern denjenigen eine Stimme zu geben, die Vertrauen in uns gesetzt haben. Ich glaube, dass Menschen resignieren und das Gefühl haben, dass alles seinen unveränderlichen Lauf nimmt. Ja, wenn man Die Linke wählt, wird dadurch nicht automatisch alles gut. Aber man macht eine Kraft stark, die sich entschieden für die Interessen der Menschen in diesem Land einsetzt und mit ihnen gemeinsam für andere gesellschaftliche Mehrheiten kämpfen will.
Dabei will ich auch, dass wir unsere eigenen Forderungen innerparteilich besser umsetzen. Politik muss verständlich sein. Das heißt, dass wir es schaffen müssen, unsere politischen Vorschläge besser zu formulieren und wegmüssen von diesem unsäglichen Politiksprech.
Ich will, dass wir innerparteiliche Demokratie leben und Entscheidungen auf breitere Füße stellen als bisher. Ich wünsche mir, dass wir als Partei und unser gesamtes Auftreten authentischer ist. Genau deshalb ist es wichtig, dass wir uns darauf konzentrieren, dass es auch andere Möglichkeiten gibt, wie man Sachsen und auch die Bundesrepublik gestalten kann. Und das auch selbst leben.
Vorschau: Derzeit scheint die SPD in der Regierungskoalition mit der CDU einen schärferen Kurs einzuschlagen. Die FDP könnte wieder in den Landtag einziehen und die Grünen liegen derzeit bei maximal 5 %. Wie steht es aus Ihrer Sicht um die Chancen eines Regierungswechsels 2019 in Sachsen und eine Annäherung zwischen SPD und Linkspartei im Freistaat?
Sachsen ist seit Jahren extrem monolithisch. Es gab zwischen den Blöcken Mitte-Links und Mitte-Rechts kaum Verschiebungen. Das haben die Parteien zu einem großen Teil selbst verzapft, auch wir. Mir geht es darum, dass wir für uns metern. Dass wir vernehmbarer sind als die Kraft im Landtag und auch im Bundestag, die grundsätzliche Veränderungen will. Klar ist die SPD für uns ein potentieller Bündnispartner und die Kontakte stehen. Ich glaube auch, dass sich Teile der SPD mit mir ein Aufeinanderzugehen vorstellen können. Dafür müssen wir uns aber erst einmal verständigen und uns selber wachrütteln. Dann kommt der nächste Schritt.
Derzeit sucht auch die CDU offenbar nach neuem Personal und einer neuen Ausrichtung. Wie bewerten Sie den aktuellen Kurs des designierten Ministerpräsidenten Michael Kretschmer und der CDU allgemein im Vorfeld der vermutlichen Wahl Kretschmers am 13. Dezember?
Herr Kretschmer ist in Sachsen besonders dafür aufgefallen, dass er den rechten Rand der CDU vertritt. Jede Initiative in Richtung noch konservativer, noch weniger Zuwanderung, noch weniger Sozialstaat, noch mehr sächsische Identität wurde von ihm mitgetragen. Mehr noch hat er es nicht vermocht, mit seiner CDU Arbeitsplätze in Sachsen langfristig zu halten. Er gehört auch zu denjenigen in der CDU, die am rechten Rand gefischt haben und dachten, damit die AfD kleinzuhalten. Die Menschen wählen aber das Original. Damit ist er Bestandteil des Problems, welches Sachsen hat, dass rechtspopulistische Äußerungen so sehr verfangen.
Es ist in Sachsen okay, am Stammtisch über Ausländer herzuziehen und sie als schlechtere Menschen zu bezeichnen. Er hat an einem gesellschaftlichen Klima mitgearbeitet, welches ‚Deutsche zuerst‘ und Ellenbogenmentalität zwischen den Schwächsten befördert.
Nicht arm bekämpft reich, sondern Gruppen, die nur wenig zum Leben haben, bekämpfen sich untereinander. Das sind alles keine guten Vorzeichen. Vielleicht wird alles ganz anders. Aber ein Ministerpräsident der Sachsen, der alle Menschen im Blick hat, ist Herr Kretschmer nicht. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass er sieht, wie sehr die Schere zwischen Arm und Reich auseinanderklafft und dass wir dort ein Problem haben. Ich sehe auch nicht, dass er die Unterschiede zwischen den einzelnen Regionen im Blick hat und dort mit der CDU schlüssige Konzepte vorlegt.
Was er hingegen gut machen wird, ist die nächsten zwei Jahre zu nutzen, um Wahlgeschenke zu verteilen. Die vielleicht ihre Wirkung haben am Wahltag, aber auf lange Sicht nicht weiterhelfen.
Halten Sie die vereinzelten Signale vor allem aus mitgliederstarken, ostsächsischen Kreisen der CDU Sachsen für einen ernstzunehmenden Fingerzeig, dass die Wahl 2019 auch in einer CDU/AfD-Koalition enden könnte?
Dass sich Teile der CDU vorstellen können, mit der AfD zu koalieren, sehen wir jeden Tag im Landtag. Die haben keinen Stress miteinander. Man könnte sagen, sie mögen sich und sind sich auch inhaltlich nahe. Insofern ist das alles vorstellbar. Wenn die CDU aber glaubt, dass man die Rechtspopulisten durch Einbindung kleinkriegt, dann reicht ein Blick in die europäischen Nachbarländer, um zu sehen, was für ein Irrtum das ist.
Was haben wir vergessen zu fragen, wozu unbedingt noch etwas gesagt werden muss? Sagen Sie es bitte.
Wir haben aus den Wahlergebnissen der letzten Jahre gelernt. Wir wollen uns verändern. Wir sind dabei.
Die aktuelle LZ Nr. 49: Die Jubiläumsausgabe erscheint am 15. Dezember 2017
Von hungrigen Wölfen, Müllskandalen und strammen Professoren kurz vor Hitler
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