Für FreikäuferDarf ein sächsischer Ministerpräsident mit seinem ungarischen Amtskollegen Kaffee trinken? Darf er. Sogar auf Staatskosten, wenn es ein offizieller Staatsbesuch ist. Aber genau das war nicht der Fall, als sich der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) am Dienstag, 7. November, mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán auf Schloss Eckberg traf.

Mittlerweile wurde auch bekannt, wer noch alles an diesem Plauderstündchen im Elbschloss teilnahm: der CDU-Fraktionsvorsitzende Frank Kupfer, der CDU-Bundestagsabgeordnete Arnold Vaatz, außerdem Landtagspräsident Matthias Rößler, ebenfalls CDU. Also eindeutig keine Regierungsveranstaltung, sondern – wie Volkmar Zschocke, Vorsitzender der Grünen-Fraktion, es ausdrückt – eine CDU-Veranstaltung.

Mal wieder.

Es erstaunt nicht wirklich, dass Stanislaw Tillich auch noch auf seine letzten Tage so weitermacht wie in den neun Jahren zuvor und Partei und Amt stillschweigend vermischt. Wobei er da in der ostdeutschen Riege der Ministerpräsidenten nicht der einzige ist, der so agiert. Zuvor hatte Viktor Orbán bereits Rainer Haseloff (CDU), den Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt, besucht. Und beide Christdemokraten beteuern, dass es sich um rein private Treffen gehandelt habe.

Da dürfte also eigentlich keine Spesenrechnung in der Staatskanzlei auftauchen.

Der neugewählte Juso-Landeschef Stefan Engel (25) sieht in dem Treffen freilich einen weiteren Beleg für den Rechtsruck der sächsischen CDU: „Viktor Orbán steht wie kaum ein anderer Regierungschef Europas für die Aushöhlung der Demokratie, Kontrolle der Medien und die faktische Abschaffung des Asylrechts. Wer sich mit solchen Machthabern trifft, muss sich fragen lassen, wie groß die inhaltliche Differenz tatsächlich noch ist. Ich erwarte vom Ministerpräsidenten einer CDU-SPD-Koalition eine klare Distanzierung von Orbán und ein deutliches Signal an die demokratischen und proeuropäischen Kräfte in Ungarn. Alles andere wäre nur ein weiterer Beleg für den andauernden Rechtsruck der sächsischen CDU. Der Verweis auf die private Natur des Treffens ist absurd und ein Schlag ins Gesicht für alle engagierten Menschenrechtsaktivisten in Ungarn.“

Engel mahnt die fehlende Abgrenzung der Christdemokraten „vom ungarischen Regime, die bereits seit Monaten zu beobachten sei“, an. Das Treffen stelle nur einen weiteren Beleg hierfür dar. Wobei ein ähnliches Treffen zwischen Tillich und Orbán auch schon 2016 stattfand. Augenscheinlich in herzlicher Nähe, was schon eine Menge aussagt über die Positionierung der sächsischen CDU-Spitze. Die ungarische Botschaft meldete dazu: „Nach Angaben des Pressechefs zeigten sich Viktor Orbán und Stanislaw Tillich über die zwischenparteilichen Beziehungen der CDU Sachsen und der Fidesz Partei ebenfalls zufrieden. Das Bündnis zwischen der sächsischen CDU – deren Landesvorsitz der Ministerpräsident innehat – und der Fidesz Partei seien seit vielen Jahren traditionell stark und erfolgreich.“

Ein erstaunliches Bündnis.

Juso-Landeschef Stefan Engel: „Nach wie vor sitzen auch die sächsischen CDU-Europaabgeordneten Peter Jahr und Hermann Winkler in einer Fraktion mit den Vertreterinnen und Vertretern der Orbán-Partei Fidesz. Selbst tiefgreifende Initiativen zur Einschränkung der Meinungsfreiheit und die Missachtung von EU-Recht haben daran nichts geändert. Anscheinend sind elf zusätzliche Mitglieder in der Fraktion wichtiger als demokratische Mindeststandards.“

„Die Teilnahme von CDU-Fraktionsvorsitzenden Frank Kupfer und des CDU-Bundestagsabgeordneten Arnold Vaatz macht deutlich, dass es sich seitens der sächsischen Teilnehmer an dem Essen um eine CDU-Veranstaltung handelte. Denn die Vorsitzenden der anderen Fraktionen im Landtag oder sächsische Bundestagsabgeordnete anderer Parteien waren wohl nicht eingeladen“, kommentiert Volkmar Zschocke die Zweischneidigkeit dieses Treffens. „Die Staatskanzlei muss der CDU Sachsen für diese Veranstaltung eine Rechnung stellen. Auch die naheliegende Einschätzung, dass ich und andere an diesem Treffen nicht teilgenommen hätten, erlaubt es der Staatsregierung nicht, eine CDU-Veranstaltung zu organisieren und zu bezahlen.“

In einer Kleinen Anfrage an die Staatsregierung will Zschocke nun herausbekommen, welche Rolle die Sächsische Staatskanzlei bei der Organisation des Treffens gespielt hat. Darin erfragt er außerdem, welche Persönlichkeiten zum Essen mit Viktor Orbán eingeladen waren und in welcher Funktion Frank Kupfer und Arnold Vaatz daran teilnahmen.

Was noch fehlt, ist natürlich die Frage, wie Sachsens Ministerpräsident mitten am Tag Zeit findet für ein privates Mittagessen mit dem augenscheinlich ebenso privat durch deutsche Lande reisenden Victor Orbán. Ist das gar längst normal und die Sachsen können froh sein, dass ihr gewählter MP auch mal aus dienstlichen Gründen im Büro erscheint?

Es ist diese wattige, weiche Randzone aus Privat, Partei und Staat, die die Regierungszeit Tillichs so siruphaft erscheinen lässt. Und die auch die herzliche Nähe zu Orbán auch nicht wirklich zur Überraschung macht. Tillich war einer der heftigsten Kritiker der Flüchtlingspolitik von Angela Merkel. Selbst als diese schon auf europäischer Ebene alle Grenzen hat dicht machen lassen, polterte Tillich in einem Ton gegen die Kanzlerin, der dem des bayerischen Ministerpräsidenten und dem aus Ungarn erstaunlich ähnelte. Statt die Aufnahme und Integration der Flüchtlinge in Sachsen ruhig und souverän zu organisieren, schürte Tillich damit genau die fremdenfeindliche Stimmung, der er heute so ratlos gegenübersteht.

Vielleicht ist er tatsächlich überfordert zu begreifen, dass man auf diese Weise niemals die bürgerliche Mitte stärkt, sondern immer die menschenfeindlichen Extreme. Was in einem Sachsen, in dem man den Umtrieben von Rechtsradikalen seit Jahren gern tatenlos zuschaute, fatale Folgen hatte.

Ein besonderer Leuchtturm im Verteidigen demokratischer Werte wird Tillich nicht gewesen sein, wenn er sich aufs Altenteil zurückzieht. Und dazu gehört auch seine permanente Verquickung von Amt und Partei. Die Meldung der ungarischen Botschaft von 2016 erzählt zwar von herzigem Einverständnis Orbáns und Tillichs „über die Bewältigung der Migrationskrise genauso, wie über viele die Zukunft des Kontinents betreffende Fragen.“ Aber über irgendetwas für das Land Sachsen Relevantes scheint man damals genauso wenig gesprochen zu haben wie ein Jahr später.

Ein für die Arbeit des MP also ziemlich nutzloses Gespräch, angesiedelt im nebligen Raum zwischen „offiziell“ und exklusiver Runde. Mit Inhalten, die wohl die anderen Fraktionsvorsitzenden im Landtag auch nicht wirklich interessiert hätten.

Aber nicht nur Zschocke interessiert sich für die Organisation dieses Mittagsplausches. Der innenpolitische Sprecher der Grünen, Valentin Lippmann, erkundigt sich in einer eigenen Anfrage auch zum Polizeiaufgebot für das Stelldichein. Und auch den Fraktionsvorsitzenden der Linken, Rico Gebhardt, beschäftigt die Frage: „Von wem oder zulasten welches konkreten Finanzierungsträgers oder welcher konkreten Haushaltsstelle wurden die Aufwendungen und Kosten des ‚Privattermins‘ mit gemeinsamen Mittagessen finanziert und die jeweiligen Dienstleistungen beauftragt?“

Sein vorläufiger Kommentar zum Tillich-Orbán-Treffen: „Aktuell hat Herr Tillich zusammen mit den drei CDU-Politikern Kupfer (Fraktionsvorsitzender), Rößler (Landtagspräsident) und Vaatz (Bundestagsabgeordneter) den politischen Schmusekurs mit einem Mann fortgesetzt, der für eine ‚migrantenfreie Zone‘ kämpft und weder von Presse- noch Forschungsfreiheit viel hält. Jedenfalls ließ Tillich nicht einen Hauch öffentlicher Distanz vernehmen. Die ungarische Botschaft ist angesichts der zugespitzten Diskussion in Sachsen um diese Geschmacklosigkeit des Ministerpräsidenten diesmal vorsichtiger und spricht jetzt von ‚aktuellen politischen Fragen‘. Ich habe jedenfalls noch eine Reihe von Fragen zu diesem Treffen, auf die ich Auskunft der Staatskanzlei verlange. Dann reden wir weiter – gegebenenfalls im Landtag.“

Kleine Anfrage von Rico Gebhardt. Drs. 11238

Kleine Anfrage von Valentin Lippmann. Drs. 11234

Kleine Anfrage von Volkmar Zschocke. Drs. 11240

Die neue LZ Nr. 48 ist da: Zwischen Weiterso, Mut zum Wolf und der Frage nach der Zukunft der Demokratie

Zwischen Weiterso, Mut zum Wolf und der Frage nach der Zukunft der Demokratie

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar