Die Töne, die am Dienstag, 28. November, zur Veröffentlichung des neuen „Sachsen-Monitors“ aus der Staatskanzlei zu hören waren, sind zumindest aus der Staatskanzlei so selten zu hören gewesen. „Die teilweise hohe Zustimmung zu Ressentiments und extremistischen Aussagen geben jedoch keinen Grund zur Entwarnung“, sagte Sachsens Staatskanzleichef, Staatsminister Dr. Fritz Jaeckel. Hätte er es dabei belassen, wäre es gut gewesen.

Aber er musste nachlegen und zeigen, dass zumindest die CDU in der Regierung ganz und gar nicht lernwillig ist: „Wir dürfen nicht nachlassen in unserem Bemühen, Extremismus zurückzudrängen und die Menschen für das freiheitliche und demokratische Gemeinwesen zu gewinnen. Denjenigen, die Hass und Zwietracht in der Gesellschaft säen, müssen Grenzen aufgezeigt werden.“

Dabei geht es in Sachsen nicht um Extremismus. Denn das, was Jaeckel „Ressentiments und extremistische Aussagen“ nennt, ist in weiten Teilen der sächsischen Gesellschaft Normalzustand. Und es deutet alles darauf hin, dass viele Sachsen dergleichen auch als normalen Bestandteil der Demokratie empfinden.

Da wird nicht nur den linken Abgeordneten im Landtag angst und bange, wenn 62 Prozent der Befragten meinen, das, was das Land brauche, sei ein „hartes und energisches Durchsetzen deutscher Interessen gegenüber dem Ausland“. Das sind 9 Prozent mehr als beim vorhergehenden „Sachsen-Monitor“. Das ist purer Nationalismus. Und es ist nicht die einzige Denkhaltung, die zu denken gibt und die Jaeckel mal wieder versucht mit Sachsen-Kitsch zu verkleistern: „Die Sachsen können stolz sein auf das seit der Wiedervereinigung Erreichte. Die Staatsregierung wird sich weiter dafür einsetzen, dass das so bleibt – sei es beispielsweise in Hinblick auf die Lausitz, den Einsatz für gute Arbeitsplätze und verantwortungsbewusste Investoren und Unternehmen.“

Von einem richtigen Einsatz für die Lausitz war bis heute nichts zu sehen. Aber man kann den vormundschaftlichen Ton nicht mehr überhören: Diese Regierung versucht, die Sachsen zu behandeln wie unmündige Kinder, für die man sorgt und hegt. Das ist noch immer der alte „Vormundschaftliche Staat“, den Rolf Henrich vor 27 Jahren kritisiert hat. Kein Wunder, dass die so umhätschelten Sachsen das Gefühl haben, dass Politik sie nichts angeht, dass das die Sache der Regierung sei. Und die hat in den vergangenen Jahren immer wieder rechts geblinkt und gerade beim Thema Migration signalisiert, dass ein paar „Ressentiments“ gegen Flüchtlinge und Moslems kein Problem seien.

Entsprechend scharf reagiert Kerstin Köditz, Sprecherin für antifaschistische Politik der Linksfraktion, auf die Verlautbarung der Landesregierung: „Statt diese realen und nicht neuen Probleme ernst zu nehmen, haben Teile der Landespolitik bis in die Regierung hinein Pegida-Hetzer mit Hofknicks empfangen, liebäugeln mit der AfD und werten eine rechtsradikale Minderheit immer weiter auf. Kein Wunder also, dass beispielsweise Nationalismus und die Abwertung von Homosexuellen verstärkt auf Zustimmung stoßen. Auf sogar fast 80 Prozent angestiegen ist der Anteil derer, die meinen, man sollte ‚härter gegen Außenseiter und Unruhestifter vorgehen‘, und mehr als zwei Drittel der Befragten fordern ‚eine starke Hand‘. Dieser Autoritarismus ist mit demokratischen Grundwerten unvereinbar.“

„Dass die Demokratie hochgeschätzt wird, während zugleich Politik und Parteien schlecht abschneiden, bleibt ein irritierendes Ergebnis“, stelle denn auch Dr. Roland Löffler, Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung und Vorsitzender des Beirats Sachsen-Monitor, fest. „Grund zur Sorge bereitet auch das weiterhin hohe Maß an gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, gerade in der jüngeren Generation. Hier ist die politische Bildung in den und außerhalb der Schulen gefordert, ebenso aber auch alle gesellschaftlichen Kräfte und ganz besonders die Familien.“

Eigentlich macht der Monitor mehr als deutlich, wie die sächsische Beruhigungspille funktioniert: Auf die Resignation der Bürger, die immer weniger von einem beruflichen Aufstieg und einer gerechten Behandlung träumen, reagiert die Landesregierung mit der großen Keule gegen „Extremisten“, also einer Ordnungspolitik, die ablenkt von den Problemen, „Extremisten“ zum Gespenst aufbläst und Fremdenfeindlichkeit mehr oder weniger selbst schürt.

Die Sachsen zu Demokratie, Recht und Ordnung. Grafik: Sachsen-Monitor 2017
Die Sachsen zu Demokratie, Recht und Ordnung. Grafik: Sachsen-Monitor 2017

Rico Gebhardt, Vorsitzender der Linksfraktion im Sächsischen Landtag, spricht sogar von Resignation: „Die Ergebnisse der neuesten Umfrage belegen ganz klar, dass die politische Kultur im Freistaat ein Problemfall bleibt und zu zerreißen droht. Zwar sind die Zufriedenheit mit der Demokratie und das Vertrauen in ihre Institutionen in kurzer Zeit überraschend deutlich gestiegen. Aber zugleich geht das Interesse an Politik insgesamt zurück. Für eine große Mehrheit ist die Beteiligung der Bürger*innen zwar wichtig, aber immer weniger sind bereit, sich selber einzumischen. Das ist ein klares Zeichen von Resignation, und sie kommt nicht von ungefähr: Mehr als zwei Drittel der Befragten vertritt etwa die Auffassung, dass die Wirtschaft mehr zu sagen habe als das Parlament.”

Gebhardt macht die Gründe in ganz alltäglichen Fragen fest: “Die Menschen in Sachsen machen sich zunehmend Sorgen um soziale Fragen, um schlechte Löhne, Armut und Ungerechtigkeit – aber auch um den Zustand von Bildung und Infrastruktur. Besonders in Sachsen fühlen sich sehr viele Menschen ungerecht behandelt. Das kann niemanden verwundern, der die Realität im Niedriglohnland Sachsen zur Kenntnis nimmt. Deshalb muss die Staatsregierung klarer Partei für sozialen Ausgleich ergreifen – mit dem langjährigen erbitterten Mindestlohn-Gegner Michael Kretschmer wird das nicht klappen.“

Und die Befragungsergebnisse bestätigen ihn: Gerade in der Unteren Mittelschicht sind die Erwartungen, eventuell einmal gesellschaftlich aufzusteigen, seit dem letzten „Sachsen-Monitor“ drastisch gesunken – von 47 auf 37 Prozent. Selbst in der Unterschicht fiel der Wert um 3 Prozent, während die obere Mittelschicht wachsende Aufstiegswerte verzeichnet. Auch in Sachsen greift also die zunehmende Kluft zwischen Gutverdienern und Niedriglöhnern – und nicht nur die Löhne klaffen immer mehr auseinander, auch die Aufstiegschancen.

Deswegen ist es eher irritierend, wenn ausgerechnet die Frage nach den größten Problemen offen gestellt wurde, die Befragten also irgendetwas äußern konnten. Da steht zwar „Ausländerpolitik/zu viele Ausländer/Überfremdung“ mit 17 Prozent der Nennungen ganz oben. Aber den größten Zuwachs gab es bei „Billiglöhnen/Armut/Altersarmut“ von 5 auf 10 Prozent. Und dass „Bildung/Lehrermangel mit 13 Prozent auf Platz 3 steht, zeigt, dass den Sachsen sehr wohl bewusst ist, wo die Chancen ihrer Kinder kaputtgespart werden.

Dass gerade Menschen mit niedrigem Bildungsabschluss finden, dass es in Deutschland eher ungerecht zugeht, überrascht da nicht mehr.

Ein massives Gerechtigkeitsproblem sieht da auch Daniela Kolbe, Generalsekretärin der SPD Sachsen: „Sachsen hat ein massives Gerechtigkeitsproblem. Das bestätigt nun auch der neue Sachsen-Monitor. Vor allem sächsische Arbeitnehmer sehen, dass sie keinen gerechten Anteil am gesellschaftlichen Wohlstand bekommen. Das ist keine Überraschung: die Ostdeutschen arbeiten im Schnitt länger für geringere Löhne als im Westen. Sie haben weniger Vermögen und erben weniger. Die Angst vor Altersarmut hat zu Recht zugenommen: mehr als ein Drittel der sächsischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer könnte in der Grundsicherung landen, obwohl viele ihr Leben lang arbeiten.“

Was die Sachsen über Politiker denken. Grafik: Sachsen-Monitor 2017
Was die Sachsen über Politiker denken. Grafik: Sachsen-Monitor 2017

Und sie sieht die sächsische Politik der letzten Jahre als einen der Auslöser der diffusen Aggressionen: „Wenn man den Leuten in den letzten Jahren erzählt hat, es sei kein Geld für Bildung, Soziales und Sicherheit da, dann geht der Schuss jetzt gehörig nach hinten los. Die Menschen wollen, dass der Staat funktioniert. Wenn lieber dogmatisch Schulden abgebaut, bevor Schulen nicht geschlossen wurden oder mehr Polizisten eingestellt wurden, dann bekommt man die Quittung.“

Dass die Ergebnisse des Monitors erst einmal nicht eindeutig sind, benennt Kerstin Köditz: „Was wir jetzt brauchen, ist eine wissenschaftlich abgesicherte Einordnung der in sich widersprüchlichen Ergebnisse, der teils erheblichen Binnenunterschiede zwischen den drei Direktionsbezirken sowie zwischen Stadt und Land. Diese Analyse lässt sich nicht in die Hände eines kommerziellen Instituts delegieren und ist bei der Sächsischen Staatskanzlei sicher auch schlecht aufgehoben. Sie wird freilich ihren Grund gehabt haben, die Erhebung vor der Bundestagswahl anzusetzen – um jetzt, nach Tillichs Polit-Aus, noch einmal große Zufriedenheit mit der Landesregierung vermelden zu können.“

„Der Sachsen-Monitor zeigt die Sorgen der Menschen und die Ungerechtigkeiten deutlich: Sie haben Angst, dass die Rente nicht reichen wird. Sie sehen für sich aber vor allem für ihre Kinder nur geringe Aufstiegschancen. Sie nehmen eine falsche Ausrichtung der Politik wahr. Sie sind noch immer wütend über die Ungerechtigkeiten der Nachwendezeit. Hier liegen die Ursachen für die derzeitige politische Situation im Freistaat, sie sind auch ein Grund für die immer noch besorgniserregenden menschenfeindlichen Einstellungen“, geht Henning Homann, Sprecher für Arbeit und demokratische Kultur der SPD-Fraktion, auf den Grundwiderspruch in der Befragung ein. Sachsen habe über Jahre unter seinen Verhältnissen gewirtschaftet.

„Den Menschen wurde immer wieder erzählt – und manche pflegen diese Erzählung immer noch – dass für Bildung, Soziales und Sicherheit kein Geld da wäre. In allen Bereichen wurde massiver Staatsabbau betrieben. Schulen wurden geschlossen, Lehrer nicht eingestellt, Kommunen gegängelt, Zukunftsinvestitionen nicht getätigt. Gleichzeitig wurden 2,75 Milliarden Euro für die Landesbank versenkt, dogmatisch Schulden abgebaut und die Kassen des Finanzministers immer weiter gefüllt.“

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