Am Montag, 27. November, meldete sich auch Petra Köpping, sächsische Staatsministerin für Gleichstellung und Integration, zu den Ergebnissen der Treuhandstudie der Bundesregierung zu Wort. Sie sieht sich in ihrer Arbeit bestätigt: „Es braucht eine wissenschaftliche Aufarbeitung der Geschichte und eine neue Erinnerungskultur über die Nachwendezeit.“
Seit über einem Jahr beschäftigt sie sich intensiv mit der Frage, warum so viele Sachsen das Gefühl haben, benachteiligt und nicht integriert zu sein. „Die Studie bestätigt meine Wahrnehmungen sehr deutlich, die ich in vielen Gesprächen erfahren habe. Und die auch ich persönlich oft genug wahrgenommen habe“, kommentiert Petra Köpping die vorgelegte Studie zur Wahrnehmung und Bewertung der Arbeit der Treuhandanstalt im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie.
So stellt die Studie fest, dass sich weitgehend unbeachtet von öffentlichen, politischen oder wissenschaftlichen Wahrnehmungen ein negativer „Gründungsmythos“ bei vielen Ostdeutschen verfestigt habe, „der von einer ‚Unterwerfung‘ der Ostdeutschen durch eine fremde, anonyme und jedweder Kontrolle enthobene Macht aus dem ‚Westen‘ stehe – mit allen negativen Folgen für die politische Kultur beziehungsweise die generelle Identifikation zahlreicher Ostdeutscher mit der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ordnung der heutigen Bundesrepublik“.
Die Studie führt weiter aus, dass „wir die Nachwendezeit und gerade die Treuhand in den Blick nehmen müssen“ und zwar an „Schulen und Universitäten in Ost und West“, wie die Studie richtigerweise formuliert, um offen über „die verschiedenen Perspektiven auf diese umstrittene und krisenreiche Gründungsphase der ‚Berliner Republik‘ und deren langfristigen Folgen vor allem für das Verhältnis von Ost- und Westdeutschen“ zu diskutieren.
Für Petra Köpping heißt das: „Es braucht eine wissenschaftliche Aufarbeitung der Geschichte und eine neue Erinnerungskultur über die Nachwendezeit.“
Womit sie deutlich über die Erwartungen der Ostbeauftragten Iris Gleicke hinausgeht. Denn zur Arbeit der Treuhand, ihren Skandalen und Fehlern gibt es sogar schon eine Menge Forschungsmaterial und etliche Buchveröffentlichungen. Doch nachdem die Treuhandanstalt noch unter der letzten DDR-Regierung unter Lothar de Maizière ihre Arbeit aufgenommen hatte, um den absehbaren wirtschaftlichen Anpassungsprozess der Ostwirtschaft an die westliche Marktwirtschaft zu gestalten, wurde sie nach der am 3. Oktober 1990 vollzogenen deutschen Einheit und erst recht nach dem Attentat auf den Treuhand-Chef Detlev Rohwedder im April 1991 immer stärker komprimiert zu einer Verwertungsgesellschaft, deren Zeitfenster zur Privatisierung der ostdeutschen Wirtschaft immer weiter verkürzt wurde.
Es ist eher die Rolle der Politik in diesem Prozess, die unterbelichtet ist – auch die der damaligen Bundesregierung, die die politischen und zeitlichen Vorgaben machte. Man hatte den wichtigsten Teil der deutschen Wiedervereinigung (die in der Treuhand-Studie ebenfalls ein kritisches Schlaglicht bekommt) einfach ausgelagert, ohne dass es eine unabhängige Instanz gab, die den wirtschaftlichen Transformationsprozess begleitete. Das wurde auch nie nachgeholt. Was schon Mitte der 1990er Jahre deutlich wurde, als sich herausstellte, dass es nach diesem rasanten Anpassungsprozess im Osten keineswegs die erhoffte wirtschaftliche Tragfähigkeit gab, um die östlichen Bundesländer eigenständig zu machen.
Doch statt den Umstand als Anlass zu nehmen, wirklich eine ehrliche Bestandsaufnahme zu machen, warum der Osten aus der Abhängigkeit nicht herauskam, wurden immer neue Vorwürfe formuliert, die den Osten geradezu zum Dauerbettler stempelten. Übrigens ein Thema, das in der Studie nicht vorkommt, weil es mit der Treuhandarbeit selbst nichts zu tun hat. Aber es hat mit den politischen Selbsttäuschungen der „Nachwendezeit“ zu tun, die einerseits die deutsch-deutschen Beziehungen zu dauerhaften Bettel-Beziehungen machten und die vor allem eines zur Folge hatte: Mit der wirtschaftlichen Schwäche des Ostens ging auch seine politische Schwäche einher.
Die gewählten Ministerpräsidenten waren schwach, kein einziger zeigte sich in der Lage, ostdeutsche Interessen auf Bundesebene auf Augenhöhe zu vertreten – auch nicht die beiden CDU-Ministerpräsidenten Bernhard Vogel (Thüringen) und Kurt Biedenkopf (Sachsen), die immerhin in den westdeutschen Politiknetzwerken gut verankert waren. Etwas, was ihren ostdeutschen Kollegen ohne West-Provinienz völlig fehlte.
Ein Ergebnis ist eben auch die eher marginale Rolle der jeweiligen Ostbeauftragten in der Bundesregierung. Schon die Bezeichnung klang nach der Feigenblattvertretung für eine Minderheit, die gehegt wurde als exotisches Kulturgut.
Petra Köpping fordert nun eine besonders sensible und möglichst vollständige Sicherung der Treuhand-Akten. Es dürfe hier keineswegs nur um die berechtigten Schutzinteressen der damals beteiligten, meist westdeutschen Unternehmen und Personen gehen, betont die Ministerin. Es gehr hier maßgeblich um die Interessen der ostdeutschen Bevölkerung an einer Aufarbeitung der Nachwendezeit. Dazu sollten ab 2020 ausreichende finanzielle Mittel für Forschungsprojekte zur Verfügung gestellt werden, um die Aufarbeitung der Treuhand-Akten 2020 zu beginnen.
Aber mit den Treuhand-Akten würden sich sowieso nur Forscher und Journalisten beschäftigen.
Das eigentliche psychologische Drama fand anderswo statt und mündete genau in die unvereinbare Treuhand-Erinnerung, die die Treuhand-Studie jetzt nachzeichnet: auf politischem Parkett. Die Wiedervereinigung wird von vielen Ostdeutschen bis heute als ein Akt der Ungleichwertigkeit erinnert. Und das hat auch mit der Wahrnehmung von Politik zu tun.
Weshalb Petra Köpping auch die Einrichtung einer unabhängigen Kommission „Aufarbeitung der Nachwendezeit“ vorschlägt. Das könnte ein Lernprozess werden, der sogar mehr erbringt als eine Aufarbeitung der Fehler, die im Vereinigungsprozess passiert sind. Denn dass viele Ostdeutsche das Gefühl haben, dass in ihrem Leben und in ihrer Region nichts mehr vorangeht, hat auch mit unreflektierten wirtschaftlichen Entwicklungen der jüngeren Zeit zu tun und mit einer zunehmenden Kluft zwischen reichen (und zunehmend egoistisch agierenden) Bundesländern und all jenen Bundesländern, die mitten in wirtschaftlichen Umbrüchen stecken.
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