Nach der Wahl ist vor allem in Sachsen vor der Wahl. Direkt nach der Bundestagswahl und der Kรผr der neuen Landesparteivorsitzenden Antje Feiks am 4. November tagte am vergangenen Wochenende der Stadtparteitag der Linken Leipzig. รœber 80 Parteimitglieder kamen am 11. November im Veranstaltungssaal der LVB an der Angerbrรผcke zusammen, um รผber die Ergebnisse der vergangenen Bundestagswahl sowie รผber die nรคchsten Schritte zu den 2019 anstehenden Kommunal-, Europa- und Landtagswahlen zu diskutieren. รœber erste Erkenntnisse und Schlussfolgerungen sprachen wir mit dem Leipziger Linkenvorsitzenden und Stadtrat Adam Bednarsky.

Herr Bednarsky, zuerst natรผrlich zum grรถรŸten Erfolg des Stadtverbandes: die Leipziger Linke konnte bundesweit mit Sรถren Pellmann das einzige Direktmandat (neben vier weiteren in Berlin) holen. Was รคndert sich Ihrer Meinung nach dadurch vor Ort fรผr den Stadtverband?

Es ist ein toller Erfolg, dass wir erstmals in Sachsen bei einer Bundestagswahl ein Direktmandat erringen konnten. Es hat vieles gepasst, so dass Sรถren Pellmann mit 1.170 Stimmen die CDU auf Platz zwei verweisen konnte. Dazu haben zahlreiche UnterstรผtzerInnen und Parteimitglieder beigetragen.

Zunรคchst ist dieser rote Achtungserfolg im schwarz-blauen Sachsen psychologisch wichtig. Klare soziale Alternativen sind demnach nicht nur ankreuzbar, sondern bei Wahlen auch erfolgreich. Mit diesem Rรผckenwind wollen wir politisch wieder diejenigen Wรคhlerinnen und Wรคhler erreichen, die sich von der etablierten Politik nicht mehr vertreten fรผhlen und diesmal aus Protest fรผr eine neoliberale AfD stimmten, die nicht ungeschickt die โ€žsoziale Frageโ€œ vรถlkisch instrumentalisierte. Natรผrlich werden wir dabei keinen Millimeter von unseren antirassistischen und humanistischen Grundpositionen abrรผcken.

Apropos AfD: Es fรคllt auf, dass diese Partei in Sachsen mit ihrem Wahlerfolg von 27 Prozent der Zweitstimmen โ€“ auf Parteitagen der CDU, SPD und natรผrlich bei Ihnen โ€“ in aller Munde ist. Auch in Leipzig konnte sie 18,3 Prozent holen. Was hat nach Ihrer Auffassung die Leipziger Wรคhler dazu bewogen?

Leipzig ist ja keine Insel, und die landesweiten Wahlmotive spielen auch in unserer Stadt eine prรคgende Rolle. Es gibt leider einen nicht unbetrรคchtlichen Teil der Wรคhlerschaft, in der gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ein wichtiges Motiv fรผr ihre Stimmabgabe ist. Hier war die rechtspopulistische AfD als Protestpartei mit ihrer sozialpolitischen Demagogie recht erfolgreich.

Daneben ist nach allen seriรถsen Umfragen auch der Protest gegen die derzeitige neoliberale Politik maรŸgeblich. Hier haben wir offensichtlich auch einiges von unserer bisherigen Wรคhlerschaft verloren, der wir inzwischen als zu angepasst erscheinen.

Angepasste Linke klingt nicht gut: Was kรถnnen die Leipziger vom Leipziger Bundestagsabgeordneten Sรถren Pellmann erwarten?

Zunรคchst muss Sรถren erst einmal umschalten. Gestern noch Lehrer, der im Ehrenamt im Stadtrat tรคtig ist, und heute Leipziger Bundestagsabgeordneter. In Berlin werden die Weichen gerade gestellt, da ist noch vieles offen. Im Mai dieses Jahres verstarb vรถllig unerwartet und viel zu frรผh sein Vater, der langjรคhrige sozialpolitische Sprecher der Landtagsfraktion, Dr. Dietmar Pellmann.

Ich hoffe, dass Sรถren inhaltlich in die FuรŸstapfen seines Vaters treten wird. Aber auch bei den Themen Bildung und Wohnen besitzt er viel Kompetenz, und hier gibt es in Leipzig ebenfalls sehr viel zu tun. Hier werden wir Akzente setzen und laden alle Initiativen, Gruppen und Akteure ein, auf uns zuzukommen โ€“ im Sinne der Stรคrkung einer sozialen und nachhaltigen Stadt fรผr alle.

Wie alle Parteien hat die Linke auch ein paar Stimmen verloren. Ob und wie wollen Sie den verloren gegangenen Zuspruch in Leipzig wieder herstellen?

Unsere Verluste in Leipzig waren zum Glรผck unterm Strich prozentual minimal โ€“ absolut haben wir sogar 7.000 Stimmen (insgesamt 70.000 Stimmen in Leipzig) dazugewonnen. Die sehr differenzierten Wahlergebnisse belegen allerdings, wie stark wir einerseits bei den urbanen, stark akademisch geprรคgten Milieus und zentrumsnahen Ortsteilen gewonnen und wie wir ebenso stark in frรผheren Hochburgen mit einer Einwohnerinnenschaft, die eher von prekรคren Einkommensverhรคltnissen geplagt ist, oder bei der an die Peripherie gedrรคngten Arbeiterschicht verloren haben.

Wir dรผrfen diesen Teil der Bevรถlkerung, wo feministische, antirassistische und รถkologische Werte nicht ganz oben auf der Agenda stehen, aber keinesfalls preisgeben. Wir mรผssen die Klassenperspektive wieder stรคrker betonen, ohne sie gegen Formen der Emanzipationspolitik auszuspielen. Es gilt, die einzelnen linksfreundlichen Milieus nicht gegeneinander zu sehen. Ob und wie wir das kรผnftig hinbekommen, entscheidet maรŸgeblich รผber die Zukunft unseres Stadtverbandes und mรถgliche Erfolge bei Wahlen.

Zudem ist eine kluge Klassenperspektive eine der wirksamsten Formen der eigenen Emanzipation, weil sie offen macht fรผr gemeinsame Kรคmpfe zur Verbesserung der eigenen Lebenslagen, materiell und auch bei Grund- und Freiheitsrechten.

Da spielt natรผrlich auch die โ€žgroรŸeโ€œ Politik eine wichtige Rolle. Und auf welcher Seite eine linke Partei bei diesem Spiel steht, ist klar. Wer bei der Steuervermeidung der Superreichen wegsieht, wird kein Geld fรผr KiTas, Schulen, Lehrerinnen, Polizistinnen und sozialen Wohnungsbau haben.

Apropos โ€œgroรŸโ€ und weit โ€“ zurรผck zu Sachsen: Wo sehen Sie als Vorsitzender der Leipziger Linken derzeit die grรถรŸten Baustellen im eigenen sรคchsischen Landesverband?

In Sachsen ist eine brandgefรคhrliche Situation entstanden. Sachsen kรถnnte das erste Bundesland werden, in dem sich die konservativ-neoliberale Herrschaftsvariante in besonders autoritรคrer Gestalt ausformt und bei den Wahlen 2019 zum Zuge kommt. Eine mรถgliche Regierungskoalition von CDU und AfD in Sachsen wรผrde den Weg in ein autoritรคres schwarz-blaues Regime freimachen. Der AfD-Tabubruch kann in Sachsen erfolgen, und es ist unsere Verantwortung, dies zu verhindern.

Wir mรผssen uns unserer Verantwortung als stรคrkste Oppositionskraft im Landtag und als Partei bewusst werden und sie stรคrker als bisher wahrnehmen. Ich war gemeinsam mit anderen der Auffassung, die CDU deutlich schรคrfer anzugreifen. Und zugleich mรผssen wir wieder verstรคrkt auf Kernthemen setzen, auf Themen, die unsere Wรคhlerinnen und Wรคhler real betreffen.

Nehmen wir nur einmal die Bildung. Die CDU hat durch ihre brutale Sparpolitik zu verantworten, dass inzwischen der Zufall dafรผr sorgt, ob รผberhaupt noch eine ausgebildete Lehrkraft vor unseren Grundschรผlerinnen und Grundschรผlern in Sachsen steht. Bei vielen Neueinsteigerinnen und Neueinsteigern hat man ja die pรคdagogische Vorbildung im wahrsten Sinne eingespart. Im besten Falle lernen in dieser Situation beide Seiten etwas.

Die Quereingestiegenen, wie man lehrt und die Schรผler und Schรผlerinnen sind Versuchskaninchen. Wie wollen wir spรคter erklรคren, dass der Bildungserfolg vom Zufall abhรคngt? Diese Borniertheit ist so fahrlรคssig, da steigt bei mir die Wut hoch. Das gilt es zu benennen und bei der nรคchsten Landtagswahl abzuwรคhlen.

Aber derzeit wรคhlen offenbar ehemalige CDU-Wรคhler und ehemalige Nichtwรคhler eher die AfD, also weiterhin neoliberale Politik.

Deshalb mรผssen wir deutlich aufzeigen, dass diese Sparpolitik die Folge neoliberaler Sachzwangideologie und einer ungebremsten Globalisierung zugunsten des Kapitals ist. Beides wird von der AfD nicht infrage gestellt. Wir stehen fรผr eine Politik, die bessere Bildung, bezahlbares Wohnen und humanistische Flรผchtlingspolitik ermรถglicht. Stoppen wir endlich die unsoziale Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums von unten nach oben.

Mich stimmt dabei sehr hoffnungsfroh, dass wir immer mehr Mitglieder in unserem Stadtverband werden. Allein seit der Bundestagswahl haben wir fast 100 Neue begrรผรŸen kรถnnen. Gemeinsam mit diesen neuen Mitstreiterinnen werden wir fรผr linke Ideale streiten.

Nach der Bundestagswahl zurรผck im Alltag - Adam Bednarsky am 15.11.2017 im Stadtrat Leipzig. Foto: L-IZ.de
Nach der Bundestagswahl zurรผck im Alltag und die nรคchsten Wahlen vor der Brust โ€“ Adam Bednarsky am 15.11.2017 im Stadtrat Leipzig. Foto: L-IZ.de

Wo erwarten Sie von der neu aufgestellten Landesspitze dabei Unterstรผtzung?

Zunรคchst wรผnsche ich dem neuen Landesvorstand um Antje Feiks ein glรผckliches Hรคndchen, was sie in den nรคchsten beiden โ€“ sicherlich schwierigen โ€“ Jahren brauchen werden. Er sollte zukรผnftig dafรผr sorgen, dass die Linke landesweit mit Projekten, Kampagnen und Initiativen offensiver in Erscheinung tritt.

Wir brauchen mehr Ausstrahlungskraft, Format und sollten unser Oppositionsprofil deutlicher zeigen. Zudem mรผssen wir uns รผber milieuspezifische Methoden der Ansprachen Gedanken machen, damit unsere Inhalte bei verschiedenen Zielgruppen besser aufgenommen werden.

Wie sollte sich Ihrer Meinung nach die Linke in der Region Leipzig aufstellen?

Fรผr uns als Leipziger Stadtverband steht natรผrlich die Prรคsenz der Partei in Leipzig im Mittelpunkt. Natรผrlich mรถchten wir auch in die beiden angrenzenden Landkreise ausstrahlen und dort helfen, wo wir kรถnnen. Auch wenn es nicht immer allen auffallen mag: Hinter den Abgeordneten im Bundestag, im Landtag oder im Stadtrat steht auch noch die Partei. Das ist รผber weite Strecken eine Freiwilligenorganisation, die vom Ehrenamt und Engagement der Mitglieder lebt. Gerade bei uns Linken.

Natรผrlich wird es auf vielen Feldern, zum Beispiel bei kommunalpolitischen Themen Austausch und gegenseitige Hilfe geben. Das kann schon deshalb fรถrderlich sein, weil viele Strukturen, nehmen wir mal den Verkehrsverbund, die Gewรคsserpolitik oder den Tourismus, die die ganze Region betreffen.

Worin besteht dabei jetzt konkret der Unterschied zu den anderen Parteien?

Ich nenne mal ein Beispiel: Die meisten Parteien lassen ihre Wahlplakate aufhรคngen, wir realisieren dies รผber unsere Mitglieder. Das bedeutet fรผr mich, dass unsere Mitglieder mitziehen mรผssen. Und nur wer motiviert ist und den Sinn in seinem Handeln erkennt, schlรคgt sich die Nรคchte und Wochenenden beim Plakateaufhรคngen um die Ohren.

Darรผber hinaus dรผrfen und wollen wir aber auch unsere Prรคsenz als Partei vor Ort in den umliegenden Landkreisen nicht vernachlรคssigen. Neben dem Direktmandatgewinn in Leipzig sind bei den letzten Wahlen auch die Verluste von zwei Mandaten in der Leipziger Region zu beklagen. Das gilt es zu kompensieren. Aber auch innerhalb unseres Stadtgebietes haben wir Lรผcken, welche wir jetzt mit Unterstรผtzung von Sรถren versuchen zu schlieรŸen.

Antja Feiks (hier mit Bundeschefin Katja Kipping) lรถste am 4. November beim in Chemnitz Rico Gebhardt als neue Landeschefin in Sachsen ab. Foto: L-IZ.de
Antja Feiks (hier mit Bundeschefin Katja Kipping) lรถste am 4. November in Chemnitz Rico Gebhardt als neue Landeschefin in Sachsen ab. Ein groรŸes Interview mit Feiks gibt es in der nรคchsten LEIPZIGER ZEITUNG, Vร–. am 24. November 2017. Foto: L-IZ.de

Bereits in 18 Monaten wird erneut gewรคhlt, Kommunalparlamente und das Europaparlament werden neu aufgestellt. Mit welcher Zielsetzung wollen Sie in die kรผnftigen Kรคmpfe gehen?

Als Linke werden wir mit einem innovativen Wahlprogramm in den Wahlkampf zum Europรคischen Parlament ziehen. Dem Rechtsruck muss auch auf Europรคischer Ebene begegnet werden. Hier fallen die programmatischen Entscheidungen aber auf der Bundesebene.

Die Zielstellung in Leipzig ist ganz klar. Wir wollen das bestmรถgliche Ergebnis erzielen. Das schlieรŸt den schon 2009 und 2014 formulierten Anspruch ein, bei der Stadtratswahl als Sieger aus der Wahlnacht zu gehen und anschlieรŸend die grรถรŸte Fraktion zu stellen. Aber bis dahin mรผssen wir noch viele Hausaufgaben erledigen.

Letzte Frage und somit das Schwierigste am Schluss. Auf Bundesebene scheint es eine Menge Disput zwischen Fraktions- und Parteifรผhrung bei der Linken zu geben. Wie mutet diese Auseinandersetzung aus Leipziger Sicht an?

Unsere Partei gibt derzeit auf Bundesebene leider kein besonders gutes Bild ab. Vor einigen Tagen trat der Bundesgeschรคftsfรผhrer zurรผck, und die Klausur der Bundestagsfraktion in Potsdam ist sicher auch noch vielen Menschen in denkbar schlechter Erinnerung. Natรผrlich finden zwischen Fraktions- und Parteifรผhrung nicht nur persรถnliche Machtkรคmpfe, sondern auch inhaltliche Auseinandersetzungen statt.

Die derzeit wichtigste Frage ist augenscheinlich der von anderen sogenannte Konflikt in der Flรผchtlingsfrage. Hier hoffe ich stark auf die nรคchste Sitzung des Parteivorstandes Anfang Dezember, zu der alle Beteiligten eingeladen sind und dort die Mรถglichkeit haben, klar an der Sache orientiert zu diskutieren und tragfรคhige Kompromisse zu finden. Nur gemeinsam werden wir als Gesamtpartei und somit auch als Linke in Leipzig erfolgreich sein.

Die nรคchste LEIPZIGER ZEITUNG, ua. mit einem รœberblick รผber die Lage in den maรŸgeblichen Parteien in Sachsen erscheint am Freitag, den 24. November 2017 in Leipzig und liegt in den Briefkรคsten der Abonnenten.

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