Am 24. Oktober soll der Flieger nach Kabul in Afghanistan vom Flughafen Leipzig/Halle starten. Afghanistan, Kabul, Ghor, deutsche Botschaft? Da war doch was? Es ist die Debatte, ob es sich bei Afghanistan รผberhaupt um ein Land handelt, in welches man so mir nichts, dir nichts Menschen abschieben kann, die in Deutschland leben. Neben der Frage der oft willkรผrlichen Abschieberei generell stellt sich nun seit Samstag bis zum Dienstag die afghanisch-deutsche Anti-Abschiebungskampagne โ€žZendegiโ€œ gegen den Flug in ein Land, welches just in dieser Woche die wohl blutigste Anschlagsserie der letzten Jahre erlebte.

Das Auswรคrtige Amt teilte am Samstag, 21. Oktober, via Twitter mit: โ€žWir verurteilen die Anschlรคge in #Ghor und #Kabul auf das Schรคrfste. Wir stehen weiter fest an der Seite der Menschen in #Afghanistan.โ€œ Gemeint sind die deutschen Soldaten, die nach wie vor zunehmend wirkungslos im Land stationiert sind und die Einheimischen, die eine neue Welle der Gewalt erleben. Denn das Amt schreibt nicht von den Menschen โ€žin und ausโ€œ Afghanistan: Fรผr die Afghanen, die in Deutschland sind, ist das deutsche Innenministerium zustรคndig.

Und das will nun erneut abschieben โ€“ in ein Land im Krieg

Denn nur wenige Stunden spรคter titelt die Sรผddeutsche am 21. Oktober: โ€žInnerhalb von 24 Stunden drei groรŸe Anschlรคge in Afghanistanโ€œ, zwei davon allein in der Hauptstadt Kabul. In dieser Zeit sterben da und in der zentralen Provinz Ghor insgesamt 104 Menschen und der September war ein โ€žRekordmonatโ€œ, wenn es um die Zahl der Bombereinsรคtze der US-Streitkrรคfte in Afghanistan geht. Der IS ist lรคngst im Land und die Taliban sind zurรผck, teils immer dagewesen โ€“ das Land droht noch weiter in einen Krieg zurรผckzurutschen, der 1979 mit dem Einmarsch der damaligen Truppen der Sowjetunion begann. Und bis heute, im Jahr 38 danach, nie wirklich endete.

38 Jahre, die nun fast zwei Generationen Bรผrgerkrieg, islamistischer Terror und vor allem Ressourcenhunger und Ratlosigkeit der westlichen Welt einschlieรŸlich Russland bedeuten. Noch am 18. September 2017 hat das Auswรคrtige Amt mitgeteilt: โ€žDie Visastelle und die Konsularabteilung der Deutschen Botschaft Kabul bleiben aufgrund des Bombenanschlags vom 31. Mai 2017 fรผr unbestimmte Zeit geschlossen.โ€œ Allein bei diesem Anschlag starben 1.000 Menschen, die Botschaftsmitarbeiter verlieรŸen Kabul. Bis heute ist in der afghanischen Landeshauptstadt nichts so, wie man es selbst auf dem schlechtesten Bรผrgeramt in der ostsรคchsischen Provinz erleben dรผrfte.

Die Erzรคhlung von den โ€žbรถsen Jungsโ€œ

Wenn am 24. Oktober 2017 in der Zeit zwischen 7 und 11 Uhr der Flieger am Leipziger Flughafen abheben wird, gibt es (unter dem Beifall rechter Kreise) eine beruhigende Erklรคrung fรผr alle, die sich fรผr das Thema Afghanistan wenigstens noch mรครŸig interessieren. Es werden ja nur Menschen ausgeflogen, die etwas Bรถses gemacht haben. Wie weit die Palette der Straftaten dabei gedehnt wird und dass diese hรคufig genug von keinem Gericht bewertet wurden, wissen L-IZ.de โ€“ Leser spรคtestens seit โ€ždem Terroristen von Leipzigโ€œ.

Begriffe wie โ€žGefรคhrderโ€œ ersetzen deutsches Recht und rechtsstaatliche Verfahren โ€“ mindestens in Sachsen, wo man mit Bayern noch immer um die โ€žAbschiebemeisterschaftโ€œ ringt. Eine Verurteilung durch die Polizei und die Staatsanwaltschaft scheint zu genรผgen, wenn es um Auslรคnder ohne klaren Aufenthaltsstatus geht. Wie viele im Flugzeug sitzen werden, erfรคhrt man nicht, wer es sein wird auch nicht und auch, was sie getan haben (sollen), wird erneut weitgehend im Dunkel bleiben.

Angesichts der Situation in Afghanistan muss man sich zudem fragen, ob โ€“ selbst im Falle einer Straftat der โ€žAusgeflogenenโ€œ โ€“ die ganze Sache nicht nach Doppelstrafe riecht. Hier auffรคllig geworden, gehtโ€™s zum weitaus wahrscheinlicheren Sterben nach Kabul zurรผck. Aus einem Land ohne Todsstrafe, mit Rechtssystem und Haftanstalten in die Hauptstadt Kabul, wo deutsche Botschaften fliehen.

Das Camp in Leipzig

Es wirkt klein an diesem frรผhen Samstagnachmittag, zwei Boxen sind unter dem Pavillondach auf einem Biertisch drapiert. So, wie einst die gegen Ende mรคchtigen Campbewegungen an gleicher Stelle 1991 gegen den Irakkrieg begannen. Wie eine Rรผckkehr an die Ursache โ€“ wo Kriege beginnen, mรผssen Menschen fliehen. Heute geht es um die Auslรคufer der Flucht jener Kriege um ร–l, die einst so naiv begonnen wurden.

Reggae, Punk und die ersten Plakate werden mit โ€žGaffa-Tapeโ€œ an die Seitenwรคnde geklebt. โ€žNachher kommt noch ein groรŸes Banner dazuโ€œ. Schrรคg gegenรผber absolviert โ€žLegida-Heidiโ€œ ihren Auftritt und wirbt fรผr die AfD, den Schutz der โ€ždeutschen Bรผrgerโ€œ. Ein bisschen รคngstlich tritt sie zurรผck, als man sich mit ihr unterhalten will.

โ€žMeinungsfreiheitโ€œ ruft sie, auf dem Schild will sie mehr Polizei. Worum es bei dem Camp geht, weiรŸ die Mitsechzigerin nicht wirklich. โ€žFotografier doch!โ€œ, sie will auf Bilder, es ist eine ganz eigene Agenda. Solidaritรคt mit sich selbst โ€“ first, so hat sie es die letzten Jahre gelernt.

Im Camp wird noch geplant und diskutiert. Wann soll was stattfinden, wer kommt alles in den nรคchsten Tagen und wie viele Ziele sind eigentlich realistisch? Am 24. Oktober will man am Leipziger Flughafen eine Pressekonferenz geben, wann, wird sich wohl nach dem Abschiebeflug richten.

Der sรคchsische Flรผchtlingsrat wird vorher auf dem Augustusplatz vorbeischauen, der Verein Bon Courage, Refugee law clinic auch und weitere Organisationen haben sich trotz knapper Vorbereitungszeit bereits angekรผndigt. Um in den kommenden Tagen mit Passanten ins Gesprรคch zu kommen. Aber vor allem die Menschen auf einem รถffentlichen Platz zu beraten, die oft genug aus Deutschland ausgewiesen werden, weil das widersprรผchliche deutsche Asyl-System inhuman und unklar ist. Oder schlicht widersinnig.

Alireza Alizadeh vom afghanischen Organisationskreis โ€žZendegiโ€œ ist Afghane โ€“ im Iran aufgewachsen, kennt Afghanistan kaum. Im Iran wird er als Kind bereits ein rechtloser Einwanderer und ist es bis heute โ€“ in Deutschland wie im Iran, nun ist er wieder Afghane in Deutschland. Sollte er in den Fokus der Auslรคnderbehรถrden geraten, wรผrde er in ein Land verfrachtet, welches er bereits als Kind wegen des Krieges verlieรŸ.

Das Interview folgt. Weitere Berichte vom Camp auf dem Augustusplatz auch. In den kommenden Tagen kรถnnte das Camp zu einem offenen Forum fรผr die Asylpolitik in Deutschland werden. Und einem Fanal gegen Abschiebungen statt ordentlicher Verfahren und der Klรคrung der Frage, ob man in Deutschland nicht bereits indirekt die Todesstrafe exekutiert.

Zum Artikel โ€œUnsicheres Herkunftslandโ€ auf L-IZ.de

Protestcamp gegen Abschiebungen nach Afghanistan in Leipzig geplant

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