Die Bundestagswahl am 24. September war auch eine heftige Klatsche für die sächsische Landespolitik. Nirgendwo hat die CDU so viele Punkte verloren und ist die AfD derart stark aus der Wahl hervorgegangen. Das muss Gründe haben. CDU-Ministerpräsident Stanislaw Tillich glaubt, die CDU müsse nun weiter nach rechts rücken. Die sächsische SPD hält das für Quatsch. Sie setzt jetzt das Thema Respekt auf ihre politische Agenda.

Das hatte sich schon vor der Wahl abgezeichnet. Denn anders als die CDU versucht die SPD tatsächlich irgendwie herauszubekommen, warum die Sachsen so reagieren, wie sie es tun. Warum in Teilen der Bevölkerung der Unmut so angeschwollen ist und sich als Wahlprotest bei der AfD entladen hat.

Doch anders als die CDU vermutet die sächsische SPD-Spitze die Gründe nicht in Zuwanderung und „Flüchtlingspolitik“.

Am Freitag, 13. Oktober, versuchte Martin Dulig, der sächsische SPD-Vorsitzende, aus seiner Sicht die Gründe zu benennen, die zum allgemeinen Unmut geführt haben. Quasi als Einstimmung auf das, was die sächsische SPD am Samstag, 21. Oktober, bei ihrem außerordentlichen Landesparteitag in der Park Arena Neukieritzsch thematisieren will.

„Sachsen geht es gut. Das heißt aber nicht, dass es allen Menschen in Sachsen gutgeht, denn wir stehen erneut vor einer Zeitwende. Die demographische Entwicklung überholt uns, in Sachsen mangelt es zusehends an Fachkräften, die Aufbaugeneration nach 1989 geht in Rente und Digitalisierung verändert unseren Alltag. Um von den einschneidenden Entwicklungen und den Herausforderungen der Zukunft nicht überholt zu werden, müssen wir jetzt gegensteuern“, sagte Dulig. „Wir brauchen mehr Anerkennung und mehr Respekt für alle Sächsinnen und Sachsen. Nicht alle Menschen hier haben die gleichen Chancen auf Aufstieg und Anerkennung.“

Sein Versuch, das sächsische Dilemma zu erklären: „In den vergangenen Jahren haben sich immer mehr Sächsinnen und Sachsen alleingelassen gefühlt. Kürzungen bei öffentlichen Leistungen und eine rigide Sparpolitik haben das Vertrauen vieler Menschen in den Staat beschädigt. Hier müssen wir jetzt gegensteuern. Die Antwort liegt jedoch nicht in einem Rechtsruck, wie die CDU es fordert. Einen Rechtsschwenk wird es in der Politik der Staatsregierung nicht geben – dafür wird die SPD sorgen. Um zu erkennen, dass sich etwas ändern muss, brauchten wir dieses Bundestagswahlergebnis allerdings nicht – denn uns war vorher bewusst, dass es ein ‚Weiter so‘ in Sachsen nicht geben kann. Das Sicherheitsversprechen, das wir den Menschen geben müssen, ist deshalb ein anderes.“

Denn Sicherheit ist eben nicht nur die von der CDU immer wieder beschworene Sicherheit vor Kriminellen.

Die Unsicherheit beginnt ganz woanders. Dulig: „Die Menschen müssen sicher sein, dass ihre Kinder vernünftig ausgebildet werden, dass unsere Wirtschaft die Rahmenbedingungen schafft, dass man einen guten Lohn bekommt und gut leben kann. Natürlich zählt dazu auch das Thema Innere Sicherheit: Die Menschen müssen sicher sein, dass ihr Hab und Gut, Leib und Leben sicher sind.“

Sicher wird noch viel gestritten werden über die Gründe für die Unzufriedenheit. Aber in den Stichworten Anerkennung und Lebensleistung steckt möglicherweise eine Menge von dem, was da rumort. Übrigens nicht nur im Osten: Auch im Westen der Republik fühlen sich sichtlich immer mehr Menschen abgehängt, ausgeschlossen von Wohlstand und Aufstiegsversprechen.

Im Osten potenziert sich das Problem freilich. Worauf Daniela Kolbe, Generalsekretärin der sächsischen SPD, schon am 31. August einging. Möglicherweise hat sich die sächsische SPD viel zu sehr darauf verlassen, dass der Bundestagswahlkampf von Martin Schulz irgendwie funktioniert. Da gingen die durchaus existenziellen ostdeutschen Themen unter.

Daniela Kolbe: „In den vergangenen 27 Jahren hatten die Menschen vor allem Angst vor Arbeitslosigkeit. Viele mussten sich nach der Wiedervereinigung beruflich vollkommen neu orientieren, andere wurden einfach arbeitslos. Die, die das Glück hatten, Arbeit zu haben, haben sich oft mit niedrigen Löhnen abgefunden und auch nicht mehr eingefordert, auch um den eigenen Arbeitsplatz und das eigene Unternehmen nicht zu gefährden. Doch nun merkt ein Teil der sächsischen Aufbaugeneration Ost, dass sie zwar die sächsische Industrie wiederaufgebaut und das Land am Laufen halten. Sie selbst aber laufen nach einem Leben voller Arbeit auf Minirenten zu. Die Löhne sind bei vielen kaum gewachsen. Sie beklagen mangelnden Respekt und Anerkennung für ihre Lebensleistung. Sie fragen sich, was tut die Politik eigentlich für uns? Viele fühlen sich zu Recht ungerecht behandelt.“

Damals war der SPD-Parteitag in Neukieritzsch schon in Vorbereitung. Im Fokus steht dabei der Leitantrag „Mehr Respekt für Sachsen. Chancengleichheit für alle“, bei dem es um die Profilierung einer anderen Politik für Sachsen gehen soll. Immerhin sind in zwei Jahren Landtagswahlen und tragfähige Zukunftskonzepte für alle sächsischen Regionen überfällig. Wahrscheinlich ist es richtig, genau das aus dem Wahlergebnis vom 24. September herauszulesen und jetzt belastbare Gegenvorschläge zu entwickeln. Die auch beim Wähler ankommen.

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