Als Ministerpräsident Stanislaw Tillich seinen kommenden Rücktritt bekanntgab, hatte er wohl so eine dumme Ahnung, dass seine Politik für einen Großteil des Unmuts in Sachsen verantwortlich war. Nur sprach darüber kaum jemand. Das Land war in Watte gepackt und überall machten sich Erscheinungen der Lähmung bemerkbar. Mittlerweile wird im Landtag offen darüber diskutiert, dass die Tillich-Unlandsche Austeritätspolitik für die miese Stimmung hauptverantwortlich ist.
Martin Dulig, der nicht nur Wirtschaftsminister und stellvertretender Ministerpräsident ist, sondern auch Vorsitzender der Sachsen-SPD, hat am Freitag, 27.Oktober, eine ganze Liste aufgemacht, wo die Spar- und Knauserpolitik heftige Schäden im Land angerichtet hat.
Eine Liste, die erstaunlich der Liste ähnelt, die die Grünen aufgemacht haben und in ihren Antrag zu einem Nachtragshaushalt geschrieben haben, der am Freitag, 27. Oktober, erstmals im Ausschuss behandelt wurde und der im November (15./16.11.) in die Sitzung des Landtags gehen soll.
„Neue Köpfe sind noch keine neue Politik. Neue Maßnahmenpakete, in denen lediglich sowieso geplante Projekte neu verpackt werden, lösen die strukturellen Probleme im Freistaat nicht“, begründete Fraktionsvorsitzender Volkmar Zschocke den Antrag. „Sachsen braucht einen ehrlichen Neuanfang. Dieser ist ohne klaren finanzpolitischen Kurswechsel nicht möglich. All die Ankündigungen der Herren Tillich, Kretschmer, Dulig und weiteren Politikern der CDU/SPD-Koalition aus den letzten Wochen erfordern zwingend die Vorlage eines Nachtragshaushaltes für das kommende Jahr. Das werden wir im nächsten Plenum beantragen. Diesen Kurswechsel erst mit dem neuen Doppelhaushalt 2019/20 einzuleiten, wird zu spät sein.“
Dabei konnte Zschocke auch Martin Dulig selbst zitieren: „Ohne inhaltliche Konsequenzen kann Michael Kretschmer von der SPD nicht zum Ministerpräsident gemacht werden.“
Was ja wohl bedeutet, dass es mit der lähmenden Sparpolitik von Georg Unland so nicht weitergehen kann.
„Ohne Nachtragshaushalt werden inhaltliche Konsequenzen nicht wirksam“, erklärt Zschocke. „Wer das Vertrauen von Menschen zurückgewinnen will, darf nicht nur ankündigen. Wenn CDU und SPD ihren Kurswechsel ehrlich meinen, können sie sich unserer Forderung nach einem Nachtragshaushalt gar nicht verweigern.“
Franziska Schubert, finanzpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, verweist darauf, dass die Personalpolitik der Staatsregierung gegen die Wand läuft und dringend ein Umsteuern erfordert.
„In den nächsten 13 Jahren wird die Hälfte des öffentlichen Dienstes in der sächsischen Staatsverwaltung aus Altersgründen ausscheiden. Wir können nicht erst dann nach neuen Leuten suchen. Jetzt müssen die Stellen vorgehalten werden, um ab sofort geeigneten Nachwuchs in den sächsischen öffentlichen Dienst zu holen und damit auch mittelfristig die Arbeits- und Leistungsfähigkeit sicherzustellen.“ Logische Antwort aus Sicht der Grünen: eine Personaloffensive. „Diese deckt neben den Bereichen der Lehrkräfte und Polizeibediensteten auch das Personal der Gerichte, der Staatsanwaltschaften, des Justizvollzugs, der Landesdirektion, des Landesamts für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie, des Landesamts für Straßen und Verkehr, des Statistischen Landesamts, des Landesamts für Denkmalpflege, des Staatsarchivs, der staatlichen Kunstsammlungen und der Landesuntersuchungsanstalt für das Gesundheits- und Veterinärwesens ab.“
Auch der frühkindliche Bildungsbereich sei viel zu lange auf Verschleiß gefahren worden.
„Wir fordern, dass die Betreuungsschlüssel spürbar auf 1:4 in der Krippe und 1:10 im Kindergarten gesenkt werden“, sagt Schubert. „Wer hohe Ansprüche im sächsischen Bildungsplan verankert, muss auch den Rahmen setzen, damit Erzieherinnen und Erzieher diesen Auftrag erfüllen können. Die Mehrausgaben dürfen aber nicht bei Kommunen und Eltern hängenbleiben.“
Und dann kommt sie zu einem Thema, das in Leipzig gerade diskutiert wird: dem Öffentlichen Personen-Nahverkehr.
„Der Öffentliche Personennahverkehr wurde über Jahre nur nach Auslastung bewertet und gnadenlos zusammengestrichen. Der gesamte ländliche Raum wurde damit systematisch abgehängt. Unter CDU/SPD wurde nicht gegengesteuert. Wir Grüne haben bereits 2009 mit dem Sachsentakt einen Vorschlag vorgelegt, wie vorausschauende Infrastrukturpolitik aussehen kann. Unser Ziel ist es, dass alle Mittel- und Oberzentren Sachsens tagsüber stündlich angefahren und mit Bahn und Bus in den ländlichen Raum ergänzt werden. Wir reden über einen abgestimmten Taktfahrplan mit kurzen Wartezeiten und leicht zu merkenden Abfahrtszeiten“, erläutert Schubert. „Aber auch der flächendeckende Breitbandausbau muss endlich erfolgen. Hier braucht es erheblich mehr Koordination sowie Lösungen für Kommunen, die den Eigenanteil gemäß Richtlinie nicht aufbringen können.“
Und dann schaut sie ins nächste Ressort, in das von Landwirtschaftsminister Thomas Schmidt (CDU). Und da sieht es genauso dramatisch aus. Die wichtigsten Probleme werden einfach ausgesessen und nicht angepackt.
„Angesichts des Insektensterbens und des Artenschwunds erwarten wir ein klares Bekenntnis zum Erhalt unserer Lebensgrundlagen. Dabei spielt die Landwirtschaft eine wichtige Rolle. Wir brauchen eine Landwirtschaft, die wieder im Einklang mit der Natur produziert“, sagt Schubert. „Der Einsatz von Pestiziden muss dramatisch gesenkt werden. Zugleich muss dem Trend zu immer größeren Strukturen, die losgelöst von regionalen Wertschöpfungskreisläufen und Rücksichtnahmen produzieren und verkaufen, entgegengewirkt werden, wenn der ländliche Raum eine Zukunft haben soll.“
Und auch die vom Sparzwang beschnittene Rolle der Kommunen macht ihr Sorgen.
„Die Kommunen müssen in der Lage sein, vor Ort präventive Arbeit zur Stärkung von Kindern, Jugendlichen und ihrer Angehörigen anbieten zu können. Für ein wertschätzendes gesellschaftliches Miteinander müssen auch Bürgerbeteiligung und Ehrenamt viel stärker als bisher unterstützt werden“, erklärt Franziska Schubert.
„Entweder gelingt jetzt der Kurswechsel hin zu einer zukunftsfähigen Personalentwicklung in allen Bereichen des Freistaats oder das Land steuert in eine Abwärtsspirale, an deren Ende die Funktionsfähigkeit des Staates infrage steht“, untermauert Fraktionsvorsitzender Volkmar Zschocke die Forderungen aus dem Antrag. „Entweder gelingt es jetzt, die Kluft zwischen Stadt und Land zu verringern, oder einige ländliche Regionen werden vollends abgehängt. Entweder es gelingt jetzt, ernsthafte Bürgerbeteiligung und politische Bildung zu stärken oder Sachsen bleibt weiter in teilweise vordemokratischen Verhältnissen stecken. Entweder es gelingt jetzt, soziale Prävention und gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stabilisieren oder die Folgen sozialer Verwerfungen entwickeln sich zu unkalkulierbaren finanziellen Risiken.“
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Und Martin Dulig zumindest scheint es ernst zu meinen. Das berichtet die haushalts- und finanzpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Verena Meiwald, aus der Sitzung des Haushaltsausschusses.
„Nach jahrelangem Stillstand gibt es nun vielleicht eine Chance, die Haushaltspolitik des Freistaates zu verändern, damit vorhandenes Geld endlich auch genutzt wird. Wir unterstützen die Forderung nach einem Nachtragshaushalt. Die Probleme an den Schulen, Hochschulen, bei der Ärzteversorgung, bei der Polizei, im Nahverkehr und an vielen anderen Stellen lassen sich nicht lösen, wenn die CDU-geführte Staatsregierung den Bürgerinnen und Bürgern weiterhin jenes Geld vorenthält, das sie erwirtschaften“, sagt die Landtagsabgeordnete. „Der designierte Ministerpräsident Kretschmer hat allerdings noch keinen einzigen konkreten Satz zu seinen Plänen verloren. Vize-Regierungschef Martin Dulig schließt nun einen Nachtragshaushalt nicht aus. Nun, ich schließe auch nicht aus, dass Dynamo eines Tages deutscher Meister wird. Das heißt aber noch lange nicht, dass es bald wirklich dazu kommen wird.“
Die neue LZ Nr. 48 ist da: Zwischen Weiterso, Mut zum Wolf und der Frage nach der Zukunft der Demokratie
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