Markus Ulbig redet viel, wenn der Tag lang ist. Als er im März die Polizeiliche Kriminalstatistik für Sachsen im Jahr 2016 vorstellte, erklärte er mit breiter Brust: „Veränderte Sicherheitslage stellt uns vor neue Herausforderungen.“ Ein Satz mit einer Fakenews und einem Versprechen, das er als Innenminister nicht hält. Das war ja Thema am Dienstag, 5. September, als Leipzigs OBM Burkhard Jung zur Sicherheitslage in Leipzig einmal Klartext sprach.

Das macht er in der Öffentlichkeit nicht allzu oft. Seit 2010 hat er sich – schriftlich belegt – immer wieder bemüht, den Minister zum Gespräch über die fehlenden Polizisten in Leipzig zu bewegen. Doch Ulbig weicht aus. 2010 hatte er gerade die sogenannte „Polizeireform 2020“ verkündet, mit der er noch mehr Polizisten einsparen wollte, ohne auf die wirklich notwendigen Personalstärken zu achten, die es für belastbare Polizeiarbeit braucht.

Gleichzeitig aber steckte Leipzig schon mitten im Wachstumsmodus. Und die Straftaten in einigen Deliktfeldern zogen spürbar an. Was zwar vom Innenminister gern mal dramatisiert wird – aber nie zu einer wirklichen Änderung seiner Personalpolitik führte. Denn wer erst 2017 gewillt ist, die Zunahme von Straftaten gerade in den sächsischen Städten zu registrieren, der hat ganz sichtlich die eigenen Statistiken ignoriert.

Und dass man in der Regierung gewillt war, die „neuen Herausforderungen“ ganz und gar nicht zur Kenntnis zu nehmen, zeigte das umgehende verbale Bashing für die Stadt Leipzig, wo die Zahl der registrierten Straftaten deutlich angezogen war. Just Politiker jener Regierungskoalition, die für die Personalkürzungen bei der sächsischen Polizei verantwortlich waren, suchten ausgerechnet beim Leipziger Stadtordnungsdienst die Schuldigen für die Zahlen.

Man machte mal wieder politisches Theater, statt den eigenen Minister dazu zu bringen, endlich wirklich ordentliche Arbeit abzuliefern. Denn für das Polizeidilemma in Sachsen ist Markus Ulbig, der seit 2009 Innenminister ist, ganz allein verantwortlich.

Dafür hat er mittlerweile eine Menge fundierter Kritik gerade aus der Opposition aber auch aus hochrangigen Polizeikreisen bis hin zum CDU-Parteikollegen Bernd Merbitz geerntet. Aber solange so deutlich mit Zahlen belegbare Folgen keine Änderung in seiner Arbeit mit sich bringen, ist alles, was er sagt und fordert, nichts als Placebo. Zucker fürs Volk. Lauter Weihrauch, der nicht mal verhüllen kann, dass er in seinem Amt eigentlich versagt.

Was denn auch Enrico Stange, Sprecher der Linksfraktion für Innenpolitik im Sächsischen Landtag, der Ulbig Monat für Monat mit Anfragen zur tatsächlichen Polizeistärke in Sachsen und den Großstädten nervt, auf den Punkt bringt, wenn er sagt: „Leipzig wächst seit zehn Jahren deutlich und dürfte noch 2017 die 600.000-Einwohner-Marke knacken. (Wohl eher 2018 oder 2019,d. Red.)”

Stange weiter: “Es ist logisch, dass dabei innerhalb des üblichen Korridors auch die Kriminalität zunimmt und die täglichen Anforderungen an die Polizei wachsen. Dennoch wurden auch in der Polizeidirektion Leipzig – also in den Dienststellen der Stadt Leipzig und der Landkreise Leipzig und Nordsachsen – massiv Stellen abgebaut. Seit 2006 ging die Zahl der Bediensteten von 3.230 auf 3.041 zurück. Der Krankenstand in der Polizeidirektion Leipzig ist mit etwa zehn Prozent auch für sächsische Verhältnisse sehr hoch. Die Personalausstattung konnte auch durch 132 Wachpolizisten mit stark begrenzten Befugnissen nicht wesentlich verbessert werden.“

Die Zahlen, mit denen er arbeitet, hat er allesamt aus Anfragen an die Staatsregierung, geantwortet hat Markus Ulbig. Sie bestätigen all das, was Leipzigs OBM Burkhard Jung an Ulbigs Personalpolitik kritisiert hat.

„Innenminister Ulbig (CDU) kann sich nicht aus der Affäre ziehen, indem er auf die Verantwortung der Stadt Leipzig verweist“, geht Stange auf Ulbigs neuesten Versuch ein, ausgerechnet Leipzigs Verwaltung für die Zunahme der Straftaten in Leipzig verantwortlich machen zu wollen.

Auch Ulbig bezeichnet Leipzig gern als besonderen Kriminalitätsschwerpunkt oder gar als Kriminalitätshochburg. In Leipzig ereignen sich Tötungsdelikte im Rockermilieu und es wird über Waffenverbotszonen im Bereich der Eisenbahnstraße nachgedacht. In dieser Krisensituation kann nicht von der Stadt erwartet werden, dass sie den Stadtordnungsdienst mit Aufgaben betraut, die der Polizei vorbehalten sind und bleiben sollen. Streifen des Stadtordnungsdienstes können nur eine vorübergehende Notmaßnahme sein. Innenminister Ulbig ist gefordert, den Personalmangel zu beheben. Bis dahin sollte die Bereitschaftspolizei deutlich stärker im Streifendienst eingesetzt werden.“

Was nur ein Vorschlag wäre, aber auch sichtbar machen würde, wie sehr Ulbig sein Amt seit 2009 nicht ausgefüllt hat. Verantwortliche Ministerarbeit sieht anders aus.

Doch Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) hat ja bekanntlich dem gesamten Landespersonal ein neoliberales Sparprogramm verpasst, das mit der realen Aufgabenfülle der Bediensteten nichts zu tun hat. Die Folgen bekommt eben auch Leipzig mit gewaltigen Löchern in der Polizeipräsenz und rapide angestiegenen Straftatenzahlen zu spüren.

Und nicht nur Burkhard Jung hat das Gefühl, dass Leipzig hier regelrecht von der Staatsregierung im Stich gelassen wurde.

„Die Polizei ist und bleibt für die Bekämpfung der Kriminalität zuständig, nur fehlen in Leipzig zahlreiche Polizisten. Die Stadtverwaltung kann das nicht kompensieren, sie kann die Polizei allenfalls über den Stadtordnungsdienst in Teilbereichen entlasten“, nimmt Claus Müller, der die SPD-Fraktion im Fachausschuss Umwelt und Ordnung vertritt, zur aktuellen Diskussion Stellung.

„Und das soll sie auch nach unserer Auffassung künftig verstärkt tun. Die Mitarbeiter des Stadtordnungsdienstes könnten sich beispielsweise um Lärmbelästigungen kümmern, wo bislang nachts und an den Wochenenden die Polizei kommen musste, oder vermehrt Streifendienste durchführen. Allerdings müssen die Mitarbeiter hierfür nicht nur besser ausgerüstet und entsprechend geschult werden, sondern auch ihre Einsatzzeiten müssen erweitert werden. Das Ordnungsamt muss auch nachts und an den Wochenenden aktiv sein. Klar ist, dass hierfür auch mehr Personal benötigt wird, aber das sollte aufgrund der veränderten Sicherheitslage kein Hinderungsgrund sein.“, so Müller.

In den verschiedenen sächsischen Großstädten gibt es unterschiedliche Ansätze, wie der Stadtordnungsdienst aufgebaut und ausgerüstet ist, so dass ein reger Austausch mit den anderen Großstädten sinnvoll ist. Und der auch passiert, wie Ordnungsbürgermeister Heiko Rosenthal am Dienstag bestätigte. Aber selbst die Ausrüstung des Stadtordnungsdienstes mit Handfesseln und Schlagstöcken würde nichts ändern, denn der Stadtordnungsdienst ist nach dem Sächsischen Polizeigesetz nicht berechtigt zu Zwangsmaßnahmen und Gewaltanwendung. Das darf nur die Polizei. Die Ausrüstung, wie sie auch Leipzigs CDU-Fraktion fordert, wäre nichts als ein Placebo.

„Wir müssen auf die Kriminalitätsentwicklung in Leipzig zügig reagieren“, sagt Müller. „Hierbei sind vor allem das Land, das mehr Polizisten nach Leipzig abstellen muss, aber eben auch die Stadt gefragt, ihren Teil dazu beizutragen. Der Oberbürgermeister hat angekündigt, dass die Stadt mit dem Ordnungsamt verstärkt Streifendienste wahrnehmen wird, um damit vorübergehend die Polizei zu entlasten. Das ist richtig und notwendig. Auch die von ihm angeregte Änderung des Polizeigesetzes, wodurch die Kommunen in bestimmten Bereichen, wie z. B. für Eingriffe in den fließenden Verkehr, mehr Befugnisse bekommen würden, ist sinnvoll. Warum bei Blechschäden die Polizei rufen? Die Dokumentation des Schadens könnte auch das Ordnungsamt übernehmen, dadurch würde die Polizei entlastet und könnte sich um schwerwiegendere Themen kümmern.“

Und auch aus der Leipziger Freibeuter-Fraktion gibt es ein klares Statement.

Zur Diskussion um die Befugnisse des Stadtordnungsdienstes zur Erhöhung der Sicherheit in Leipzig äußert sich René Hobusch (FDP), Vorsitzender der Fraktion Freibeuter im Leipziger Stadtrat: „Dieses Hin- und Herschieben des Schwarzen Peters hilft niemandem. Hoffen wir, dass ab 25. September der Wahlkampfnebel verflogen ist und hier endlich Probleme gelöst werden. Die Aufgaben des Stadtordnungsdienstes sind klar definiert. Für das wirksame Einschreiten bei Gewalttaten sind die Mitarbeiter nicht ausgebildet. Sie tragen auch – völlig zu Recht – keine Schusswaffen, um sich in letzter Konsequenz hart selbst verteidigen zu können.“

Die Mitarbeiter des Stadtordnungsdienstes leisten nach Ansicht des Liberalen einen wichtigen Beitrag zur Gewährleistung der Sicherheit und Ordnung in Leipzig, dennoch, so Hobusch (FDP): „Sie können und sollen die Polizei unterstützen. Aber Polizeiaufgaben sind von der Polizei auszuführen. Dafür ist der Freistaat zuständig.“

Mit Blick auf die aktuelle angespannte Sicherheitslage und die Herausforderungen, die das erwartete Einwohnerwachstum in Leipzig mit sich bringt, führt Hobusch (FDP) weiter aus: „Dass das Ordnungsamt jetzt verstärkt bestreift, ist ein richtiger Schritt. Aber es ersetzt nicht eine deutlich präsentere Polizei. Dafür braucht es richtige Polizisten und keine Hilfssheriffs – Polizisten in größerer Zahl, mit guter Ausstattung, mit anständiger Ausbildung und ohne Berge unbezahlter Überstunden.“

Und wie viele Polizisten fehlen in Leipzig tatsächlich?

Das rechnen wir im nächsten Beitrag (wieder) mal vor.

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