LEIPZIGER ZEITUNG/Auszug aus der Ausgabe 47 Als Michael Franz am Dienstagvormittag, 5. September, aus seinem Büro in den einsehbaren Bereich vor der Werkstatt des Autohauses „Auto Saxe“ schaut, sieht er für seinen Geschmack etwas viel Blau. Zwei Polizisten bewegen sich mit raschem Schritt die Einfahrt herauf, „mit Pistolen am Gürtel“, für Franz, Prokurist des 93 Mitarbeiter starken Unternehmens in Leipzig Rückmarsdorf ein durchaus ungewöhnlicher Anblick. Rasch ist er bei den Beamten, ebenso schnell wird klar: sie sind wegen seinem Lehrling hier. Er bringt sie zu ihm, gerade wird in der Werkstatt geschraubt, der junge Mann steht an der Hebebühne, Kunden und weitere Kollegen sind im Raum.
Sie alle hören die Worte „Abschiebehaft“, „Ausweisung“ und „im Auftrag der Ausländerbehörde“. Auch der aus Indien stammende Dhruv Patel. Oder doch Dhruv Patidar? Eine einzige Frage, ein Name, eine falsche Entscheidung, die angeblich an diesem Dienstag in Deutschland über seine weitere Existenz entscheidet. In Wirklichkeit ist es weit mehr, als das – ein Beispiel für eine unflexible und menschenverachtende Abschiebepraxis wird an diesem Vormittag in Leipzig, Sachsen, Deutschland exekutiert.
Wenig später sitzt Dhruv in der Leipziger Dimitroffstraße bei der Polizei Leipzig, kurz danach ist er auf dem Weg nach Berlin, binnen von 24 Stunden dann Zwischenstopp in Katar, Endpunkt Neu Delhi. Seine Abschiebehaft ist der Flieger, seine Kollegen sind laut Franz „in Schockstarre“, die Kunden mehr als konsterniert. Doch schnell bildet sich eine Front aus Verärgerung und Wut. Gegen diesen Vorgang, gegen die Art, wie hier mit einem Menschen umgegangen wird, den man kennt und schätzt.
Zu diesem Zeitpunkt denken sie noch, dass man Patel in der Haft besuchen könne, doch er ist längst weg aus Leipzig.
Franz selbst chattet mit ihm via Whats-App, versucht „im Auftrag aller Angestellten“ von „Auto Saxe“ den Gang der Dinge aufzuhalten. Die Automechaniker, die Servicekräfte, das gesamte Unternehmen wollen ihren Kollegen zurück und teilen dies bereits am Mittwochvormittag bei einer Mitarbeiterversammlung ihrem Chef deutlich mit. Der Auftritt der Polizeibeamten kommt hier manchem wie ein böser Wink aus der Vergangenheit vor – hinter vorgehaltener Hand heißt es: fehlen nur noch die Ledermäntel und das SS-Zeichen auf dem Kragen. Das Thema Abschiebung ist auf einmal sehr konkret.
Was auch immer Michael Franz an diesem Dienstag unternimmt, nichts gelingt, es geht alles zu schnell. Die Ausländerbehörde Leipzig weist jede Kooperation zurück, das Innenministerium sagt nichts – der Rechtsstaat fühlt sich im Recht und wird dies in den Folgetagen auch immer wieder betonen. Daraufhin schaltet das Autohaus Anwälte ein. Und die Presse.
Als Dhruv Patel im April 2014 über Frankreich nach Deutschland kommt, heißt er für die Behörden noch Patidar mit Nachnamen, hat keinen Pass bei sich und versucht, sich zurechtzufinden. Was er findet, sind Ratgeber in einer Erstaufnahmeeinrichtung, die ihm mit Blick auf die derzeitigen Gesetze tatsächlich versuchen zu helfen.
Sie raten dem heute 24-Jährigen, sein Alter von damals 21 weiter nach unten zu korrigieren, seine Herkunft zu verschleiern. „Sonst wirst Du sofort zurückgeschickt“, sagt Patel heute. Er ist älter und er ist bereits ein ausgebildeter Ingenieur für Verfahrenstechnik – ein Abschluss, der in Deutschland händeringend gesucht wird, zumal sich Patel auf praktische Arbeit versteht. Er ist gekommen, um sich eine Zukunft aufzubauen, weg aus Chadasana Gandhinagar, einem beruflichen Nirgendwo zwischen Neu Delhi und Mumbai, Indien.
Seine Bekannten werden dennoch Recht behalten, er hatte nie eine Chance, ganz gleich wie schnell er die fremde Sprache gelernt hat und laut Michael Franz ein „sehr, sehr gutes Deutsch spricht“. Sein einziger Weg führt zu dieser Zeit über Erstaufnahmeeinrichtungen, er muss schon aus formalen Gründen einen Asylantrag stellen, einen anderen Weg bietet ihm Deutschland nicht. Beraten wird er auch nicht – er ist einfach einer der vielen, die am Behördenstaat Deutschland scheitern werden. Es gibt keine Tür zwischen Asylantrag und legaler Arbeitsmigration für ihn, auch nicht, als er versucht, eine zu finden.
Und man hört ihm nicht zu, auch dann nicht, als er versucht, sich 2016 nach einer Ablehnung des Asyls als für ihn als Inder mit richtigen Angaben zu legalisieren. Also legt er die bei seinem Asylantrag begangene Urkundenfälschung offen, macht korrekte Angaben, zeichnet diese gegen. Und gibt damit zu, die Behörden vorher bei seinem Alter und seinem Namen belogen zu haben. Zu dieser Zeit, 2016, ist er seit über einem halben Jahr im Autohaus Saxe beschäftigt, ist einer vom Team geworden.
Und dennoch wird er hier vom Ehrlichen zum Dummen. Ab jetzt werden die Behörden nur noch ein Ziel kennen – ihn abzuschieben. Mit diesen Angaben beginnt bereits seine Rückführung, wie Holm Felber Pressesprecher der Landesdirektion Sachsen auf Nachfrage bestätigt.
Vorstrafen hat er keine, auch die Behörden bezeichnen ihn auf Nachfrage nicht als „Gefährder“ oder Verdächtigen. Die Arbeitsagentur und das BAMF haben ihm zu dieser Zeit bereits den Weg zur Aufnahme einer Arbeit geebnet, offiziell von diesen vermittelt ist er im Autohaus Saxe tätig, die Handwerkskammer befürwortet seine Ausbildung ausdrücklich.
Holm Felber versucht den Vorgang aus Sicht der Behörden nachzuzeichnen, zu diesem Zeitpunkt längst in der Defensive nach der Abholung eines Menschen im Leipziger Unternehmen: „Im Dezember 2016 legte der damals noch als Herr Patidar bekannte Mann der Ausländerbehörde Leipzig eine Geburtsurkunde unter den Personalien Patel, Dhruv, geb. 28.11.1992 vor. Im Februar 2017 legte er die Kopie eines Reisepasses vor (Personalien wie Geburtsurkunde). Herr Patidar gab an, den Originalpass nicht zu besitzen. Beide Dokumente wurden jeweils umgehend der Zentralen Ausländerbehörde Chemnitz (ZAB) zur Einleitung aufenthaltsbeendender Maßnahmen übergeben.“
Grundgesetz gilt für wen?
Die Fälschung selbst ist ein Vorgang, für den ein Deutscher vor Gericht gestellt werden kann und meist mit einer geringen Geldstrafe versehen, sein Leben in diesem Land fortsetzen darf. Für Patel bedeutet dieser Vorgang Abschiebung, ein Urteil ohne Richter von Sachbearbeitern ohne Prozess und das Ende einer fast dreijährigen Bemühung, die Michael Franz so beschreibt: „Nach einem verlängerten Praktikum bei Auto Saxe seit dem späten Frühjahr 2016, einem umfassenden Deutschkurs und einem Einstiegs-Qualifizierungsjahr ist er seit dem 1. August 2017 bei uns in einer Ausbildung zum KFZ-Mechatroniker.“ Patel ist fleißig, pünktlich, ein Teil des Teams – auch bei freiwilligen Wochenendeinsätzen, so Franz. Das Unternehmen will ihn nach seiner Ausbildung einstellen, man sucht händeringend nach gutem Nachwuchs. Patel erhält praktisch eine Übernahmegarantie, einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz in Deutschland.
Franz: „Schon nach knapp zwei Wochen waren zwei Altgesellen bei mir und haben mir damals ganz klar gesagt ‚Das wird funktionieren, wir sind auf einem guten Weg, dass er einer von uns wird.‘“ Was das im oft als rassistisch beschriebenen Sachsen bedeutet, darf man gern verschieden interpretieren, aber Dhruv ist sehr schnell anerkannt, hier im Kreis der Malocher.
Unterdessen arbeiten die Behörden gegen ihn, während Patel versucht, seine Herkunft offenzulegen: „Im Mai 2017 legte Herr Patidar/Patel der Ausländerbehörde Leipzig einen Ausbildungsvertrag vor. Erst auf nochmalige Nachfrage legte er nun auch einen Originalpass vor. Dieser wurde eingezogen und ebenfalls der ZAB Chemnitz übergeben“, so die Auskunft der Landesdirektion Sachsen. Hier also geht der nächste Schritt der Ehrlichmachung gegen den 24-Jährigen. Seine Zuarbeit wird gegen ihn verwendet.
„An der Echtheit des Passes bestanden keine Zweifel. Danach war sein wirklicher Name Dhruv Lalbhai PATEL, geboren am 28.11.1992 in Chadasana Gandhinagar“, so Direktionssprecher Felber. Auch der echte Pass ist nun nur noch ein Argument gegen den 24-Jährigen mit Ausbildungsvertrag.
Verwirrung zwischen den Behörden
Für gewöhnlich kennt ein in Deutschland geborener Mensch Gesetze, die ihn direkt betreffen. Bei Rot mit 80 kmh im Auto über die Ampel brettern bedeutet Ärger. Wenn man vom Blitzer oder der Polizeistreife erwischt wird. Gewalt geht meist nur vom Staat aus und sollte weniger roh inmitten einer Party ausgeübt werden. Und selbst betrunken Radfahren ist durchaus strafwürdig, wie Steuer hinterziehen ebenso. Letztlich Handlungen, die sich auch aus dem normalen Menschenverstand herleiten lassen. Von Menschen, die in Deutschland sozialisiert, aufgewachsen und allzu oft selbst an Rechtsnormen erinnert werden müssen. Vor Gericht, denn kein Deutscher kann im Sinne der Unschuldsvermutung einfach inhaftiert, verschickt oder am Arbeiten gehindert werden.
Was jedoch wäre für einen Deutschen eine „Duldung“? Zuerst einmal – laut Ausländerbehörde Leipzig – die Aussetzung der Abschiebung. Ein Wartezustand, der teils Jahre oder Jahrzehnte andauert. Im Weiteren darf jeder, der eine Duldung erhalten hat, mittlerweile eine „Erwerbstätigkeit“ aufnehmen. Fraglich nur, wer jemanden einstellt, einarbeitet und ausbildet, der keine sogenannte „Bleibeperspektive“ hat?
Denn natürlich ist die Abschiebung, teils dauert ebendies Jahre, manchmal Jahrzehnte, jeden Tag präsent. Was sagt die Ausländerbehörde Leipzig zu ebendiesem Vorgang in Bezug auf Dhruv Patel?
Kästner, stellv. Leiterin des Ordnungsamtes: „So ist es durchaus möglich, dass trotz der Erlaubnis zur Ausübung der Erwerbstätigkeit, keine Ausbildungsduldung erteilt wird und der Betroffene die Ausbildung beginnen kann, aber kein Schutz vor aufenthaltsbeendenden Maßnahmen besteht. Die Erlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung/Ausbildung erfolgt zeitlich begrenzt. Die Ausländerbehörde ist bei der Duldungserteilung nicht an die Befristung der Erlaubnis zur Ausübung der Beschäftigung gebunden. Daher kann es zu Differenzen zwischen der Befristung der Duldung und Befristung der Beschäftigung kommen.“
Wer verstanden hat, was da steht, vermutet zu Recht Willkür. Die Landesdirektion teilt mit, dass die Falschangaben Patels ursächlich für die Abschiebung gewesen seien. Doch es ist seine von vornherein nie gegebene legale Möglichkeit, in Deutschland zu arbeiten.
Hier entscheiden keine Gerichte, sondern Sacharbeiter ohne juristische Ausbildung. Zum Schaden der Betroffenen, der Unternehmen und der Gesellschaft. Dhruv Patel jedenfalls hat einen gültigen Ausbildungsvertrag mit einem Leipziger Unternehmen und will zurück nach Deutschland. Und das Unternehmen Auto Saxe hat das Mandat, eben dies durchzusetzen. Nur 14 Tage Widerspruchsfrist hat man und prüft nun rechtliche Schritte. Ein David-Kampf gegen einen Staat, der mindestens auf Behördenebene mit Misstrauen gegenüber allen Menschen agiert, die nicht hier geboren sind.
Mehr zum konkreten Fall, alle Behördenabfragen im Original und aktuelle Informationen unter l-iz.de/?s=Auto-Saxe
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