KommentarNächste Woche ist es schon wieder so weit. Der Tag der Deutschen Einheit steht unmittelbar bevor. Ein bisschen schnell geht das jetzt und irgendwie ist angesichts der ostdeutschen Wahlergebnisse nur wenigen so richtig zum Feiern zumute, so absurd scheint es plötzlich, von deutscher "Einheit" zu sprechen. Sind wir aber mal ehrlich: Gab es diese denn tatsächlich und so richtig in den Jahren zuvor?
Vielleicht doch nicht so sehr, wie es manch Wunschdenken in die Realität zu ziehen suchte. Erinnern wir uns an letztes Jahr. Die Einheitsfeier in Dresden – monströs aufgeblasen wie nie – war eine Farce. Nicht nur dass garstigstes Regenwetter das Ganze wie unter einem unheilvollen Vorzeichen umrahmte, man ließ einfach keinerlei Luft an Ausmaß und Zeremoniell gelangen.
Alles wirkte ein bisschen wie ein Lehrstück über das ausgeprägteste deutsche Talent: Wenn schon feiern, dann gefälligst diszipliniert und verbissen.
Man will ja nicht ausgeprägt negativ wirken …
Aber mich überforderten vor allem in den letzten Jahren diese Ausmaße der Erinnerung an die Ereignisse im Jahr 1989. Mein Gefühlsleben scheint dafür nicht ausgelegt zu sein. Hinzu kommen diese kleinen bohrenden Gedanken, dass es vielfach die falschen Leute waren, die sich dieser Erinnerungskultur annahmen, die Wiedervereinigung zu einem Marketingevent hochprügelten.
Mir ist, als habe im Herbst 1989 ein unschuldiges, junges Mädchen etwas Mutiges, etwas Wichtiges gesagt und uns ist nichts anderes eingefallen, als sie Jahr für Jahr wie eine Hure mit sehr viel greller, bunter Schminke und unaufrichtigen Verehrern der Welt zur Betrachtung hinzuwerfen. Im gleißenden Lichte. Da konnte man die Tinnitushymne der Scorpions noch so laut und noch so verzweifelt spielen, die Fassade bröckelte doch schon lange gehörig, oder?
Alles, was ich über diese Zeit damals mit Sicherheit noch sagen kann ist: Sie atmete Aufregung. Große Aufregung. Leben. Wenn man so will, war sie eine mehrmonatige Erektion.
Eine Erektion ist jedoch, das habe ich mir erklären lassen, kein angenehmer Dauerzustand. Irgendwann wurde vollzogen – alle Teilnehmer fast apathisch zurücklassend.
Die postkoitale Phase allerdings dauert nun schon ganz schön lange
Man sitzt befriedigt im von philanthropischen Investoren aufwendig sanierten Gründerzeithaus. Trinkt Yogi-Tee und Bio-Limonade. Mittags können wir in wenigen hundert Metern Entfernung chinesisch, italienisch, japanisch, Vollwert-Bio oder deftig thüringisch, sächsisch oder gar pfälzisch essen gehen. Wir können am Kiosk unter Hunderten von Zeitschriften-Titeln auswählen, müssen weder die BRIGITTE noch PARTNER PFERD oder RICHTIG DICKE DINGER unter der Jacke nach Hause tragen.
Das ist alles nicht zu tadeln, doch vielleicht sollten wir doch mal wieder miteinander ins Bett. Zurück auf Anfang. Um uns auf der Bettkante noch einmal klarzumachen, dass all diese Privilegien Zufallszustände sind, dass das Hiergeborenwordensein kein Verdienst und Solidarität keine Einbahnstraße ist.
Dann kann man es mit der Vereinigung sicher noch einmal versuchen. Erlaubt ist diesmal allerdings nur, was BEIDEN gefällt.
Mir wird schon ganz anders …
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