Es hat ein bisschen gedauert, bis sich die sächsische CDU-Führung überhaupt inhaltlich zum Wahldebakel bei der Bundestagswahl am 24. September geäußert hat. Aber warum das erst so spät kam, wurde deutlich, als der CDU-Fraktionsvorsitzende im Sächsischen Landtag, Frank Kupfer, am Donnerstag, 28. September, gegenüber DPA versuchte, irgendeinen sinnvollen Schluss aus dem Triumph der AfD in Sachsen zu ziehen.
Dabei machte der 55-Jährige deutlich, wie sehr die sächsische CDU versucht, die eigene Rolle für das starke Abschneiden der AfD gerade in Ostsachsen wegzureden. Schuld sind immer nur die anderen. Dass er dabei fast dieselben Töne wie die AfD anstimmt, verblüffte in diesem Fall vor allem die politische Konkurrenz: „Für den Vorsitzenden der CDU-Landtagsfraktion Frank Kupfer ist die Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel ein wesentlicher Grund für die Schlappe der Union zur Bundestagswahl“, schreibt DPA.
Es ist zumindest erstaunlich, allein Angela Merkels „Flüchtlingspolitik“ für das Ergebnis verantwortlich zu machen. Dass die AfD nirgendwo in der Bundesrepublik so auftrumpfte wie im ach so glücklichen Sachsen, liegt aus Kupfers Sicht ganz und gar nicht an der hiesigen CDU-Politik.
Was dann Rico Gebhardt, den Vorsitzenden der Linksfraktion im Sächsischen Landtag, ziemlich verblüffte.
„Herr Kupfer bleibt dem ewigen Prinzip der Sachsen-CDU treu: Wir machen (fast) alles richtig, schuld an Problemen sind andere. Der CDU-Fraktionschef verteidigt den CDU-Finanzminister, obwohl genau der dafür verantwortlich ist, dass Schulen und Polizei kaputtgespart wurden. Schuld am Wahlergebnis ist nach Kupfer-Lesart praktisch allein die Kanzlerin, was aber nicht erklärt, wieso in Sachsen und nirgendwo sonst die AfD stärkste Partei geworden ist“, so Gebhardt.
Kupfer hatte die rigide Sparpolitik von Finanzminister Georg Unland verteidigt, die wesentlich dazu beigetragen hat, dass wichtige Infrastrukturen in Sachsen ausgedünnt wurden und das Land heute in einem unübersehbaren Personalproblem steckt. „Wenn wir allen Begehrlichkeiten nachgeben, dann ist die Schatulle ganz schnell leer. Das kann nicht das Ziel sein“, wiederholte Kupfer den alten Spruch, mit dem die sächsische Regierung immer wieder reagierte, wenn es um genügend Lehrer, Polizisten und Justizangestellte ging.
Nur für die Liebhaber dieser Seite: „Begehrlichkeiten“ ist ein Frame. Er unterstellt all jenen, die genügend Landespersonal fordern, um die Aufgaben abzusichern, unziemliche Gelüste – Gier, Begehrlichkeit, ganz so, als würden sie sich persönlich bereichern, wenn sie genügend Lehrer für ihre kaputtgesparte Schule fordern.
Wie viel Zynismus in dem Satz steckt, ist Frank Kupfer möglicherweise gar nicht mehr bewusst.
„Im Video nach der Wahl teilte Kupfer mit, man habe verstanden“, kommentiert Rico Gebhardt diese sehr eigenartige Analyse des Wahlergebnisses. „Wie das ‚Verstehen‘ nun aussieht, demonstriert er jetzt: die AfD wird rechts überholt: Die Leute wollten keine Moscheen in Sachsen, und Kupfer sieht darin offenbar eine Richtschnur der Politik. Schließlich erklärte er schon früher, dass die Skepsis gegenüber Fremdem in Ordnung sei. Dass wir in Deutschland und damit auch in Sachsen Religionsfreiheit haben und über den Bau von Kirchen, Synagogen und Moscheen nicht irgendeine kollektive Gefühlslage, sondern das Bedürfnis und der Willen von Gläubigen entscheiden, hat sich bis zur ‚Christlich-Demokratischen Union‘ in Sachsen noch nicht herumgesprochen.“
Und Gebhardt verweist auf einen prominenten Parteiaustritt noch kurz vor der Bundestagswahl 2017. Denn mit Frank Richter hatte kein Geringerer als der anerkannte ehemalige Leiter der Landeszentrale für politische Bildung öffentlichkeitswirksam die CDU aus Gründen verlassen, die man mit hochamtlicher Ignoranz umschreiben könnte. Die Richter nicht mehr ertrug und auch keine Änderungen bei der CDU mehr sah.
„Damit gibt Herr Kupfer unfreiwillig Frank Richter Recht, der im Zusammenhang mit seinem Parteiaustritt gemutmaßt hatte, die hiesige CDU verwende vielleicht auch deshalb bevorzugt den Namen ‚Sächsische Union‘, um das ‚C‘ loszuwerden. Wir haben uns also auf einen verschärften Rechtskurs der ‚Sächsischen Union‘ einzustellen, zu dem Herr Tillich wie immer keine Meinung hat. Er lässt es geschehen und trägt damit die größte Verantwortung für das blau-braune Desaster in Sachsen.“
Auch Katharina Schenk, Vorsitzende der Jusos Sachsen, fand Kupfers Analyse regelrecht peinlich. Wenn Sachsens CDU tatsächlich so tickt, wird sie wohl auch bis zur Landtagswahl 2019 ratlos und stur durchregieren wie bisher. Nur heißt das im Umfeld einer lautstarken blauen Konkurrenz, dass sie damit schon jetzt die Wahl verliert.
„Es gibt Kausalitäten, auf die kann man sich einfach verlassen: Geht es der CDU in Sachsen schlecht, dann wird aus der rechten Ecke gepöbelt“, stellt Katharinas Schenk dazu fest. „Da heißt es dann, die Leute hätten genug von Veränderungen. Sie wollten weder Multi-Kulti noch Moscheen in Sachsen. Es ist erschreckend, wie wenig die Unionsparteien untereinander zu lernen scheinen. Belegen nicht die Ergebnisse in Bayern und Sachsen eindrucksvoll, dass rechte Parolen und Hetze die AfD erst salonfähig gemacht haben? Wer jetzt nachgibt, hilft mit, die moralische Linie jeden Tag ein Stückchen weiter zu verschieben. Wer von Flüchtlingswellen statt Menschen spricht, wer abwertend von Multi-Kulti redet, statt sich über funktionierende Internationalität Gedanken zu machen, wer jetzt Religionen herabwürdigt oder sogar ausschließt, der hat aus den Ergebnissen vom Sonntag nichts gelernt.“
Wie gesagt: Das Wahlergebnis ist ein Vorbote für die Landtagswahl 2019
Denselben Fehler, die AfD mit rechten Parolen überbieten zu wollen, hat ja bekanntlich auch die CSU in Bayern gemacht, der große Bruder der sächsischen CDU. Mit dem Ergebnis, dass auch dort die AfD massiv gestärkt wurde.
Das Problem dabei: Rechte Parolen von Regierungsseite funktionieren nicht als Protest. Denn genau das sind sie im Umfeld von AfD und Pegida – ein aus der Opposition geäußerter Protest gegen die etablierte Politik und gleichzeitig gezielte Provokation. Wenn Regierungsparteien diese Parolen aufgreifen, verstärken sie den Protest, legitimieren die Protestpartei – aber es steckt keine sichtbare Lösung dahinter. Wer einfach nur die Grenzen dicht haben will, hat das politische Gestalten schon aufgegeben. So viel sollte man eigentlich bei Walter Ulbricht gelernt haben.
Hat man aber augenscheinlich nicht.
Stattdessen wird das Ergebnis der eigenen rigiden Sparpolitik schöngeredet.
„Verwundert kann man nur zur Kenntnis nehmen, dass Herr Kupfer zwischen seinen Parolen die Arbeit seiner CDU lobt, aber gleichzeitig den herrschenden Lehrkräftemangel geißelt. Unklar bleibt für die CDU, wer dafür eigentlich die Verantwortung trägt. Die Partei, die hier seit fast drei Jahrzehnten das Ruder in der Hand hält, scheint es nicht zu sein“, sagt Katharina Schenk.
Die jetzt freilich auch von der eigenen Partei, die als kleiner Koalitionspartner mit am Regierungstisch sitzt, mehr Profil fordert: „An der SPD-Fraktion ist es nun, die Versprechungen ernst zu nehmen und eigene Forderungen stark zu machen. Mehr Geld für Lehrkräfte? Bitte sehr! Wir hätten da noch ein paar weitere Ideen: Betreuungsschlüssel weiter senken, echte PolizistInnen ausbilden und einstellen, politische Bildung in der Schule großschreiben, junge Menschen mit einem Bildungsticket günstig mobil machen. Und damit wären wir noch lange nicht am Ende. Wir erwarten einen klaren Kurs inklusive eindeutiger Töne gegen Rechts.“
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