Ein neuer Tag. Es regnet zwar. Kein schönes Wetter für Väter, die ihre Sprösslinge mit dem Rad zur Kita bringen müssen. Aber dafür gibt es Mittel. Es ist keine Zeit für Weicheier. Das hat die Bundestagswahl am 24. September gezeigt. So deutlich war Wählers Wunsch lange nicht in Zahlen ablesbar. Die simple Botschaft lautet: Hört auf, die Dinge schönzureden. Sie sind nicht gut.

Und das bekam natürlich zuallererst die Partei Angela Merkels zu spüren, der Frau, die ihren Wahlkampf mit dem Spruch plakatieren ließ: „Für ein Land, in dem wir gut und gerne leben.“ Die aber nicht einen Pieps dazu sagte, was gut und gern beinhalten soll. Die Themen, die auf die Tagesordnung drängen, stehen dick und fett im Raum. Doch sie spielten in ihrem Wahlkampf keine Rolle. Weil sie unbequem sind. Weil man damit kein Zuckerwattegefühl erzeugen kann. Weil man damit den Menschen in ihrem Wohlstand etwas zumuten muss. Veränderung.

Direkt in ihrem Lebensumfeld. Das ist ja das Unbehagen, das umgeht, und das die AfD für sich bündeln konnte in einer großen, allumfassenden Trotzreaktion: Wollen wir alles nicht. Keine Zuwanderung, keine offene Gesellschaft, usw.

Weswegen sich die Führungsspitze dieser No-Partei am Wahlabend vor allem über eines ärgerte: Dass die Grünen nicht schwächer geworden sind. Die für noch viel mehr unbequeme Veränderung stehen.

Aber genau diese Veränderungen kommen. Zwangsläufig.

Tatsächlich haben wir nur die Wahl: Gestalten wir die Veränderungen selbst oder lassen wir uns von ihnen überrollen? Die AfD steht für die zweite Entscheidung. Die SPD wollte sich nicht so recht entscheiden, Angela Merkel auch nicht. Aber sie wird wieder Entscheidungen treffen müssen, die nie auf ihrer Agenda standen: zur Energiewende zum Beispiel. Zur Verkehrswende. Zu einer radikalen Bildungsreform. Zu einer weiteren Stärkung der EU.

Um nur einige zu nennen. Das steht alles auf der Tagesordnung. Und die SPD hat Federn gelassen, weil man es dort eigentlich weiß – aber nicht den Mumm hatte, das wirklich zu Wahlkampfinhalten zu machen. Stattdessen ein lahmes „Es ist an der Zeit.“

Selbst Juli Zeh liest Martin Schulz dafür in der „Zeit“ ordentlich die Leviten. Von Angesicht zu Angesicht: „Da habe ich einiges vermisst. Von dir hatte ich erwartet, Martin, dass du uns die Europa-Keule so richtig um die Ohren haust. Davon ist zu wenig durchgedrungen. Aber auch andere Themen kamen viel zu kurz, Digitalisierung, Finanzmärkte, Kulturpolitik. Wenn ich nicht schon vorher gewusst hätte, wer Martin Schulz ist, was er denkt, was er macht, weiß ich nicht, ob der Wahlkampf mich dazu gebracht hätte, zu begreifen, wer er ist.“

Emotionen haben die von ganz rechts außen gezeigt.

Sie haben gewütet. Noch am Wahlabend. Bis auf eine. Und das wird spannend. Noch am Montagmorgen nach der Wahl hat Frauke Petry, die AfD-Vorsitzende, angekündigt, dass sie mit dieser AfD-Truppe ganz bestimmt nicht in einer Fraktion sitzen möchte. Im Wahlkreis Sächsische-Schweiz /Osterzgebirge hat sie der CDU das Direktmandat weggeschnappt. Was sie natürlich stärkt in einem sächsischen Landesverband, der sich in den letzten Monaten stark radikalisiert hat.

Es ist schon erstaunlich, dass die Frau, die wesentlich dafür verantwortlich war, dass die einstige Lucke-Partei sich deutlich nach rechts bewegt hat, nun als gemäßigte Stimme erscheint, fast liberal im Vergleich mit Leuten wie Gauland, Meuthen und Weidel. Oder ihren sächsischen Kontrahenten Maier und Droese und wie sie alle heißen.

Gerade da, wo sich in den letzten Jahren Pegida fest verwurzeln konnte, hat auch die AfD in Sachsen besonders stark gepunktet. Nicht nur Frauke Petry gewann ein Direktmandat, auch Karsten Hilse gelang das für die AfD im Wahlkreis Bautzen I und Tino Chrupalla in Görlitz.

In Sachsen gab es massive Verschiebungen. Mit 27 Prozent wurde die AfD knapp vor der CDU mit 26,9 Prozent die stimmenstärkste Kraft. Die Law-and-Order-Politik der sächsischen CDU und des mit sächsischem Wählerticket gewählten Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat nicht geholfen, sie hat nur die AfD-Position verstärkt. Knapp hat de Maiziére sein Direktmandat in Meißen verteidigt.

Aber gerade dieses Dilemma macht deutlich, wie sehr ein echtes bürgerliches Wahlangebot fehlte, das den großen europäischen Geist atmete. Nicht den kleinen provinziellen nach dem Motto: So geht sächsisch.

Die SPD hat die Gunst der Stunde nicht genutzt, wir haben es oben beschrieben. Ergebnis: Magere 10,5 Prozent der Stimmen und nicht einmal der Versuch, ernsthaft um ein Direktmandat zu kämpfen. Das schafft man nicht mit kompetenter Freundlichkeit. Dazu hat dieses Land viel zu lange Fußball im Blut. In Wahlkämpfen heißt es – gerade weil sie medial inszeniert werden – immer stärker: Wir wollen Sieger sehen. Zuerst aber Kämpfer, die mit Herzblut dabei sind. Die für ihre Sache glühen.

Die die Begeisterung für ihre Vorstellung von gut und gerne auch in Szene setzen und den Wählern vermitteln.

Wer nicht kämpft, hat schon verloren

Was die Linke in zwei Wahlkreisen in Sachsen getan hat. In Dresden I ging es ganz knapp aus, gewann die CDU haarscharf vor AfD und Linke. Dafür holte sich Sören Pellman im Leipziger Süden das Direktmandat, jagte es Dr. Thomas Feist regelrecht ab nach dem Motto: Das wollen wir jetzt wissen.

Womit die Linke an die Tugenden erinnert, die man von Wahlkämpfern eigentlich erwartet: Zuallererst den Willen, wirklich gewinnen zu wollen. Kein Verstecken hinter der ach so ungünstigen Entwicklung und der allgemeinen Stimmung. Und den Willen, einmal nicht lieb zu sein und nett und die politische Konkurrenz zu schonen. Politik ändert sich nur, wenn man seine Positionen auch erkämpft. Politik ist kein Sonntagsspaziergang.

Und genau das ist es, was die teils sehr brav gewordenen Mandatsträger der klassischen Parteien hätten lernen können von der AfD: Dass politische Kämpfe mit Emotionen geführt werden und mit Bildern. Mit starken Bildern und Emotionen.

Die AfD hat es geschafft, ihre Frames mindestens der konservativen Parteienkonkurrenz aufzuzwingen. Deswegen redet alles über Angela Merkels Entscheidung von 2015, die sie seither mit vielen knochentrockenen Law-and-Order-Entscheidungen längst revidiert hat.

Ergebnis ist ein abgeschottetes Europa, das mit Diktatoren darüber verhandelt, wie sie die Flüchtlinge am Flüchten hindern können.

Da kommen eine Menge Entscheidungen auf Europa zu. Was ausgesessen wurde, liegt als unbewältigte Arbeitsaufgabe auf dem Tisch. Und vielleicht ist das Wahlergebnis auch deshalb gut, weil Angela Merkel mit der Radikalposition der AfD nicht koalieren kann und will. Und damit ist sie gezwungen, sich mit den Positionen ihrer neuen Koalitionspartner beschäftigen zu müssen. Was eigentlich heißen muss: Sie wird zu mehreren sehr klaren Richtungsentscheidungen gezwungen werden.

Manche Kommentatoren verheißen gerade deshalb einer möglichen Jamaika-Koalition ein sehr kurzes Leben.

Warten wir es mal ab. Denn auch das verändert sich: Die Wähler wandern. Und das Gewicht der großen Städte, wo sich die Fragen der Moderne allesamt zuspitzen und zur Entscheidung drängen, wird mit jeder Wahl größer. Wer die hier sichtbar werdenden Konflikte nicht endlich ernst nimmt, wird das Vertrauen der Wähler nicht mehr gewinnen.

Und es geht um Zukunft im ganz handfesten Sinn. Eine Zukunft, in der auch noch unsere Enkel gut und gerne leben, um mal an die Mahnungen des Philosophen Richard David Precht zu erinnern, die in diesem Wahlkampf einfach nicht durchgedrungen sind.

Der Liveticker vom Wahlabend

Bundestagswahl in Leipzig: Erstes Fazit für Sachsen

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