Eines kann man der sächsischen SPD nicht absprechen: Sie müht sich. Sie spricht mit den Leuten, ringt um Verbesserungen in den Kommunen und ist seit drei Jahren quasi der Hausmeister in der sächsischen Regierung und flickt überall da, wo die Vorgängerregierung riesige Löcher in die Hauswand gebolzt hat. Und trotzdem fuhr sie zur Bundestagswahl am 24. September nur magere 10,5 Prozent ein. Das war nicht mal halb so viel wie das eh schon bedrückende Ergebnis auf Bundesebene.
Umso verblüffender dann am Montag die Aussage auch von Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD): „Mich hat das Ergebnis nicht überrascht“, sagte er. „Zur Wahrheit gehört, dass es eine Gruppe von Menschen gibt, die sich schon lange nicht mehr verstanden und mitgenommen fühlen.“
Leipzig habe zwar ein nicht ganz so erschreckendes Wahlergebnis für die AfD zu verzeichnen. Aber gerade die Aussagen vieler Leute, mit denen auch er spreche, die sich nicht mehr durch die etablierten Parteien vertreten fühlen, sollten doch zu denken geben.
Denn: „Die Bürger wählen aus ihrer direkten Betroffenheit vor Ort heraus.“ In ihrer Stadt, in ihrem Alltag erleben sie, wie Politik wirkt und ob die Bürger diese Politik mitgestalten können.
Das ist ein sächsisches Problem. Denn dass die AfD so viel Zulauf bekam, hat nur zum Teil mit ihrem rassistischen Schellengeklapper zu tun. Denn das setzt (als vermeintlich einfache Lösung für alle Probleme) genau da an, wo die Bürger das Gefühl haben, dass sie keinen Einfluss (mehr) haben auf die Politik.
Was auch Martin Dulig, der sächsische SPD-Vorsitzende, nach der Wahl auf den Punkt brachte. Er verwies dabei auf die Arbeit von Petra Köpping, die in der sächsischen Regierung offiziell Integrationsministerin ist, sich seit dem Höhepunkt von PEGIDA aber auch um die gar nicht abwegige Frage kümmert, warum sich auch so viele in Sachsen geborene Menschen nicht (mehr) integriert fühlen.
„Petra Köpping hat mit der Aufarbeitung der Nachwendezeit ein Thema aufgemacht, das nicht mit der Bundestagswahl enden wird – ganz im Gegenteil“, sagte Dulig.
„Wir werden in Sachsen eine Politik für mehr Chancengleichheit vorantreiben. Eine Politik, die die Lebensleistung der Menschen anerkennt. Wir werden mit unseren sächsischen Abgeordneten im Bundestag die Interessen der Ostdeutschen im Bund vertreten. Wir fordern mehr soziale Gerechtigkeit und vor allem, dass das Nachwendethema gesamtdeutsch aufgearbeitet wird. Es ist offensichtlich nicht alles in Ordnung im Osten – da müssen wir ran, und in Hinblick auf den Bundesparteitag sage ich: Wir müssen darüber reden. Das Thema Ostdeutschland muss auch in Berlin und in der SPD eine größere Rolle spielen, denn man darf das Thema nicht denen überlassen, die mit Angst Politik machen.“, so Dulig.
Wobei der Erfolg der AfD eben nicht nur darauf verweist, dass viele Ostdeutsche sich als chancenlos und ungerecht behandelt fühlen. Im Westen sind die Prozentzahlen zwar nur halb so hoch – aber selbst im stolzen Bayern hat die regierende CSU gewaltig Punkte an die AfD abgegeben. Die rabiate Law-and-Order-Rhetorik ist es also nicht, die die Menschen von einer Wahlentscheidung für die AfD abhielt.
Zwar fehlt in kaum einem Statement der Hinweis auf den „chauvinistischen Charakter“ der AfD. Aber selbst im Leipziger SPD-Verband geht nun langsam der Verdacht um, dass das schlechte Abschneiden der SPD vielleicht auch mit eigenen Versäumnissen zu tun haben könnte.
„Als SPD müssen wir uns aber auch fragen, wie wir künftig mit unseren Themen und den sozialdemokratischen Idealen Menschen besser erreichen. Und wir werden generell über Strukturen reden müssen, denn offensichtlich ist es uns nicht gelungen, von guter Regierungsarbeit zu profitieren und mehr Wählerinnen und Wähler von unseren Arbeitserfolgen oder politischen Inhalten zu überzeugen“, erklärt Hassan Soilihi Mzé, Vorsitzender der SPD Leipzig.
Weiter: „Fakt ist: Wir werden die Fehler nicht bei anderen suchen, sondern zu allererst vor der eigenen Tür kehren. Das wird ein harter Prozess, den wir jetzt jenseits leerer Erneuerungsrituale offensiv auf Bundes- und Landesebene führen werden. Unser Ziel muss es sein, die SPD nicht nur in Sachsen als Volkspartei neu aufzustellen. Das geht in keinem Fall ohne Mitwirkung der Mitglieder.“
Und es geht nicht ohne greifbare Visionen. Es geht um greifbare Lösungen, die auch für die Abgehängten in der sächsischen Provinz fassbar sind.
Woran Katharina Schenk, Vorsitzende der sächsischen Jusos, erinnert: „Das sächsische Ergebnis ist schockierend und ein Weckruf für alle Demokratinnen und Demokraten. Es gilt, den politischen Diskurs wieder klar und verständlich zu führen, mit eindeutigen Trennlinien zwischen den Parteien und gerade im Angesicht derer, die unser demokratisches System nicht schätzen. Wir Jusos werden weiter für einen progressiven Kurs in der SPD streiten. Denn auch wir stehen in der Verantwortung, wieder mehr Wählerinnen und Wähler zu überzeugen und die richtigen Themen anzupacken. Es nicht Aufgabe von Politik Probleme aufzuzählen, sondern Lösungen anzubieten.”
“An dieser Konkurrenz der Lösungen muss sich auch die SPD lautstark beteiligen. Schon vor den Wahlen mögliche Verbindungen für anstehende Koalitionen zu suchen, zeugt zwar von Verantwortungsbewusstsein, hat den politischen Dialog aber auch verflacht. Politischer Streit muss wieder salonfähig werden. Sachsen muss lernen, dass politischer Protest einen Rahmen hat. Wer nationalistische und völkische Parolen wählt, hat diesen Rahmen verlassen.“, so Schenk abschließend
Schöner Begriff: „Konkurrenz der Lösungen“.
Aber es klingt auch nach einer Menge Arbeit. „Leere Erneuerungsrituale“ reichen nicht mehr, wie Hassan Soilihi Mzé wohl zu Recht feststellt. Die Zeiten sind rauer geworden.
Keine Kommentare bisher