Das Mega-Thema im Verkehr wird nicht E-Auto heißen. Es wird ÖPNV heißen. Denn nur so lässt sich überhaupt ein Ansatz von nachhaltigem Verkehr in modernen Städten und Landschaften herstellen. Noch immer hat Verkehrsminister Martin Dulig (SPD) sein Nahverkehrskonzept für Sachsen nicht vorgelegt. Dafür kritisierte ihn am Donnerstag, 28. September, der verkehrspolitische Sprecher der Linksfraktion Marco Böhme.
Dulig hielt zwar im Landtag eine große Rede zur Verkehrspolitik, in er auch sagte: „Mobil zu sein ist ein Grundbedürfnis der Menschen, es bedeutet Lebensqualität und soziale Teilhabe an der Gesellschaft. Für eine nachhaltige zukunftsfähige Mobilität braucht es Innovationen und neue Denkansätze. Genau darin investiert der Freistaat.“
Aber sein Verkehrsdenken benennt den ÖPNV nur als eine Aufgabe unter vielen, stellt ihn nicht da hin, wo er hingehört.
Wie verschachtelt das Verkehrsministerium denkt, wurde auch in der Kurzzusammenfassung der Rede zum Thema ÖPNV deutlich: „Auch der ÖPNV muss sich den sich verändernden Rahmenbedingungen stellen. Ein kundenfreundlicher, leistungsfähiger, innovativer und wirtschaftlicher Öffentlicher Nahverkehr ist eine Herausforderung, der sich die ÖPNV-Strategiekommission angenommen hat. Der Arbeitsplan der Kommission sieht vor, dass die Staatsregierung zum Jahresende die Vorschläge der Kommission im Rahmen eines Abschlussberichtes übergeben bekommt. Diese Vorschläge haben beratenden Charakter. Die Staatsregierung wird die Überlegungen und Vorschläge der Kommission bewerten, über dessen Ausgestaltung und Umfang entscheiden.“
Ein Stand, den Marco Böhme so nicht sinnvoll findet.
„Der Staatsregierung fehlt ein mobilitätspolitisches Konzept. Sie hat keine Erkenntnisse darüber, ob und wie die Bürgerinnen und Bürger Orte der Grundversorgung mit öffentlichen Verkehrsmitteln (ÖPNV) erreichen können und ob es für sie bezahlbar ist“, sagt Böhme. Denn dass der ÖPNV in weiten Bereichen derart desolat ist, hat weniger mit „veränderten Rahmenbedingungen“ zu tun, sondern mit einer ganz sächsischen Sparpolitik auch auf Kosten des ÖPNV.
Das Ergebnis sind streckenweise arg ausgedünnte Angebote verbunden mit völlig irrationalen Preissteigerungen.
Marco Böhme: „Die Menschen mussten teilweise exorbitante Kostensteigerungen insbesondere beim Schülerverkehr hinnehmen, zum Beispiel bei Grundschulen in Bautzen um 62 Prozent. Weder mit dem ‚Bildungsticket‘ noch dem ‚Sachsentarif‘ ist die Regierung vorangekommen. Es droht ein Scheitern auf Kosten der Bevölkerung. Die Umsteigemöglichkeiten im Bus- und Bahnverkehr sind schlecht, was auch Experten im Basisgutachten der ÖPNV-Strategiekommission bestätigt haben. Die Vorgabe des Personenbeförderungsgesetzes, bis 2022 einen barrierefreien ÖPNV zu schaffen, droht in Sachsen verfehlt zu werden.“
Und dann geht er auf das andere Thema in der Verkehrspolitik ein, das irgendwie immer an bürokratischen Hürden scheitert: „Mobilität in Sachsen ist gefährlich: Noch nie gab es so viele Fahrradunfälle, jeden dritten Tag stirbt ein Mensch bei einem Pkw-Unfall. Trotz wachsendem Verkehr haben die polizeilichen Kontrollen von Lkw und Fernbussen in den letzten Jahren erheblich abgenommen. Mobilität ist zeitraubend: Die Staatsregierung hält einen Schulweg pro Richtung (ohne Wartezeit) von einer Stunde für zumutbar und erfasst nicht systematisch, ob selbst das überall eingehalten wird.“
Nichts also mit „veränderten Rahmenbedingungen“. Denn all das sind Folgen einer sächsischen Sparpolitik, die überall dort den Rotstift angesetzt hat, wo es eigentlich um nachhaltige Verkehrsstrukturen geht. Von einem modernen, mit klugen Verkehrssystemen ausgestatteten Land ist Sachsen weit entfernt, stellt Böhme fest: „Wir wollen die Schaffung eines integralen Taktfahrplans im ÖPNV, natürlich Barrierefreiheit, Tarifharmonisierung und dass Einrichtungen der Daseinsvorsorge auch für Menschen ohne verfügbaren Pkw sicher und bezahlbar erreichbar sind. Das gilt insbesondere auch für die Schülerbeförderung, die endlich landesweit einheitlich geregelt werden muss. Sachsen braucht mehr Maßnahmen der Verkehrssicherheit und zur Beseitigung von ‚Angsträumen‘ im ÖPNV. Die Länge der Schulwege und die Beförderungszeiten für SchülerInnen sind durch wohnortnahe Schulstandorte und bessere ÖPNV-Anbindung in allen Regionen Sachsens deutlich zu reduzieren. Das Gleiche gilt für die Erreichbarkeit sozialer und medizinischer Infrastruktur.“
Ein barrierefreies und gut vernetztes ÖPNV-System also, das auch dafür sorgt, dass Regionen nicht einfach abgehängt werden, wenn sich die Verbindung „nicht mehr rechnet“.
Doch immer wieder wurden „Kostengründe“ vorgeschoben, wenn es um die Reduzierung des Angebots ging – im Gegenzug wurde mehr „Effizienz“ von den Verkehrsträgern verlangt. So hat sich Politik auf allen Ebenen immer mehr aus der Verantwortung gestohlen. Auch auf kommunaler Ebene, wo der ÖPNV wie eine untragbare Last diskutiert wird, als wäre er als Rückgrat einer mobilen Wirtschaft gar entbehrlich.
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