Für FreikäuferDiese Ministerantwort enttäuschte nicht nur den Landtagsabgeordneten Wolfram Günther (Grüne). Auch beim NABU Landesverband Sachsen e. V. war man im Grunde entsetzt, wie fahrlässig der Freistaat Sachsen mit der Hochwasservorsorge umgeht. Statt von vornherein genug Entspannung in das Flusssystem einzubauen, hat er 2,4 Milliarden Euro in die Deichbollwerke investiert und die Schaffung von Überflutungsflächen auf Sankt Nimmerlein vertagt.
Was das bedeutete, haben die Sachsen beim letzten großen Hochwasser 2013 erlebt: Da wurde wieder mit riesigem Aufwand um die Verteidigung der Deiche gekämpft, weil die Wassermassen kanalisiert und ungebremst talwärts rauschten. An den Oberläufen der Flüsse fehlen die großen Überschwemmungsflächen, wo sich das Wasser ausbreiten und den Druck auf den Unterlauf mindern kann.
Aber 15 Jahre nach der Flutkatastrophe in Sachsen und vier Jahre nach dem Jahrhunderthochwasser im Jahr 2013 fehlen noch immer tausende Hektar natürliche Überschwemmungsflächen in den sächsischen Flussauen, obwohl die Staatsregierung im Jahr 2010 die Rückgabe von 7.500 Hektar ehemaliger Überschwemmungsflächen an Flüssen ankündigte, deren Größe sie später auf 5.650 Hektar reduzierte.
Denn dass die Hochwasser der letzten Jahre so eine Wucht entfalteten (man redete ja sogar schon ganz übermütig von Jahrtausendhochwassern), hatte nichts mit den Wassermengen zu tun, sondern damit, dass im Lauf der letzten 100 Jahre immer mehr Flüsse von ihren Auen abgeschnitten wurden. Damit ging der Raum für natürliche Überschwemmungen verloren, die Wasser schossen sofort und mit großer Geschwindigkeit durch die oft kanalisierten Flussbetten talabwärts. Dieser Druck erzeugt die Notwendigkeit, im Tal immer höhere und stärkere Deiche zu bauen und zu verteidigen
Aber von der Einsicht des Jahres 2002, dass man die Gefahr im Oberlauf senken muss, ist die Regierung abgerückt, hat gerade diese simplen und nicht so teuren Maßnahmen ganz ans Ende der 1-Milliarde-Programme für den Hochwasserschutz verschoben.
Nur zur Erinnerung: Sachsen hat seit 2002 zwei Hochwasserschutzprogramme aufgelegt – nach jeder „Jahrhundertflut“ eines. Beide sind über 1 Milliarde Euro schwer gewesen. Die Herstellung der Überschwemmungsflächen war Teil des 2002er-Programms.
Nur 260 Hektar, 4,6 Prozent der noch anvisierten 5.650 Hektar, konnten bis jetzt dafür gewonnen werden. So ergab es jetzt die jüngste Antwort auf die Landtagsanfrage von Wolfram Günther.
„Das ist Hochwasserschutz im Zeitlupentempo und birgt angesichts des sich ändernden Klimas und zunehmender Starkwetterereignisse unkalkulierbare Gefahren für die hier lebenden Menschen“, erklärt dazu Bernd Heinitz, Vorsitzender des NABU Sachsen. Würde das bisherige Tempo beibehalten, müssten die sächsischen Bürger noch etwa 150 Jahre auf die komplette Umsetzung der angestrebten Maßnahmen wie den Deichrückbau und Polderflächen zur Rückgabe der Überschwemmungsflächen warten!
Momentan befinden sich weitere Flächen im Planungsstadium. Somit bestehe die Hoffnung, dass sich zeitnah rascher etwas in Richtung ökologischer Hochwasserschutz bewege, meint der NABU. Das im Juli von der Bundesregierung verabschiedete neue Hochwasserschutzgesetz sei da sicher eine gute Unterstützung.
Das Hochwasserschutzgesetz geht von einem Paradigmenwechsel aus, da es die Vorsorge in den Blick nimmt. Weil Regen und Hochwasser nicht verhindert werden können, geht es endlich darum, den Flüssen mehr Raum zu geben und Schäden durch Hochwasser zu verhindern oder zu vermindern. So dürfen in den von den Bundesländern festgesetzten Überschwemmungsgebieten im Außenbereich von Gemeinden in der Regel keine Baugebiete mehr ausgewiesen werden. Auch die Errichtung von Mauern und Wällen, die den Wasserabfluss behindern, ist untersagt. Die einzige Ausnahme stellt der Bau von Dämmen und Deichen dar. Maßnahmen, die den Hochwasserschutz behindern oder Schäden im Hochwasserfall erhöhen, werden grundsätzlich verboten, zum Beispiel die Umwandlung von Grünland in Ackerfläche.
Dazu passt aber das, was in Sachsen seit der Flut von 2002 passiert ist, so gut wie gar nicht.
Nach 2002 wurde in Sachsen vor allem in den technischen Hochwasserschutz – Deichreparatur, -neubau, -erhöhung und mobile Schutzwände – investiert. Dank dieser Maßnahmen konnten zwar in Dresden die Deiche den Wassermassen 2013 standhalten. Doch natürliche Rückhalteräume bieten den besten Hochwasserschutz, betont der NABU Sachsen etwas, was 2002 eigentlich mal klar schien, dann aber einfach Stück für Stück wieder kassiert wurde. Sachsen hat wieder auf Beton gesetzt, statt auf natürliche Risikovorsorge.
Der NABU fordert deshalb erneut eine konsequente Ausrichtung der Maßnahmen auf ökologischen Hochwasserschutz, um den Flüssen mehr Raum zur Entfaltung ihrer natürlichen Dynamik zu geben. Vordringlich sei die zeitnahe Umsetzung von Maßnahmen zur Vergrößerung der Überflutungsflächen, Rückgewinnung von Retentionsräumen wie Deichrückverlegungen, steuerbare Flutpolder und Einbezug landwirtschaftlich genutzter Flächen erforderlich.
Denn noch ein Problem hat sich in den letzten Jahrzehnten entwickelt, was dafür sorgt, dass bei Starkregenfällen die Wassermassen nicht mehr in Böden gespeichert werden, sondern oberflächig sofort zu den Flüssen ablaufen und den Wasserdruck dort erhöhen: Rund um die Flüsse sind viele Gebiete großflächig versiegelt und Ackerflächen durch intensive Landwirtschaft verdichtet worden, so dass Wasser nur sehr langsam im Boden versickern kann.
Ein Umdenken in der Landbewirtschaftung gehöre deshalb ebenso zum nachhaltigen Hochwasserschutz dazu, stellt der NABU fest. Keinesfalls sollten neue Bauvorhaben in Flussauen genehmigt werden. Diese Naturräume seien bedeutende Lebensräume für Pflanzen und Tiere, unter anderem für das Wappentier des NABU, den Weißstorch, und sie können sich an regelmäßige Überflutungen gut anpassen.
Fakten in Zahlen:
Geplante Überschwemmungsfläche für sächsische Flüsse in Hochwasserkonzepten für Elbe und Gewässer 1. Ordnung: 7.500 Hektar, reduziert auf 5.650 Hektar
geplante Maßnahmen: 49, reduziert auf 39
bereits umgesetzte Deichrückverlegungen: 6 (mit 188 Hektar Flächengewinn) von 30
bereits gebautes Polderwerk: 1 (mit 72 Hektar Flächengewinn im Flutungsfall) von 9
im Bau befindliche Maßnahmen: 4
noch offene Maßnahmen: 28
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