Für FreikäuferNicht nur der linke Landtagsabgeordnete Nico Brünler war skeptisch, als er am Donnerstag, 27. Juli, vernahm, was Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) plant, um den sächsischen Langzeitarbeitslosen endlich aus ihrer Dauerschleife bei den Jobcentern herauszuhelfen. So wird es nie gelingen, stellt auch Petra Zais, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, fest.

„Die Aussagen von Arbeitsminister Martin Dulig bieten nicht wirklich Neues und dienen eher der Füllung eines Sommerlochs. Langzeitarbeitslosigkeit bleibt – trotz eines Rückgangs – neben prekärer Beschäftigung das zentrale Problem des sächsischen Arbeitsmarktes“, sagt sie zu Duligs Landesprogramm gegen Langzeitarbeitslosigkeit. „Festzustellen ist, dass die stärkere präventive Ausrichtung der Maßnahmen der Bundesagentur und die Förderung von Maßnahmen aktiver Arbeitsmarktpolitik ursächlich für den Rückgang der Langzeitarbeitslosigkeit sind. Was allerdings nach wie vor fehlt, sind spezifische Ansätze für die größten Risikogruppen, langzeitarbeitslos zu werden – Alleinerziehende und ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.“

In der Mitteilung des Wirtschaftsministeriums las sich Duligs Plan für die Langzeitarbeitslosen so: „Auch bei der allgemeinen guten Arbeitsmarktlage sind Langzeitarbeitslose und Langleistungsbezieher noch immer nur schwer vermittelbar. Hier wird der Freistaat Sachsen mit einem Landesprogramm ansetzen. Geplant ist die Verbindung einer engen individuellen Betreuung mit Beschäftigungs- und Eingliederungsangeboten.“

Man liest es und staunt, denn genau mit solchen Eingliederungsversuchen wird in den Jobcentern nun seit Jahren gearbeitet.

„Dazu sollen Unternehmen gezielt angesprochen und begleitet werden“, erklärte Minister Dulig. Von den Unternehmen in Sachsen seien 84 Prozent bei fachlicher Eignung bereit, auch Langzeitarbeitslose einzustellen. So steht es zumindest im IAB Betriebspanel 2016.

Aber genau da beginnt das Problem: Die meisten Betroffenen sind ja auch deshalb so lange in der Jobcenter-Obhut, weil sie die „fachliche Eignung“ nicht haben. Das Programm wendet sich also wieder an jene kleine Gruppe von Leistungsbeziehern, die sowieso schon größere Chancen auf eine Vermittlung haben. Die anderen bräuchten im Grunde eine komplette neue Berufsausbildung, wenn sie für fachlich anspruchsvolle Tätigkeiten wieder in Betracht kommen sollen. Nicht bloß irgendwelche Qualifikationen.

Denn ohne das landen sie genau da, wo sie in den vergangenen 12 Jahren immer wieder landeten.

Petra Zais: „Wenn die Bundesagentur in ihrer Studie zur Langzeitarbeitslosigkeit darauf verweist, dass 2016 fast jeder fünfte ehemals Langzeitarbeitslose ein Beschäftigungsverhältnis im Bereich der sogenannten Sonstigen Dienstleistungen (Wach- und Sicherheitsdienste, Hausmeister, Reinigung, Call Center) aufgenommen hat, wird auch klar, dass das häufig Arbeit im untersten Lohnniveau ist. Die Sicherung des Lebensunterhalts ist in diesen Jobs kaum ohne Nebenjob möglich.“

Auch das sind oft körperlich anspruchsvolle Jobs, für die viele Ältere gar nicht mehr in Betracht kommen. Die würden andere, gesellschaftlich nützliche Arbeit freilich problemlos erledigen – wenn diese Art Jobs auch bezahlt würden.

Aber genau das hat auch Dulig nicht vor.

„Ich hätte erwartet, dass der Minister klar sagt, wie er das Thema ‚Gute Arbeit‘ tatsächlich angehen und prekäre Beschäftigung in Sachsen bekämpfen will. Das ist leider nicht passiert“, sagt Zais.

Ergebnis: Von den über 50-Jährigen bekommt nur jeder Vierte tatsächlich wieder einen Job vermittelt. Drei von vier älteren Arbeitslosen, die aus der Jobcenter-Betreuung ausscheiden, werden in den verfrühten Ruhestand geschickt.

Und man darf dabei auch nicht vergessen, dass das SGB II („Hartz IV“) im Gegensatz zum SGB III (dem beitragsfinanzierten Arbeitslosengeld) aus Steuern finanziert wird. Milliardenbeträge, mit denen der Staat Menschen problemlos in gesellschaftlich wichtige, staatlich finanzierte Arbeit bringen könnte, werden dazu benutzt, Menschen in Wirklichkeit vom Arbeitsmarkt fernzuhalten. Völlig sinnfrei, da es ja den Jobcentern mit den existierenden Programmen ganz unübersehbar nicht gelingt, Menschen mit fehlender Qualifikation, körperlicher Beeinträchtigung oder anderen „Handicaps“ (Stichwort: Alleinerziehende) wieder einen Job zu vermitteln, der sich selbst trägt. Sie stehen auch sichtlich nicht als „billige“ Arbeitsmarktreserve zur Verfügung, denn trotz zunehmenden Mangels an qualifizierten Fachkräften kommen sie für die aufklaffenden Lücken im Arbeitsmarkt nicht infrage.

Im Grunde weist gerade dieser zunehmende Mangel mitten im konjunkturellen Hoch darauf hin, wie falsch gedacht und funktionsuntüchtig das ganze System der Jobcenter ist. Alle seine Mängel, die schon 2004 kritisiert wurden, treten offen zutage. Wer sich nicht am eigenen Schopf aus der Misere Arbeitslosigkeit zu befreien vermag, bekommt in diesem System so gut wie keine Hilfe. Auf jeden Fall nicht die wirklich notwendige Unterstützung, dauerhaft aus der Schleife Bedürftigkeit herauszukommen. Was fehlt, ist eine ehrliche Analyse zu den Betroffenen und zu den Barrieren, die sie daran hindern, im Arbeitsmarkt Tritt zu fassen. Wer nicht mal weiß, warum diese Übergänge nicht gelingen, der schmeißt mit immer neuen Programmen nur immer mehr Geld zum Fenster raus. Was dann schöne, optimistische Schlagzeilen ergibt, aber am Problem seit 12 Jahren unübersehbar nichts ändert.

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