Am Donnerstag, 22. Juni, diskutiert das Sรคchsische Parlament den Grรผnen-Antrag โ€žImpulse fรผr ein geeintes Europa aufnehmen โ€“ Die Zukunft der Europรคischen Union mitgestaltenโ€œ. Die Staatsregierung hatte sich zu dem Antrag vorher schon windelweich geรคuรŸert. Motto: Die EU sei eben so konstruiert, da kรถnne man kein echtes Parlament erwarten. Aber ein vollberechtigtes EU-Parlament ist das Mindeste, was Europa braucht, finden die Grรผnen.

Die Grรผnen hatten den VorstoรŸ von Jean-Claude Juncker im Mรคrz genutzt, als der mit einem โ€žWeiรŸbuchโ€œ seine Art Vorschlรคge fรผr ein besseres Europa machte. Die Vorschlรคge waren tatsรคchlich viel zu mutlos und zeugten von der tiefsitzenden Angst des EU-Prรคsidenten vor der Eigenwilligkeit der Europรคer. Er traut ihnen nicht zu, in einem Parlament Visionen fรผr gemeinsame Projekte zu entwickeln. Was รผbrigens auch deutlich machte, dass Juncker selbst keine Visionen fรผr Europa hat.

Was uns auf den Beginn der Serie bringt: Europa braucht eine groรŸe Leiterzรคhlung, die seine Bewohner wirklich teilen kรถnnen und die es sich lohnt anzupacken. Derzeit tanzen รผberall die Nationalisten ihren Freudentanz, weil eine EU ohne eine groรŸe Erzรคhlung kein Gegner ist, nur ein mutloser Haufen von Managern, Verwaltern und Aussitzern, die nicht begriffen haben, dass das Schengen-Abkommen und die Einfรผhrung des Euro Konsequenzen haben und die Europรคer tatsรคchlich dazu zwingen, einige Mega-Themen gemeinsam zu lรถsen. Nicht mehr im nationalen Alleingang, so, wie der deutsche Finanzminister gerade wieder versucht, die Sorgen Griechenlands โ€žzu lรถsenโ€œ.

Dass mit Griechenland die riesige Chance bestand, funktionierende Lรถsungsmechanismen zu entwickeln, die den Absturz von Mitgliedslรคndern verhindern und โ€“ nach einem Absturz โ€“ dabei helfen, sie aus dem Schuldensumpf wieder herauszuholen, das hat das schwรคbische Gemรผt Wolfgang Schรคuble bis heute nicht begriffen.

Chance vertan. Gelegenheit verpennt.

Und die Europรคer sehen eine Elite, die sich ganz offensichtlich unfรคhig zeigt, wirklich eine gemeinsame Zukunft zu denken. Gerade die konservativen Politiker stecken gedanklich im Gestern und in der Besitzstandswahrung. Die Linken hรถrt man gar nicht. Was noch schlimmer ist.

Die deutsche Linkspartei hat auf ihrem Parteitag in Hannover den Antrag der sรคchsischen Delegation, eine โ€žRepublik Europaโ€œ zum Programm zu machen, abgelehnt. Zumindest hat Rico Gebhardt, der Vorsitzende der sรคchsischen Linken, noch Hoffnung, dass der Rest der Partei auch noch munter wird: โ€žDass unser Antrag zur linken Vision einer Republik Europa nicht Niederschlag im Programm finden konnte, bedaure ich natรผrlich. Allerdings hat es selten ein so weitgehender Impuls gleich beim ersten Versuch in die Programme unserer Partei geschafft. Die groรŸe Zustimmung zum Antrag, auch wenn es noch nicht zu einer Mehrheit gereicht hat, ermutigt uns: Wir werden weiter fรผr unseren Vorschlag werben und einen neuen Anlauf bei der Erarbeitung des Europawahlprogramms in zwei Jahren wagen.โ€œ

Zwei Jahre?

Hat Europa รผberhaupt noch so viel Zeit?

Jetzt, so stellten auch die Grรผnen fest, sei eigentlich der Moment, die Diskussion zu beginnen.

Das Fenster fรผr Verรคnderungen in Europa stehe derzeit so offen wie seit Jahren nicht. Mit dem WeiรŸbuchprozess zur Zukunft der EU habe die Europรคische Kommission im Mรคrz 2017 einen Diskussionsprozess angestoรŸen, in dem die Bรผrgerinnen und Bรผrger, aber auch der Landtag und die Staatsregierung Sachsens dazu aufgerufen sind, ihre Ideen fรผr eine Europรคische Union im Jahr 2025 zu formulieren.

Die Stellungnahme der Staatsregierung war ja ein klassisches โ€žNeeโ€œ: Das ginge nur die Regierungen was an. An die sei das โ€žWeiรŸbuchโ€œ ja adressiert.

โ€žWir fordern in unserem Antrag eine demokratische Reform der EU, mit der wir die Beteiligungsmรถglichkeiten der Bรผrgerinnen und Bรผrger in Sachsen an europรคischen Entscheidungen verbessern wollenโ€œ, beschreibt Dr. Claudia Maicher, europapolitische Sprecherin der Grรผnen-Fraktion im Sรคchsischen Landtag, das Anliegen. โ€žSo sollten etwa Jugendliche kรผnftig schon ab 16 Jahren europรคische Bรผrgerinitiativen unterstรผtzen dรผrfen. Dem Europรคischen Parlament muss im Rahmen einer mรถglichen Vertragsreform ein Gesetzesinitiativrecht eingerรคumt werden. Zudem wollen wir, dass das Europรคische Parlament kรผnftig zu EU-Gesetzesvorschlรคgen, die รผber den Bundesrat auch von Sachsen gerรผgt wurden, Anhรถrungen durchfรผhren kann.โ€œ

Aber sie musste auch feststellen: โ€žDie Koalitionsfraktionen von CDU und SPD und die Staatsregierung stellen sich in der EU-Zukunftsdebatte bislang tot. Auch Staatskanzleichef Dr. Fritz Jaeckel versteckt sich in seiner Stellungnahme zum Grรผnen-Antrag hinter Kosten und angeblich fehlenden Zustรคndigkeiten. So hat die Staatsregierung im Rahmen des WeiรŸbuchprozesses bisher weder eigene Ideen zur Zukunft der EU formuliert, noch hat sie Beteiligungsformate fรผr die Bรผrgerinnen und Bรผrger in Sachsen dafรผr angedacht. Wenn es darum geht, die EU fรผr vermeintliche Missstรคnde verantwortlich zu machen, sind sรคchsische CDU-Politiker dagegen nicht zu รผbertreffen.โ€œ

Und dann benennt sie das, was den konservativen Parteien Europas seit Jahren abgeht: Sie verwalten nur, versuchen die nationalen Claims abzustecken und wundern sich dann, dass das Vertrauen der Bรผrger in die EU schwindet.

Maicher: โ€žVisionen zu entwickeln und daraus Forderungen zu formulieren ist der Kern des laufenden Ideenprozesses. Nutzen wir die Chance und greifen die pro-europรคischen Impulse aus der sรคchsischen Zivilgesellschaft auf, um die Europรคische Union zusammenzuhalten und aus den Regionen heraus demokratischer zu machen.โ€œ

Denn wenn die Bรผrger und die Regionen sich im Tun des Kolosses EU nicht wiederfinden und nicht aktiv werden kรถnnen, dann entsteht genau der Eindruck, der das Misstrauen hat wachsen lassen: Die EU wird als technokratisches Unternehmen von Polit-Managern wahrgenommen, die hinter verschlossenen Tรผren kungeln, nur Konzerninteressen bedienen, aber keine Erdung bei den Bรผrgern dieser Union haben. Haben sie auch nicht.

Es werden keine Diskussionen angestoรŸen, es gibt keine Rรผckfragen in die Regionen, nicht mal die Gesetze, die man am laufenden Band erlรคsst, muss man erklรคren.

Das ist ein technokratisches Politikverstรคndnis, das in manchen Staaten Europas Oligarchen regelrecht an die Macht treibt.

Ein Verstรคndnis, das die derzeitige sรคchsische Regierung รผbrigens teilt. Denn von nichts anderem erzรคhlt ja Fritz Jaeckels Stellungnahme.

Wenn man Europa immer wieder nur als ein Wegducken derer erlebt, denen die Macht in die Hรคnde gegeben ist, was soll man da noch sagen zur Vertrauenswรผrdigkeit einer solchen Institution, die sich lieber abkapselt, als den tatsรคchlichen Dialog mit dem Bรผrger zu suchen? Da helfen keine Europa-Alibi-Veranstaltungen. Das braucht echte Beteiligung und ein handlungsfรคhiges Parlament.

Die Serie zum Europa-Projekt.

Die Stellungnahme von Fritz Jaeckel zum Grรผnen-Antrag โ€žImpulse fรผr ein geeintes Europa aufnehmen โ€“ Die Zukunft der Europรคischen Union mitgestaltenโ€œ. Drs. 9504

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Das Projekt europรคische Einigung ist gewiss jede Mรผhe wert. Ein europรคisches Parlament als demokratische Institution gibt es jedoch bislang nicht โ€“ solange es keine Stimmgleichheit bei der Wahl des EU-Parlaments gibt. Das Stimmgewicht eines Luxemburgers (beliebigen Geschlechts) betrรคgt ein Vielfaches dessen eines deutschen Wรคhlers. Das zu missachten und mit parlamentarischem Geklingel zu garnieren, halte ich fรผr zutiefst antidemokratisch. Deshalb betrachte ich die Euphorie der demagogischen โ€œEuropafreundeโ€ mit Misstrauen.

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