Glauben Sie wirklich noch an Zufรคlle? In der Politik? Dann beschimpfen Sie sicher auch gern Politiker als dumm und faul. Und gehรถren vermutlich zu denjenigen, die man leicht davon รผberzeugen kann, dass Sachsens Finanzminister Georg Unland nun vรถllig die geistige Oberstube entmรถbelt hat und sich gerade am blanken Raum erfreut, wenn er einen weiteren Stellenabbau im รถffentlichen Dienst Sachsens fordert. Nein, das hat er nicht. Der Mann baut vor, wie in all den Jahren seiner stillen Regentschaft in Sachsen, wenn er erneut deutlich weniger Polizei, Lehrer und รถffentlich Beschรคftigte unter Nutzung falscher Prozentzahlen fordert. Und auf seine Sachsen kann er sich dabei bestens verlassen: sie wรคhlen auch weiterhin brav CDU. Und sie werden sich freuen, wenn ein stammelnder Ministerprรคsident Stanislaw Tillich umgehend wenigstens die Linderung des Abbaus verspricht.

Soeben noch hatte Georg Unlands Parteikollegin und โ€“ es mag รผberraschen โ€“ eigentlich verantwortliche Noch-Kultusministerin Brunhild Kurth eingerรคumt, dass man bei den Lehrern in Sachsen wohl deutlich aufstocken mรผsste. Bis es gelingt, zumindest die jetzige Situation halbwegs zu stabilisieren โ€“ Ausbildungen dauern, dies muss nun auch ihr Parteifreund Markus Ulbig bei den Polizeibeamten feststellen โ€“ reagiert die Ministerin wie ein Schรผler, der wรคhrend des laufenden Unterrichts seine Hausaufgaben zu erledigen versucht.

Mit einer Erhรถhung der รœberstundenbezahlung von 20 auf 30 Euro die Stunde an hastende Lehrer, die die fehlenden Kollegen ersetzen sollen und einer Geldoffensive Richtung Bayern, wo man nun um die dort abgelehnte, zweite Garde der Lehrer wirbt. Fรผr die sรคchsischen Kinder wird reichen, was in Bayern nicht in den Schuldienst darf โ€“ die โ€žBuschzulageโ€œ ist wieder da, der Aufbau Ost lรคuft auch nach 27 Jahren CDU noch immer mit den gleichen falschen Methoden.

Sรคchsische Neulehrer mit Bestnoten gehen โ€žin den Westenโ€œ, von wo die Absolventen nach Sachsen kommen, um den Kevins und Jaquelines fรผr vergleichsweise Billiglรถhne bei der sozialen Degeneration Jahr um Jahr abgestumpfter zuzuschauen. Dass dabei aufgrund der langen Wege und erhรถhten Betreuungsnotwendigkeiten zuerst der Schwimmunterricht ausfรคllt und so auch die Sachsen auf eine Nichtschwimmerquote von 50 Prozent zusteuern, wird bald die Rettungsschwimmerausbildung zu einer begehrten Zusatzqualifikation im Neuseenland machen. Spรคtestens, wenn der hilflose Spross vom Motorboot in einen der Neuseen kippt oder ihn an der Ostsee eine mittlere Welle aus dem Leben reiรŸt, darf das trauernde Elternteil neben diversen Selbstbezichtigungen ein โ€žOh Unlandโ€œ-Seufzer gen Himmel schicken.

Die Klassenstรคrken von 28 bis 30 Schรผlern, Schulabbrecherquoten von 10 Prozent und ein Stundenausfall, der vielleicht die Schรผler kurzfristig freut, doch schon heute den Handwerksmeister auf Nachwuchssuche (oder die Kultusminister spรคterer Jahre auf Lehrersuche) zur WeiรŸglut treibt, machen das Bild einer Kultusministerin rund, die sich bereits daran gewรถhnt hat, einem Finanzminister staunend bei seinen Zahlenjonglagen zuzuschauen.

Was รผbrigens ihr Vorgรคnger Roland Wรถller nicht mehr fertigbrachte und in einem fast einzigartigen Anfall von Erkenntnis 2012 erbost zurรผcktrat. Seither versagt seine Nachfolgerin still vor sich hin.

Partei-Kollege Markus Ulbig (noch Innenminister) schwimmt ebenfalls lรคngst in einem Sog aus unzureichend ausgebildeten Polizeibeamten, รœberstundenzahlen, Urlaubsuntersagungen und unterbesetzten Kriminalistenbรผros. Mit entsprechendem Begleitgebimmel. Denn sehet her: hier ist der neue Wasserwerfer und ein paar Rรคumpanzer kommen auch bald.

Und damit man weiรŸ, wohin diese zu schicken sind, bastelt Ulbig an der sรคchsischen Variante von โ€žMinority Reportโ€œ. Dass nur die CDU innere Sicherheit kann, ist Gesetz โ€“ also, wird schon schiefgehen, wenn das Einfamilienhaus in Sachsen geplรผndert wird, die Polizei nur noch eine anschlieรŸende Bestandsaufnahme macht und eine Wartemarke an den Geschรคdigten aushรคndigt.

Den Rรผcktritt dieses Ex-Bรผrgermeisters einer 38.000-Einwohner-Gemeinde in der Sรคchsischen Schweiz namens Pirna habe ich ja schon vor Jahren gefordert, seinen Abschiebeversuch auf den Dresdner Oberbรผrgermeisterposten beobachtet und muss nun feststellen: Ich habe den falschen gebeten, seinen Hut zu nehmen. Markus Ulbig ist unwichtig, ein Pappkamerad, wenn man auf die Macht hinter ihm schaut. Wobei ich wirklich glaube, dass er lieber auf den Dresdner OBM-Sessel wollte. Endlich raus aus der andauernden รœberforderung, hin zu einem รผberschaubaren und geรผbten Spielfeld. Und das hat gute Grรผnde.

Wenn man einen Finanzminister wie Georg Unland im Rรผcken hat, braucht man vor allem eine Schlรผsselqualifikation: Ein ausgeprรคgtes Verdrรคngungsvermรถgen. Und viele gute Ausreden dafรผr, dass es seit Jahren immer gerade heute irgendwie nie passt. Denn die Finanzpolitik in Sachsen zeigt immer auf eine ominรถse Zukunft, eine, die von Unlands Agenda bestimmt wird. Lรคsst man ihn machen, tritt sie auch ein und er behรคlt Recht. Darin zum Beispiel, dass die Sachsen weniger werden, denn er fรผhrt den Zustand selbst mit herbei.

Zukunft ist รคnderbar

Beispiele? Entzieht man den Schulen und Kitas die Lehrer und Erzieher, indem man zu wenige unzureichend finanziert, wird die Betreuungssituation und der Unterricht eher mager. Qualitativ und quantitativ. Mager mรถgen die meisten Eltern nicht so sehr, ja, sie sind sogar nach einer aktuellen Umfrage (Frontal21) mehrheitlich bereit dazu, noch mehr fรผr die Kita-Betreuung zu zahlen. Hauptsache, dem Kind gehtโ€™s gut und es wird auf eine durchaus technisch und gesellschaftlich komplexe, globale Zukunft vorbereitet.

An der Schule haben hingegen Eltern- und Schรผlerrรคte lรคngst begonnen, Lernstoff selbst zu organisieren. Auch die Nachhilfe boomt weiter in Sachsen. Ein Trend, der sich fortsetzen dรผrfte, wenn Unland mit seinen Zahlenspielereien durchkommt.

Denn sie setzt auf Umverteilung โ€“ mehr Eigenleistungen der Bรผrger, weniger Staat. Neoliberalismus eben, in seiner reinsten Form. Daran haben sich die Sachsen lรคngst derart gewรถhnt, dass es nicht wundert, wenn sie โ€“ auch mangels Alternativen und fehlendem Demokratieverstรคndnis โ€“ auch 2014 der CDU wieder einen Regierungsauftrag gegeben haben. Es ist den Sachsen offenbar schwer beizubiegen, dass Regierungswechsel und somit auch die Entstaubung von Verwaltungsamtsstuben aus hygienischen Grรผnden dazugehรถrt.

Da wรคhlen sie lieber gleich die AfD, die noch neoliberaler als die CDU ist. Hauptsache keine Linken, die wollen dieses ganze Sozialgedรถns. Und nicht diese Leistungsgesellschaft mit privater Arbeitslosen- und Rentenvorsorge, in der das faule Lehrerpack gefรคlligst die paar Stunden mehr unterrichten kann. Kann doch jeder, das bisschen SchรผlerbespaรŸung.

Georg Unlands Zukunft ist auf einen stabilen Haushalt in 10 Jahren ausgerichtet. Und darauf, dass die Sachsen weniger werden, wรคhrend man die Pensionen fรผr die Lehrer, Polizisten und Beamten bereithalten muss. Er rechnet scheinbar damit, dass man an PleiรŸe und Elbe das Kindermachen verlernt hat โ€“ in Leipzig hingegen wird Jahr um Jahr geboren, dass es nur so kracht, wรคhrend die Zahl von 4 Millionen Sachsen seit einigen Jahren stabil bleibt.

Mal sehen, wann sich endlich jemand aus der CDU-Regierungsbank traut, die Tรผr zu seinem Bรผro einzutreten und ihm mitzuteilen, dass die schlecht ausgebildeten jungen Menschen zukรผnftig die Steuern zahlen sollen, mit denen seine Nachfolger ihre Haushalte aufstellen werden. Und dass sie dies nur noch kรถnnen werden, wenn sie in einem weltweiten Konkurrenzkampf intellektuell mithalten kรถnnen.

Vielleicht braucht es aber auch eine neue Definition von Konservatismus?

Dass dieser nรคmlich eben nicht bedeutet, eine Bildungsgesellschaft zu predigen und gleichzeitig den Menschen das Kinderbekommen zu vermiesen, indem man eine Gesellschaft baut, in der drei Dinge heute schon bedenklich sind.

Der Betreuungsschlรผssel in den Kitas, der Zustand der รผberalterten Lehrerschaft und die Wartezeit, wenn man die Polizei um Hilfe ruft. Ganz zu schweigen von den sich tatsรคchlich entleerenden Dรถrfern und Gemeinden auf dem platten Sachsenland. Doch sicher hat Unland eine sehr weitreichende Vision, welche er nur noch nicht verrรคt.

Die von einer Gesellschaft, in der Roboter Kinder und Alte betreuen, die Bildung nur noch aus dem Internet in die Klassenrรคume kommt, Totalรผberwachung zu Verhaftungen vor Begehen einer Straftat fรผhrt und menschliche Zuwendung ganz allgemein einfach keine Rolle mehr spielt.

Es ist also, wohlmeinend vermutet, jede Menge Mobiliar in der Unlandschen Oberstube vorhanden. Nur leider ist es aus Metall.

Die neue LZ Ausgabe Juni 2017, ist seit Freitag, 16. Juni 2017 im Handel

Die Leipziger Zeitung Nr. 44: รœber die Grenzen hinaus

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Die ganze Truppe ist ein Gruselkabinett, mit Unland als Frankensteins Monster! Dass die SPD mit denen koalieren kannโ€ฆ Die meisten Menschen hรคtten wohl arge Rรผckenschmerzen โ€“ aber die haben eben auch ein Rรผckgrat!

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