Auch die „Sächsische Zeitung“ hat das Zahlentheater, das die LVZ am 14. Mai veranstaltet hat, nun erreicht. Sie hat den Vorteil: Der Quatsch wurde inzwischen auch mit Antworten im Sächsischen Landtag und im Leipziger Stadtrat weidlich richtiggestellt. Was dem Landtagsabgeordneten der Linken, Enrico Stange, natürlich nicht genügt. Er weiß, wie „vergesslich“ die Journalisten bei einigen Medien sind.

Oder sollte man eher sagen: oberflächlich? Auf „fetzige Überschriften“ versessen, wozu man natürlich „skandalöse Zahlen“ braucht? Ausgewogene Berichterstattung fetzt ja nicht so, erzeugt auch nicht so viele Clicks auf der eigenen Seite. Und zumindest darf man stutzen, wenn nun die „Sächsische Zeitung“ am 27. Juni titelt: „Mehr Kinder und Jugendliche werden zu Straftätern“

Was auch Enrico Stange, Sprecher der Linksfraktion für Innenpolitik, stutzen lässt: „Sachsens Polizei registriert immer mehr Fälle, in denen Kinder und Jugendliche Straftaten verüben. Für einen Aufschrei gibt es allerdings keine Grundlage. Denn der Anstieg beruht lediglich auf statistischen Effekten.“

Und diese Statistik sieht er sehr kritisch. Denn sie macht Menschen zu Straftätern, die in Wirklichkeit nichts Kriminelles verbrochen haben. „Bekanntlich sind auch zahlreiche Kinder und Jugendliche nach Sachsen geflohen – schon ihr Grenzübertritt wird als Straftat gewertet“, geht Enrico Stange auf juristische Fragwürdigkeit der Zahlen ein. „Logischerweise sind nun besonders jene Landkreise und Kreisfreien Städte vom vermeintlichen Anstieg der Kinder- und Jugendkriminalität betroffen, in denen eine Asylerstaufnahmeeinrichtung liegt oder die eine deutsche Außengrenze haben. Geflüchtete Kinder und Jugendliche werden auch schon zu ‚Straftätern‘, wenn sie den ihnen zugewiesenen Aufenthaltsort verlassen oder einen abgelaufenen Pass vorweisen.“

Was natürlich Polizisten freudige Arbeitserfolge melden lässt, wenn sie nur einmal die Pässe der Betroffenen kontrollieren.

„Derlei Verstöße gegen das Asyl-, Aufenthalts- und Freizügigkeitsgesetz gelten schon als aufgeklärt, sobald sie festgestellt werden. Einheimische können sie naturgemäß gar nicht begehen“, kommentiert das Enrico Stange. „Hinzu kommen die systemischen Mängel der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik (PKS). Sie bildet nur Fälle ab, die polizeibekannt sind beziehungsweise aufgeklärt werden konnten. Während also der minderjährige Syrer, der nach Deutschland flüchtet und registriert wird, sofort in der Statistik landet, bleibt beispielsweise der deutschstämmige Keller-Einbrecher unberücksichtigt, wenn er nicht geschnappt wird.“

Anteil ausländerrechtlicher Verstöße an Straftaten von Kindern und Jugendlichen, 2015 bis 2016, nach Landkreisen. Quelle: Drucksache 6/9665, Zusammengestellt von Enrico Stange
Anteil ausländerrechtlicher Verstöße an Straftaten von Kindern und Jugendlichen, 2015 bis 2016, nach Landkreisen. Quelle: Drucksache 6/9665, Zusammengestellt von Enrico Stange

Wer die Kriminalitätsentwicklung seriös bewerten wolle, sollte all das berücksichtigen, betont Enrico Stange etwas, was man zumindest in einigen Redaktionen gern wieder vergessen wird, wenn man eine schöne saftige Schlagzeile haben möchte. Die Hatz nach Aufmerksamkeit hat eine tiefschwarze Seite.

Enrico Stange: „Werden die ausländerrechtlichen Verstöße herausgerechnet, zeigt sich die übliche Entwicklung der Kriminalitätsrate: In Gebieten mit rückläufiger oder stagnierender Einwohnerzahl gibt es auch weniger Straftaten von Kindern und Jugendlichen. In wachsenden Städten werden auch mehr solche Straftaten registriert.“

Stange war es ja auch, der die Kleine Anfrage zum Thema an die Staatsregierung gestellt und von Innenminister Markus Ulbig (CDU) alle Zahlen dazu bekommen hat.

„Es ist gut, dass auch das Innenministerium den Anstieg korrekt analysiert und auf statistische Effekte verweist“, sagt er. Sieht aber auch die Tücken dieser statistischen Berichterstattung, die eigentlich Äpfel mit Birnen vermengt. „Allerdings sollte das Haus Ulbig konsequent bleiben und darauf hinwirken, dass die Polizeiliche Kriminalitätsstatistik modernisiert wird. Sie muss künftig besser differenzieren, also beispielsweise ausländerrechtliche Verstöße angemessen berücksichtigen. Das würde auch zum gesellschaftlichen Frieden beitragen. Denn diejenigen, deren politische Existenz von Panikmache und Hetze abhängt, schlachten missverständliche Zahlen nur zu gerne aus.“

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