Im Grunde haben wichtige Medien das im März vom Präsidenten der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, vorgelegte „Weißbuch“ in der Luft zerfetzt. Es war nicht nur eine Ohrfeige für alle Länder im Süden und Osten der EU, es war ein Schriftstück obrigkeitlichen Politikverständnisses. Wenn jemand nicht in der Lage ist, die EU zu reformieren, dann ist es ein Mann wie Jean-Claude Juncker.

Die Grünen im Sächsischen Landtag haben zumindest mal versucht, aus diesem hingeluschten „Weißbuch“ was zu machen, nämlich in der Sächsischen Regierung eine Art Ermunterung auszulösen, dass sich Sachsen in den Prozess einbringt und eigene Vorschläge macht, wie die EU aus ihrer Erstarrung gelöst werden kann. Dazu haben sie einen recht umfangreichen Antrag geschrieben.

Zu dem hat jetzt Dr. Fritz Jaeckel, Leiter der Sächsischen Staatskanzlei und irgendwie auch für das Europäische in der Staatsregierung zuständig, geantwortet.

Vielleicht hat er es selbst nicht geahnt, wie viel Lethargie und Gleichgültigkeit aus seiner Stellungnahme spricht. Denn eines kann man als Fazit aus dieser Regierungsmeinung ziehen: Sachsens Regierung sieht überhaupt keinen Grund, als betroffene Region auch nur ein Signal zu setzen. Im Gegenteil, man findet sich sogar damit ab, dass Juncker nicht mal daran gedacht hat, die Regionen und vor allem die EU-Bürger in die Debatte einzubeziehen.

Der Mann hat das nie gelernt. Er redet nur mit der Königsebene. Keins seiner Szenarien deutet auch nur an, dass die EU endlich eine echte Demokratie werden müsste, in der die Bürger und Regionen eine Rolle spielen. Ein paar mehr Kompetenzen kann er sich vorstellen zu bekommen. Aber eher so um 2025. Nur nicht jetzt. Da würde es ihn wohl beim Kaffeekränzchen stören. Und das ist in Punkt fünf seiner Vorschläge auch nur angedeutet, so, als erwarte er von den angesprochenen Regierungen sowieso ein „Nein, wollen wir nicht.“

Die vier ersten Punkte laufen mehr oder weniger auf eine Demontage der EU hinaus, die Rückentwicklung in eine Art Club, in dem jeder das macht, was ihm beliebt.

Juncker hat noch nicht einmal begriffen, in welcher Krise die EU steckt.

Und die Sächsische Regierung?

Die steckt tatsächlich in einer Geht-uns-doch-nichts-an-Haltung.

Das bringt Fritz Jaeckel so auf den Punkt: „Die Sächsische Staatregierung begrüßt die durch das Weißbuch der Europäischen Kommission (KOM) zur Zukunft der EU angestoßene Diskussion und bedauert, dass es zu dieser dringend erforderlichen kritischen Debatte des Brexit-Referendums im Vereinten Königreich am 23. Juni 2016 und dessen Ergebnis bedurfte. Mit Blick auf die Adressaten für das ,Weißbuch zur Zukunft Europas – Die EU der 27 im Jahr 2025 – Überlegungen und Szenarien‘ wird klar, dass sich das Papier in erster Linie an die Mitgliedstaaten richtet. Das Weißbuch ist ein politisches Strategiepapier, das dem Diskussionsprozess innerhalb des Europäischen Rates zur Zukunft der EU Struktur verleiht und diesen insofern leitet. So ist auch sicherlich zu erklären, dass die KOM keine öffentliche Konsultation in diesem Zusammenhang durchführt. Für Deutschland bedeutet dies, dass primär die Bundesregierung, aber auch der Bundestag und auch die Regionen mit Gesetzgebungskompetenzen – die Länder – angesprochen werden.“

Das ist Politik gewordene Lethargie.

Ganz amtlich wird einfach akzeptiert, dass Juncker wieder nur mit demselben Kreis zu reden beliebt, mit dem er eh schon die ganze Zeit redet und der bis heute keinen Lösungsvorschlag für das europäische Dilemma vorgelegt hat.

Und Sachsens Regierung lässt sich das einfach gefallen, verweist gar auf einige EU-Diskussions-Veranstaltungen, die man den sächsischen Bürgern gegönnt hat. Nur scheint in diesen Veranstaltungen nichts herausgekommen zu sein. Es sind Einbahnstraßen, bei denen den Sachsen irgendetwas über Europa erzählt wird – aus denen aber die Regierung nichts mitnimmt, keine Idee, keine Forderung, keine Vision.

Und genauso lethargisch nimmt Jaeckel hin, dass das Europäische Parlament ebenfalls nicht gefragt ist. Juncker behandelt es wie einen Bettvorleger.

Und das Erstaunliche ist: Sachsens Regierung sieht das genauso.

Fritz Jaeckel: „Zur Rolle des Europäischen Parlaments (EP) wird darauf verwiesen, dass die ,kompetenzielle‘ Ausstattung des EP aus der Konstruktion der EU folgt und die geforderte Stärkung der Rechte des EP eine staatliche Souveränität der EU voraussetzen würde. Die Verfasstheit des EP ist darüber hinaus der direkten Gestaltungsbefugnis des Freistaates Sachsen entzogen.“

So deutlich hat es in der sächsischen Regierung noch niemand formuliert: Als – wenn auch kleine – Region hat man in der EU nichts mitzureden und das EU-Parlament ist nur ein Placebo, denn die EU ist nicht souverän.

So offen hat das wirklich noch keiner gesagt und dann auch noch keine Schlüsse draus gezogen.

Und dann erklärt Jaeckel auch noch ohne viel Federlesens, dass die Europäischen Regierungen überhaupt kein Interesse daran haben, die EU zu einer Sache ihrer Bürger zu machen. Wo kämen wir da hin, wenn die Bürger mitreden könnten?

Jaeckel: „Nach Einschätzung der Staatsregierung besteht in der überwiegenden Mehrheit der Mitgliedstaaten gegenwärtig keine Bereitschaft zu Änderungen der primärrechtlichen Grundlagen der Europäischen Union.“

Wenn das so ist – dann gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder geht die EU an dieser Ignoranz der Regierungen zugrunde – mit allen teuren und wahrscheinlich auch blutigen Folgen für die Bürger.

Oder wir sollten wirklich langsam anfangen, mit aller Konsequenz nur noch Parteien zu wählen, die die Schaffung einer Republik Europa auf der Agenda haben. Denn Regierungen sind ja nichts Starres. Sie können sich ändern. Oder geändert werden.

Und zwar nicht nur auf Bundesebene. Auch in den Bundesländern. Denn augenscheinlich denkt dort auch niemand darüber nach, dass die Regionen innerhalb Europas eigentlich eine aktive Rolle spielen müssten. Die aktuelle EU-Politik befördert die Bettler-Haltung: Man bettelt in Brüssel eifrig um Fördergelder. Und das Schlimme ist: Die Projekte müssen den starren Rahmensetzungen aus Brüssel genügen. Was nicht reinpasst, wird nicht gefördert. Was dazu führt, dass Milliarden Euro in überflüssigen Schnickschnack fließen, für eigentlich lebensnotwendige Bedürfnisse in den Regionen aber kein Geld da ist. Oder die richtige Förderung fehlt. Weil es keine Rückkopplung in die Regionen gibt, sondern sich EU-Bürokraten ausdenken, was in welchem Rahmen gefördert wird – oft mit geradezu fatalen Ergebnissen.

Und es erstaunt schon, dass es in der Sächsischen Regierung nicht einmal strategische Überlegungen dazu gibt, wie das geändert werden könnte. So sehr hat man sich an diese Bittgänge schon gewöhnt. Ganz unübersehbar empfindet sich nicht einmal die sächsische Regierung als souverän.

Man kaschiert diese fehlende Souveränität nur immer wieder mit Kraftmeierei und netten Ausflügen in die eigene Dependance in Brüssel, ohne dass auch nur ein Wörtchen darüber laut wird, dass das eigentlich vorsintflutliche Zustände sind.

Tatsächlich macht diese Ministerantwort noch viel verständlicher, warum die Briten diesen unsouveränen Laden lieber verlasen wollen.

Die Stellungnahme von Fritz Jaeckel zum Grünen-Antrag „Impulse für ein geeintes Europa aufnehmen – Die Zukunft der Europäischen Union mitgestalten“. Drs. 9504

Die Serie zum Europa-Projekt.

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