Das Lügen, Täuschen und Fakenews-Produzieren fängt nicht erst in den „sozialen Netzwerken“ an oder bei PEGIDA oder in den bekannten Medien der neuen Rechten. Es fängt schon an, wenn sich zehn Politiker vor die Presse stellen und wissenschaftliche Erkenntnisse einfach vom Tisch wischen. Wenn auch hübsch in Phrasen verpackt, wie der „Berliner Kreis“ es tat.
Der „Berliner Kreis“ sind zehn Mitglieder der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Zehn von insgesamt 309, die sich selbst als „wertkonservativ“ bezeichnen. Aber die Verachtung wissenschaftlicher Erkenntnis unter dem Label „Ohne Ideologie“, das spricht Bände. Das erzählt im Grunde schon eine Menge über die Haltung dieser zehn Ultrakonservativen, von denen zwei aus Sachsen kommen: Steffen Flath und Arnold Vaatz. Nicht zufällig. Manch ein Beobachter attestiert der sächsischen CDU die konservativste Haltung innerhalb aller CDU-Landesverbände.
Das Papier, das diese Zehnergruppe vorstellte, war eine Kritik an der Klima-Politik der Kanzlerin, meldeten einige Medien. Die Zehn würden eine Änderung der Klimapolitik fordern.
Tatsächlich ist das Papier ein sehr sauberes Beispiel für Tricksen und Täuschen, für eine Denkweise, die man so eigentlich eher bei der AfD verortet hätte. Es ist ein Statement voller Unterstellungen. Man kennt es aus den ganzen Klimadebatten, wenn Leute, die zumeist gut bezahlt von großen Energiekonzernen agieren, in Debatten einfach behaupten, die Erkenntnisse der Klimaforschung seien diskutabel oder gar von einer Ideologie getrieben. Die Klimaforscher würden also von Interessengruppen gesteuert.
Auch wenn im Papier der frappierende Satz steht, man würde den Klimawandel gar nicht abstreiten. Klimawandel gehöre nun einmal zur Erdgeschichte.
Aber das Gremium, das nun regelmäßig über den Forschungsstand zum Klimawandel berichtet, verunglimpft das Papier: „Der internationale Klimarat IPCC hat sich zu einer einflussreichen polit-medial-wissenschaftlichen Supermaschinerie entwickelt …“
Heißt ja wohl: Die Klimaforschung wird missbraucht, um Lobbyinteressen durchzusetzen. Man fordert eine Diskussion „ohne Ideologie“, unterstellt also, die Diskussion über die möglichen Folgen des Klimawandels sei eine ideologische und keine wissenschaftliche.
„Die Öffentlichkeit hat eine objektiver geführte Debatte über die Klima- und Energiepolitik verdient“, fordert das Papier. Und formuliert dann etwas, was sehr zu denken gibt: „Die Freiheit der Forschung und Lehre ist zu respektieren. Klimaforschung darf nicht zu einer Glaubensfrage werden und auch nicht zu einer Arena ideologischer Auseinandersetzungen.“
Man kann das ganze Papier so durchgehen. Überall ist es gespickt mit solchen Stellen, die etwas unterstellen, was nicht weiter begründet wird. Der letzte Satz suggeriert zum Beispiel, Klimaforschung sei eine Glaubensfrage und nicht die Sammlung von Daten und Fakten. Man redet von Wissenschaft, unterstellt den Forschern aber, sie würden nicht forschen, sondern glauben.
Dabei leugnen die Zehn, wie sie behaupten, den Klimawandel nicht.
Und etliche Journalisten meinten, aus dem Papier herauslesen zu können, die Zehn würden der Bundeskanzlerin einfach die positiven Folgen einer Klimaerwärmung andienen wollen und deshalb die fossilen Energien weiter pampern und das EEG-Gesetz beerdigen zu wollen. Denn nichts weniger fordert das Papier.
Wobei das alles nicht neu ist. Arnold Vaatz hat schon 2012 die Energiewende zu einem „sinnlosen Experiment“ erklärt – während er gleichzeitig gegen den Atomausstieg wetterte.
Aber dass die Zehn es wissenschaftlich überhaupt nicht ernst meinen, wird schon bei Punkt 2 („Mehr Einordnung“) deutlich, wo sie formulieren: „Der Treibhauseffekt und der natürliche Kohlenstoffkreislauf sind unerlässliche Bestandteile des Lebens. Das Klima hat sich immer gewandelt. Deshalb gibt es auch keine Leugnung eines Klimawandels. In der Erdgeschichte haben sich Eis- und Warmzeiten abgewechselt. Klimageschichtlich hat es sowohl mehr als auch weniger starke Eismassen als heute gegeben. Auch der Meeresspiegel war klima- und erdgeschichtlich nie konstant.“
Stimmt alles, hat nur ein Problem: Was jetzt an Temperaturanstieg auf die Menschheit zukommt, und seien es nur 1,5 bis 2 Grad mehr, hat die menschliche Zivilisation in den vergangenen 10.000 Jahren nicht erlebt. Es geht nicht darum, dass irgendwie eine heiße Phase überlebt wird, sondern dass unsere sämtlichen technischen Strukturen auf so einen Temperaturanstieg und die damit einhergehenden Folgen nicht eingerichtet sind. Und dass wir wohl auch nicht die Ressourcen haben, das zu bewältigen, wenn dutzende Millionenstädte an den Küsten überflutet werden und weite Landstriche verdorren und ganze Bevölkerungen zur Wanderung gezwungen werden, weil sie sonst verhungern oder verdursten.
Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder wissen die Zehn wirklich nicht, was das bedeutet und sind völlig ahnungslos. Dann gehören sie nicht in dieses Parlament, denn so viel Ahnungslosigkeit ist tödlich. Oder sie wissen es.
Dann ist das ganze Papier eine systematische Lüge.
Scrollen Sie im unten verlinkten Wikipedia-Beitrag zur Klimageschichte einfach bis zum Punkt „Klimaproxys und Messmethoden“. Da finden Sie die Temperaturentwicklung für die letzten 500 Millionen Jahre. Nur die letzten 10.000 Jahre waren klimatisch so stabil, dass sich eine komplexe menschliche Zivilisation herausbilden konnte. Die vielen Jahrmillionen davor hatten zum Teil Temperaturverläufe, die unsere heutige Zivilisation nie und nimmer überlebt hätte.
Was die Tabelle natürlich nicht abbildet, ist die Tatsache, dass dabei gewaltige Landmassen teilweise unter riesigen Eisschilden verschwanden oder sich das Innere der Kontinente in riesige Wüsten verwandelte, die Meeresspiegel zum Teil drastisch anstiegen und dabei auch wieder riesige Landmassen in Meer verwandelten.
Die „Klimaskeptiker“ versuchen immer wieder so zu tun, als sei das völlig normal. Für die Erdgeschichte war es das auch.
Einige dieser heftigen Klimaveränderungen führten zu gewaltigen Massenaussterben: Sieben große Massensterben haben die Forscher allein in den vergangenen 500 Millionen Jahren ausgemacht. Die achte war dann das Aussterben der Megafauna nach Ende der letzten Eiszeit vor 15.000 bis 10.000 Jahren. Und die Biologen warnen zu Recht: Die jetzigen Veränderungen – auch durch den permanenten Urbanisierungsdruck der Menschen – haben gerade das Massenaussterben Nr. 9 eingeleitet.
Wobei noch völlig unklar ist, was das für Folgen für die Sicherung der menschlichen Ernährung haben wird.
Die 1,5 bis 2 Grad Temperatursteigerung, die Klimatologen gerade so noch für aushaltbar für die menschliche Zivilisation erachten, hat es in der gesamten Zivilisationsgeschichte der letzten 10.000 Jahre nicht gegeben. Da kommt also etwas auf uns zu, das die Menschheit so noch nicht erlebt hat und bewältigen muss. Kluge Menschen bauen vor, versuchen die schlimmsten Folgen zu mindern.
Und diese Truppe der Unbelehrbaren glaubt, diesen Höllentanz auch noch feiern zu müssen.
„Somit sind die mit dem Schmelzen des polaren Meereises verbundenen Chancen (eisfreie Nordpassage, neue Fischfangmöglichkeiten, Rohstoffabbau) vermutlich sogar größer als mögliche negative ökologische Effekte. Trotzdem wird das Phänomen medial momentan zu Klimaangstmache benutzt“, orakeln die Zehn.
Über die ziemlich sicheren „negativen ökologischen Effekte“ haben sie sichtlich nicht mal nachgedacht.
Das sollten sie aber baldigst tun. Denn während ihre Schiffe durch die Nordpassage schippern und (aufgrund der Meereserwärmung und der Überfischung) keine Fische mehr antreffen, saufen die meisten Hafenstädte ab.
Eigentlich ist es nur alarmierend, wie viel Unwissenheit sich in diesem „Berliner Kreis“ versammelt hat. Überraschend ist es nicht. Die sächsische CDU macht seit Jahren ja nichts anderes als eine unbelehrbare Lobbypolitik für die Kohlekonzerne. Und sie glaubt mit naiver Sturheit an die Heilkräfte des „freien Wettbewerbs“ (und verteufelt deshalb das EEG). Dass der „freie Wettbewerb“ dafür sorgt, dass Kohlekonzerne ziemlich bald nicht mehr konkurrenzfähig sind, das will diesem Häuflein wirklich nicht einleuchten.
Aber die „Zeit“ vermutet auch, hinter dem Papier verberge sich „ein neuer Angriff gegen Merkel“. Die Unionsparlamentarier zeigen dann, dass sie es genau wie die politische Konkurrenz gut beherrschen, die eigene Parteivorsitzende zu schädigen.
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