Am Donnerstag, 18. Mai, wurde der Abschlussbericht des Forschungsprojekts โ€žUrsachen und Hintergrรผnde fรผr Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und fremdenfeindlich motivierte รœbergriffe in Ostdeutschland sowie die Ballung in einzelnen ostdeutschen Regionenโ€œ durch das Gรถttinger Institut fรผr Demokratieforschung verรถffentlicht. Natรผrlich kam Sachsen drin vor. Die Region um Dresden war einer der Forschungsschwerpunkte.

Wer aber erwartet hatte, dass nun wieder eine Studie den Rechtsextremismus als spezifisch ostdeutsches Problem sieht, der sieht sich eines Besseren belehrt. Denn Rechtsextremismus ist kein zwangslรคufiges Produkt von DDR-Verhรคltnissen. So schรถn billig die Erklรคrung immer wieder klingt.

Es ist auch kein zwangslรคufiges Ergebnis von โ€žsozialer Deprivationโ€œ, wie es so schรถn heiรŸt, obwohl rechtsextreme Ansichten direkt mit niedrigen Einkommen und geringem Bildungsstand korrelieren. Es bedeutet nur, dass Menschen mit geringem Bildungsniveau besonders anfรคllig sind fรผr rechtsextreme Ansichten und Haltungen.

Aber warum kam es gerade in sรคchsischen Stรคdten wie Freiberg und Heidenau zu derart gehรคuften รœbergriffen? Was ja selbst fรผr AuรŸenstehende unรผbersehbar war: Die medienwirksamen รœbergriffe auf Flรผchtlinge und ihre Unterkรผnfte konzentrierten sich extrem stark in Ostsachsen. Und wo man der Tรคter habhaft werden konnte, entstammten sie allesamt einem rechtsradikalen Milieu. Und die Fernsehbilder zeigten noch eines: Diese Akteure fanden einen starken Rรผckhalt in der Bevรถlkerung.

Tatsรคchlich bestรคtigte sich, was eigentlich seit Jahren zum Wissensbestand der Demokratie gehรถrt: Rechtsextreme Ansichten greifen รผberall dort Raum, wo sich die Zivilgesellschaft wegduckt. Die Studie bestรคtigt tatsรคchlich, worรผber in Sachsen seit 1990 immer wieder diskutiert wird: Dass der Ansatz der regierenden CDU, das Problem zu ignorieren, schlichtweg falsch war. Regelrecht zugespitzt in Kurt Biedenkopfs Aussage, seine Sachsen seien keine Nazis.

Gerade dieses ganz amtliche Wegschauen, verstรคrkt durch den Abbau von Polizeieinheiten, die sich speziell um die rechtsextremen Netzwerke kรผmmern sollten (Stichwort: Soko Rex), sorgte fรผr eine zunehmende Entmutigung รผberall dort, wo sich auch die gewรคhlten Bรผrgermeister alleingelassen sahen mit einer zunehmend aggressiver auftretenden rechtsradikalen Szene.

Das alles begann ja nicht mit Heidenau oder Bautzen. Das tobte sich vorher schon auf Provinzvolksfesten aus, fรผhrte zu regelrechten Jagden auf Auslรคnder und Andersdenkende. Viele Bรผrgermeister und Stadtrรคte duckten sich weg, schwiegen zur zunehmenden Meinungshoheit rechtsradikaler Gruppen in ihren Stรคdten. Was 2015 hochkochte, war schon lange vorher angelegt als ein Gemisch aus Vorurteilen, Drohungen, Einschรผchterungen und echter Angst. Was รผbrigens ein Treibstoff war und ist fรผr die permanente Abwanderung junger Menschen aus den lรคndlichen Regionen.

Im Bericht zur Studie heiรŸt es nun: โ€žAuch wenn es banal klingen mag: Hier kann man sehr gut studieren, wie sehr es im Kampf gegen Rechtsextremismus auf das Verhalten einzelner VertreterInnen der lokalen politischen Elite ankommt. Nicht zuletzt der Blick in ostdeutsche Kommunen wie Jena und Leipzig zeigt, dass die Haltung der lokalen politischen Elite, bei allen Klagen รผber den Rรผckgang politischer Durchdringung gesellschaftlicher Debatten und รผber den Bedeutungsverlust von Parteien und PolitikerInnen, eine entscheidende Rolle bezรผglich des รถffentlichen Umgangs mit fremdenfeindlichen und rechtsextremistischen Manifestationen spielt. Kurz: Das beschriebene Problem mag ein vornehmlich ostdeutsches sein, seine Lรถsung aber liegt vor Ort und ist nicht unbedingt durch einen โ€šproblematischen ostdeutschen รœberhangโ€˜ verstellt.โ€œ

Oder noch etwas deutlicher: Es ist genau dieses Zurรผckweichen vor der elementaren politischen Auseinandersetzung mit dem Problem, das den Rechtsradikalen in (Ost-)Sachsen erst die Rรคume verschaffte, in denen sie Meinungshoheit erlangen konnten und vor allem die Atmosphรคre ganzer Regionen deutlich verรคnderten.

Stattdessen verwendete Sachsens Regierung jede Menge Kraft darauf, die โ€žLinksextremenโ€œ im Land zu bekรคmpfen und anzuprangern. Was dann mit der auch von der Studie kritisierten Zwei-Extremismen-Theorie zusammenhรคngt, die so schรถn โ€žausgleichendโ€œ wirkt, obwohl sie vor allem ein Ergebnis hatte: Dass der Rechtsextremismus in Sachsen mindestens bis 2011 vรถllig unterschรคtzt wurde. Und bis heute tun sich gerade die Ermittlungsinstanzen und die Justiz schwer, diese gewaltbereite Bedrohung von rechts wirklich ernst zu nehmen.

Was wieder mit einem anderen Thema zu tun hat, das die Autoren der Studie sehr ernst nehmen: der politischen Bildung.

Sie attestieren weiten Teilen von Verwaltung und Justiz geradezu eine apolitische Haltung. Was schon verblรผfft, wo doch die jรคhrlichen Berichte des Landesamtes fรผr Verfassungsschutz mit Zahlen zu rechts- und linksextremistischen Taten nur so protzen. Da wรผrde man ja eigentlich eine Landesverwaltung erwarten, die in Fragen von Demokratie sehr sensibilisiert ist.

Doch die sogenannte โ€žWendeโ€œ in Sachsen mรผndete eben nicht in eine Sensibilisierung fรผr politische Haltungen, sondern in eine Art Dauerschlaf, eine Nicht-Haltung, die eben leider auch eine Haltung ist, denn sie ist die blanke Hilflosigkeit gegenรผber wirklich aggressiven politischen Strรถmungen.

Aber das Thema war ja auch in den Schulen vรถllig unterbelichtet. Auch das erwรคhnt die Studie: โ€žIn Sachsen ist zudem aus Sicht der interviewten ExpertInnen ein Mangel an praktischer politischer Bildung eine wesentliche Ursache nicht nur fรผr die Anfรคlligkeit vieler Menschen fรผr fremdenfeindliche Einstellungen, sondern vor allem fรผr die mangelnde Bereitschaft, gegen rechtsextreme Gelรคndegewinne Widerstand zu leisten. Dabei handelt es sich (etwa im Vergleich zu den ethnonationalistischen Erblasten der DDR und dem Problemkomplex der fraternalen relativen  Deprivation) um eines der wenigen Probleme, die (mit etwas politischem Willen) relativ leicht zu beheben wรคren.โ€œ

Die immer CDU-gefรผhrten Kultusministerien scheuten geradezu davor zurรผck, die politische Bildung in den Schulen markant und nachhaltig zu verankern. Als wenn die jungen Menschen irgendwie im Nebel ganz von allein zu gut gebildeten Republikanern und Demokraten werden wรผrden. Aber schon die zahllosen Affรคren um die โ€žSchulhof-CDโ€œ der NPD zeigten, dass gerade die Rechtsextremen in Sachsen ihren Nachwuchs rekrutierten, wo immer sie ihn fanden.

Der Boden war also bereitet, als 2015 die Flรผchtlinge nach Sachsen kamen.

Und die Autoren verweisen zu Recht auf Leipzig und die dort seit Jahren aktive Zivilgesellschaft, die sich immer gegen die diversen Auftritte der Rechtsextremen positionierte (und immer wieder auch von konservativen Politikern dafรผr in Misskredit gebracht wurde). Die Studie bestรคtigt, dass eine Demokratie, die รผberleben will, aktiv sein und sich gegen die Angriffe der Rechtsradikalen wehren muss. Wo die Zivilgesellschaft schweigt und sich wegduckt, hat sie schon verloren, haben ihre Akteure nicht begriffen, dass alle rechtsradikalen VorstรถรŸe immer auf die Abschaffung der Demokratie zielen.

Und das gilt in den Nestern und Stรคdten Sachsens genau wie in Bayern oder Meck-Pomm. Das ist tatsรคchlich kein genuin sรคchsisches oder ostdeutsches Problem.

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Ich hab heut ja schon einige Artikel รผber diese Studie gelesen, aber dieser ist mit Abstand der Beste davon.

โ€œUnd das gilt in den Nestern und Stรคdten Sachsens genau wie in Bayern oder Meck-Pomm. Das ist tatsรคchlich kein genuin sรคchsisches oder ostdeutsches Problem.โ€
Das stimmt, da hรคng ich NRW und speziell Dortmund gleich mal mit hintendran. Alles was beschrieben wird, lรคsst sich hier auch wunderbar beobachten.

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