Keine gesetzliche Grundlage, kein extra Geld beantragt – und trotzdem will Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) ab Herbst in Dresden und Leipzig Bodycams bei der Polizei einsetzen. Erstmal zum Test, irgendwie. Aber selbst der Datenschutzbeauftragte spielt da bislang nicht mit.

Aber Markus Ulbig hat sich trotzdem ein Pöstchen im Doppelhaushalt 2017/2018 gesichert, mit dem er seine kuriosen Einfälle zur Polizeiausstattung finanzieren möchte: das Terrorpaket. Mit Terror kann man mittlerweile wirklich jede wilde Idee in Innenministerbüros begründen. Bodycams, wie man sie von amerikanischen Polizisten kennt, stehen ganz oben auf Ulbigs Wunschliste.

Doch im August 2016 betonte er auf die Anfrage von Valentin Lippmann (Grünen-Fraktion) noch: „Die Behörden des Freistaates Sachsen, insbesondere der Polizeivollzugsdienst, nutzen sogenannte BodyCams nicht und haben diese bisher auch nicht erworben. Eine Rechtsgrundlage im Sächsischen Polizeigesetz (SächsPolG), die Videoaufnahmen zur Eigensicherung regelt, besteht nicht.“

Hat er den Landtagsabgeordneten der Grünen nur auf den Arm nehmen wollen? Oder will er jetzt austesten, wie weit er als Minister gehen darf, obwohl Ausrüstungsteile wie Bodycams vom Sächsischen Polizeigesetz nicht gedeckt sind?

Aber am 1. April berichtete die „Freie Presse“ in Chemnitz, die einen besonders guten Draht ins Innenministerium pflegt“ “dass ab Mai bei der Polizei in Dresden und Leipzig 25 Bodycams zum Einsatz kämen.“

Und es war kein Aprilscherz, wie Valentin Lippmann nun auf neuerliche Anfrage erfährt. Auch wenn Ulbig alle Schuld von sich schiebt. Irgendwie passieren im sächsischen Polizeiapparat lauter Dinge, für die der Innenminister überhaupt nichts kann.

Mit Ulbigs Worten: „Die sächsische Polizei beabsichtigt, den Einsatz von Körperkameras im Rahmen eines Pilotprojektes in den Polizeidirektionen Dresden und Leipzig für die Dauer von einem Jahr zu erproben. Die Erprobung soll im III. Quartal dieses Jahres beginnen. Im Regelfall soll der jeweilige Träger der Kamera unter Berücksichtigung rechtlicher Voraussetzungen über den Beginn und die Dauer der Aufnahme entscheiden.“

Und dann wird es ganz vertrackt. Denn nachdem ihm Ulbig noch im August versichert hatte, dass der Einsatz von Bodycams durch das Sächsische Polizeigesetz nicht gedeckt sei, meint er nun, das sei doch der Fall.

„Der vom Pilotprojekt intendierte präventive Einsatz von Körperkameras an gefährlichen Orten bzw. in gefährdeten Objekten findet seine Rechtsgrundlage in § 37 Absatz 2 in Verbindung mit § 19 Absatz 1 Nummer 2 und Nummer 3 des Polizeigesetzes des Freistaates Sachsen (SächsPolG). Darüber hinaus kann der Einsatz von Körperkameras auch auf andere Videoaufzeichnungen erlaubende datenschutzrechtliche Normen (§ 37 Absatz 1 SächsPolG, § 12 Absatz 1 und § 20 Absatz 1 des Sächsischen Versammlungsgesetzes, §§ 81b, 100h, 163 der Strafprozessordnung [gegebenenfalls in Verbindung mit § 53 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten]) gestützt werden, sofern der jeweilige Tatbestand im Rahmen des Einsatzes ebenfalls erfüllt ist.“

Von welchem Tatbestand er da redet, verrät er nicht.

Aber § 37 im Sächsischen Polizeigesetz befasst sich mit „Erhebung von Daten bei öffentlichen Veranstaltungen, Ansammlungen und besonders gefährdeten Objekten“, was schon einmal seltsam ist, denn anschaffen will Ulbig die Kameras ja aus seinem extra verkündeten Paket zur Terrorbekämpfung, aus dem er auch gepanzerte Polizeifahrzeuge, stichsichere Westen und Helme für die Polizei kauft. Nun aber sollen die Bodycams die sowieso schon eingesetzte Aufzeichnungstechnik bei Demonstrationen ergänzen. Das passt alles nicht zueinander.

Mit Terrorbekämpfung hat das jedenfalls nichts zu tun. Selbst dann nicht, wenn man den Passus zu den „gefährlichen Orten“ zu Rate zieht, womit ja auch die diversen „an gefährlichen Orten“ eingerichteten Sperr- und Kontrollbezirke gemeint sein können.

Aber hindern kann ihn augenscheinlich derzeit nur der sächsische Datenschutzbeauftragte. Denn ganz bestimmt klärt das Sächsische Polizeigesetz an keiner Stelle, ob Polizisten zur Identitätsfeststellung Kameras an ihrer Ausrüstung mit sich führen dürfen.

Logisch, dass der Datenschutzbeauftragte etwas länger prüft.

Markus Ulbig: „Gegenwärtig dauert die Abstimmung über das Vorhaben mit dem Sächsischen Datenschutzbeauftragten noch an, so dass dem Parlament keine konkrete Entscheidung des Sächsischen Datenschutzbeauftragten vorgetragen werden kann.“

Womit dann der Mai-Termin schon einmal hinfällig ist. Ohne Grund wird die „Freie Presse“ diesen Termin nicht genannt haben.

Und noch ein kleines Hindernis gibt es: Der Innenminister weiß noch gar nicht, was für Kameras er da einkaufen will. Ulbig: „Weitere Auskünfte können nicht erteilt werden, da das Vergabeverfahren (öffentliche Ausschreibung) zur Beschaffung der Körperkameras noch nicht abgeschlossen ist. Informationen zu Vergabeverfahren sind gemäß § 12 Absatz 4 und § 14 Absatz 3 Vergabe und Vertragsordnung für Leistungen – Teil A (VOUA) vertraulich zu behandeln.“

Könnte ja einer auf die Idee kommen, der Firma ein paar Fragen zu stellen, die Sachsen mit ein paar hübschen Körperkameras bei der Demo-Beobachtung – Quatsch: Terrorbekämpfung – helfen will.

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