LEIPZIGER ZEITUNG/Auszug aus Ausgabe 43Und wieder knapp vorbei: Auch im dritten Jahr des Bestehens ist es Pegida nicht gelungen, als „extremistische Organisation“ in den Verfassungsschutzbericht des Freistaates Sachsen von 2016 aufgenommen zu werden. Aber für eine Erwähnung reichte es schon mal. Die Volksbewegung des Intensivstraftäters Lutz Bachmann sei kein „Beobachtungsobjekt“, da „in der Gesamtschau keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche Bestrebung vorliegen“, heißt es im aktuellen Bericht.
Sollte Pegida die eigenen Anstrengungen verstärken, könnte es aber irgendwann doch noch klappen: „Grundsätzlich bieten sowohl Intention als auch Rhetorik von Pegida ideologische Anknüpfungspunkte für Rechtsextremisten.“ Mit noch mehr zweideutigen Hashtags auf den Facebookseiten, noch lauteren „Volksverräter“-Rufen auf den Demonstrationen, noch mehr Angriffen auf Journalisten und Protestierende sowie generell noch mehr Hass und Hetze scheint ein Aufstieg in die erste Liga deutscher Rechtsextremisten weiterhin möglich.
Das Jahr 2017 hat ja noch ein paar Monate, dann folgt die nächste Einschätzung der Verfassungsschützer. Welche auch die Beteiligung der eigentlich von ihnen beobachteten „Identitären Bewegung“ (IB) bei Pegida-Aufläufen und die gemeinsamen Auftritte von Bachmann und Martin Sellner (IB Österreich) bei einer „Compact“-Konferenz im Jahr 2016 nicht als offen angekündigte Kooperation erkennen konnten.
Ebenfalls ohne Erfolg in der Bewerbung um einen Beobachtungsplatz blieben die Bemühungen des mittlerweile deutlich leiser gewordenen Pegida-Ablegers in Leipzig. Zwar bescheinigt der Verfassungsschutz Legida, dass „es wiederholt zur offenen Kooperation mit bekannten Rechtsextremisten“, darunter überregional bekannte Neonazis, gekommen sei, die jeweils ohne nachträgliche Distanzierung geblieben ist. Doch reichte auch dies nicht, um zum Beobachtungsobjekt zu werden.
Daran dürfte sich auch nichts mehr ändern, da Legida zu Beginn dieses Jahres unter offizieller Ankündigung durch den Leipziger Rechtsanwalt Arndt Hohnstädter den Straßendienst am Volk eingestellt hat. Und nur noch, wie viele andere AfD-nahe Seiten, einschlägige Medienberichte auf Facebook teilt, Wahlwerbung für „die Blauen“ macht und zuletzt zur Wahl von Marine Le Pen aufrief.
Einen großen Erfolg konnte hingegen der ehemals für die NPD aktive und heute parteilose Stadtrat Enrico Böhm feiern. Nicht nur war es ihm Ende 2015 trotz einschlägiger Vorstrafen gelungen, nach einem Angriff auf eine Radfahrerin dank einer „positiven Sozialprognose“ von einer Gefängnisstrafe verschont zu bleiben. Er bestätigte im folgenden Jahr auch die Einschätzung des Richters nicht, indem er sich gleich im ersten Anlauf mit seiner neonazistischen Facebook-„Bürgerbewegung“ namens „Wir für Leipzig“ einen Platz im sächsischen Verfassungsschutzbericht sicherte.
Anonym natürlich, auf Nachfragen gibt der Stadtrat zwar an, an der Seite beteiligt zu sein – natürlich aber getreu dem Motto „Millionen stehen hinter mir …“ nicht nur er allein. So funktioniert offenbar gesellschaftliche Integration in Sachsen ganz rechts außen.
Wer ist noch prominent geworden?
Auch andere Leipziger zeigten sich sehr engagiert, etwa Silvio Rösler, der ehemalige Legida-Führer, der als Hauptakteur des „Weißen Raben“ genannt wird. Er versammelte seine Gesinnungsgenossen – darunter Kameraden der Neonaziparteien „Die Rechte“ und „Der III. Weg“ – regelmäßig an sogenannten Stammtischen und zielte damit laut Verfassungsschützer auf die „Schaffung politischer Handlungsmacht durch die Verbindung möglichst vieler verschiedener politischer Akteure“.
Bliebe noch Alexander Kurth zu nennen. Der ehemalige Vorsitzende des sächsischen Landesverbandes der „Rechten“ geht seit dem vergangenen Jahr regelmäßig mit „Wir lieben Sachsen/Thügida“ auf Tour durch die ostdeutschen Bundesländer. Der sächsische Verfassungsschutz bescheinigt Kurth „vielfältige Aktivitäten“ und eine „nicht zu unterschätzende Rolle bei der länderübergreifenden Vernetzung von Rechtsextremisten“.
Ob Böhm, Rösler oder Kurth – das 2016 wegweisende Event haben sie allesamt verpasst: „Circa 250 Personen, darunter ein hoher Anteil an Subkulturellen, führten eine Versammlung im Leipziger Stadtteil Connewitz durch.“ Während die malerische Umschreibung „Subkulturelle“ Tatverdächtige aus dem gewaltbereiten Umfeld der Fußballclubs Dynamo Dresden, dem Halleschen FC und Lokomotive Leipzig meint, ist mit „Versammlung“ jene Verwüstungsorgie in den Abendstunden des 11. Januar 2016 in der Wolfgang-Heinze Straße gemeint, welche in 215 Strafverfahren wegen schweren Landfriedensbruchs mündete.
In den Worten des Verfassungsschutzes, welcher zumindest attestiert, dass es irgendwie nicht friedlich verlief: „Dabei kam es zu Sachbeschädigungen.“ Eine schöne Darstellung für die Ereignisse, in deren Verlauf unter anderem ein Sprengkörper einen kompletten Döner-Imbiss zerlegte und nun sogar zu Ermittlungen der Generalstaatsanwaltschaft in Dresden gegen mindestens zehn Beteiligte wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung führte.
Dass es „nur“ zu Sachbeschädigungen kam, liegt nach Informationen der LZ auch nur daran, weil die Schlägertruppe an diesem Abend irgendwie falsche Informationen hatte und ihre vermeintlichen politischen Gegner von der AntiFa nicht zu fassen bekamen. Geplant war also am 11. Januar 2016 am Rand der damaligen Legida-Demonstration in Leipzig eher eine Art zentral koordinierte Vergeltungsaktion mit dem Ziel, Menschen zu attackieren.
Der Feind steht links
Werfen wir einen Blick auf die andere Seite: Zahlreiche Gruppen, die sich selbst als antifaschistisch, antirassistisch, feministisch oder antikapitalistisch bezeichnen, haben es aufgrund ihres unerhörten Verhaltens ebenfalls in den Bericht geschafft. Neu dabei sind unter anderem die „New Kids Antifa Leipzig“, die gemeinsam mit ihren aktuell sieben Facebook-Fans wohl kurz vor einem Staatsstreich stehen.
Aber auch alte Bekannte wie die Gruppen „Prisma“ oder „The Future Is Unwritten“ sind wieder mit von der Partie. Letztere hatten es beispielsweise gewagt, im Juli 2016 eine Rede zum Thema „Völkischer Nationalismus und rechter Vormarsch“ zu halten und darin Kritik am Leipziger Einheitsdenkmal und bundesdeutschen Asylrechtsverschärfungen zu üben. Zudem hatte die Gruppe unter anderem zu Protesten gegen den ersten Legida-Geburtstag und die „Imperium Fighting Championship“ aufgerufen.
Dass letztere Veranstaltung laut LZ-Informationen bereits im Fokus der Ermittlungsbehörden des Deliktbereiches organisierte Kriminalität steht, sollte das Engagement der Gegendemonstranten zwar eher als positives Frühwarnsystem erscheinen lassen – doch mittlerweile scheint sogar die normale Polizei trotz Unterbesetzung in Sachsen schneller als der vermeintliche Geheimdienst zu sein.
Die Gruppe „Prisma“ wiederum erdreistete sich, im Nachgang zu der erfolgreich durchgeführten „Versammlung“ der 250 Randalierer in Connewitz dezente Kritik am Polizeieinsatz zu äußern. Auf ihrem Blog schrieb die Gruppe damals: „Auf das Treiben der Staatsapparate ist kein Verlass. Gegen den rechten Straßenterror hilft nur ein gesellschaftlicher Antifaschismus – von der Kerze über die Sitzblockade bis zum militanten Selbstschutz.“ Laut Verfassungsschutz stellt „Prisma“ damit den „demokratischen Rechtsstaat infrage“.
Eher wohl die Arbeit des Verfassungsschutzes selbst, welcher im Vorfeld der Zusammenrottung mal wieder keinerlei Erkenntnisse für die Polizei hatte, welche durch eine rasche Verlagerung von Einheiten von der innenstädtischen Legida-Versammlung zur Heinze-Straße noch Schlimmeres verhindern konnte. Statt selbstkritisch einzuräumen, dass die Schlapphüte mehr als einmal den Überblick am rechtsextremen Rand verloren haben, schreibt der Geheimdienst demnach lieber gegen seine Kritiker an. Die falsche Zuweisung des Buttersäureanschlages auf die Wohnung des sächsischen Justizministers Sebastian Gemkow (CDU) durch den sächsischen Verfassungsschutz in die linksextreme Szene ist nach dem deutschlandweiten Bekanntwerden der rechtsextremen Tat längst Legende.
Gefahr Gentrifizierung mit der Geheimdienstbrille
Glücklicherweise hat der Verfassungsschutz dabei auch stets ein wachsames Auge auf aktuelle Bestrebungen insbesondere in Leipzig und sucht weitere Beobachtungsfelder. So sieht die Behörde beispielsweise eine „zunehmende Bedeutung des Themenfeldes ‚Gentrifizierung‘, welches die Möglichkeit von dauerhaften Bündnissen zwischen Linksextremisten und Nichtextremisten eröffnet“. Ein Beispiel hierfür sei die Social-Center-Kampagne, in welcher verschiedene Gruppierungen sich 2016 mit ausschließlich friedlichen Besetzungsaktionen für ein Begegnungshaus zwischen Flüchtlingen und Leipzigern stark machten.
Hier widmen die Autoren des Berichtes – trotz Gespräche bis in die Leipziger Verwaltungsspitze hinein – diesen Umtrieben sogleich zwei Seiten. Also anderthalb mehr Raum als beispielsweise der Befassung mit den Legida-Strukturen.
Fazit: Der sächsische Verfassungsschutz nimmt sich offenbar ein gutes Beispiel an früheren Fehlschlägen der Bundesanwaltschaft. Diese hatte vor zehn Jahren den Stadtsoziologen Andrej Holm festnehmen lassen, weil sie vermutete, dass er Mitglied in einer terroristischen Vereinigung sein könnte. Diese Annahme hatte sich offenbar ergeben, da Holm in seinen wissenschaftlichen Arbeiten ein höchst verdächtiges Wort verwendete, das auch in anonymen Bekennerschreiben auftauchte: Gentrifizierung.
Die aktuelle Ausgabe der LEIPZIGER ZEITUNG, seit 19. Mai in Leipzig zu kaufen
Leipziger Zeitung Nr. 43: Leipzig zwischen Wissen und Glauben
Keine Kommentare bisher