Wenn zutrifft, was Kerstin Köditz im zweiten NSU-Untersuchungsausschuss des Sächsischen Landtages herausgehört hat, dann hätte der gerade abgetauchten Terrorzelle von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe schon frühzeitig das Handwerk gelegt werden können. Denn einen möglichen Waffenlieferanten kannte man wohl schon im Jahr 2000. Und keine Überraschung: Es war ein V-Mann.

Nur dass diese Sitzung jetzt nicht den Verfassungsschutz als Arbeitsverweigerer zeigte, sondern das Landeskriminalamt.

Befragt wurde am Montag, 15. Mai, als Zeuge Volker Lange. Lange, inzwischen Kripo-Chef in Dresden, war um das Jahr 2000 Referatsleiter im Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) und dort für die Suche nach dem abgetauchten Jenaer „Trio“ zuständig, wenige Monate, bevor die Česká-Mordserie begann. Auf Fragen von Kerstin Köditz, Sprecherin für antifaschistische Politik der Fraktion Die Linke im Landtag, bestätigte der Spitzenbeamte nun, dass ihm im Mai 2000 ein in der rechten Szene Ostsachsens aktiver Mann einen Koffer übergab, der mehrere scharfe Schusswaffen und Munition enthielt. Der Mann diente dem Verfassungsschutz als geheime „Quelle“ und war anscheinend aus dem Ruder gelaufen – denn den Angaben Langes zufolge habe es einen amtlichen Auftrag, Waffen zu besorgen, nicht gegeben. Vielmehr habe man die Waffen, nachdem sich die Quelle offenbart hatte, eingezogen und zum LKA gebracht.

„Was wir jetzt durch langes Nachbohren erfahren haben, könnte eine neue Spur im NSU-Komplex sein“, sagt Köditz. „Weitgehend im Dunkeln liegt bis heute, wie Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe an ihr umfangreiches Arsenal mit mehr als 20 Schusswaffen kamen. Doch schon Anfang der 2000er Jahre wussten Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) und Landeskriminalamt (LKA), dass die rechte Szene Zugang zu tödlichen Waffen hat. Damals nämlich besorgte ausgerechnet ein V-Mann Schusswaffen.“

Woher die Waffen ursprünglich kamen, wurde jedoch niemals aufgeklärt.

„Nach Angaben Langes sei er dazu vom LKA Sachsen, das die Ermittlungen führte, nicht einmal gefragt worden“, stellt Köditz nach dieser Sitzung des Untersuchungsausschusses verwundert fest. Da taucht ein Koffer mit Waffen auf und das Landeskriminalamt hat dazu nicht mal Fragen, will auch gar nicht wissen, woher diese Waffen stammten.

Oder hat Lange nicht alles erzählt?

Köditz hat da so ihre Zweifel: „Seiner Erinnerung zufolge habe das LfV womöglich eh keine weiteren Details gekannt – eine Behauptung, die noch zu beweisen wären. Brisant allemal: Der Waffenkoffer enthielt eine Pistole der Marke Česká und tauchte auf, kurz nachdem die von Lange mitverantwortete Operation ‚Terzett‘ angerollt war, mit der das LfV das damals in Chemnitz untergetauchte ‚Trio‘ finden wollte. Mögliche Querverbindungen seien jedoch nicht geprüft worden, so Lange, denn dafür habe es ‚keine Veranlassung‘ gegeben.“

Was schon verblüfft, vor allem, weil 2012 im ersten NSU-Untersuchungsausschuss schon ausführlich über die Operation „Terzett“ gesprochen wurde, die wohl auch deshalb ohne Ergebnis blieb, weil andere Behörden nicht kooperierten. Dabei hatte man das Chemnitzer Netzwerk, das den dreien beim Abtauchen half, sehr wohl im Visier.

Dass auch sechs Jahre nach Auffliegen der Terrorzelle neue Details bekannt werden, die das Nicht-Funktionieren der staatlichen Ermittlungen belegen, wirft eine Menge Fragen auf. Und es kann eigentlich nur zwei mögliche Erklärungen für dieses „Versagen“ geben.

  1. Eine staatliche Ignoranz den zunehmend radikalisierten rechten Netzwerken in Sachsen gegenüber (in diesem Fall ganz konkret „Blood and Honour“), was deren feste Verwurzelung in Sachsen erst ermöglichte.

Oder 2. eine ganz bewusste Verhinderung aller wirklich zielführenden Ermittlungen im Umfeld des NSU.

Kerstin Köditz hält sich bei der Urteilsfindung noch zurück: „Wir werden das einstweilen nicht bewerten, sondern der Sache weiter nachgehen. Der V-Mann mit dem Waffenkoffer wurde 2002 wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz zu einer geringen Bewährungsstrafe verurteilt. Weder LfV, noch LKA machten den Untersuchungsausschuss auf die dubiosen Vorgänge aufmerksam.“

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