Wenn Politiker ihren Bürgern nicht vertrauen, dann schreiben sie „Sicherheit und Ordnung“ nicht nur groß, sondern setzen Millionen Euro an Steuermitteln auch dazu ein, möglichst viele Bürger zu überwachen und über möglichst viele Bürger möglichst viele Daten zu sammeln. Wer sich jetzt an die NSA erinnert fühlt, der liegt daneben. Auch in Sachsen lebt der Überwachungswahn. Da geraten auch schon mal Anwälte und Journalisten in die Schleppnetze.
Das war schon mehrfach Thema – auch im Landtag. Schon 2011 haben Sachsens Behörden demonstriert, wie systematisch man Daten sammeln kann, wenn man sich nur den nötigen Vorwand schafft – etwa für flächendeckende Funkzellenabfragen wie bei den Februardemonstrationen 2011 in Dresden. Immer mehr wirkt dieser „Ausrutscher“ wie ein organisierter Test, bei dem mal die Grenzen des schon Möglichen ausprobiert wurden – bis hin zur gerichtlichen Verwendung dieser Daten, bei der dann auch aus völlig friedlichen Aktionen schnell mal staatsgefährdende Übergriffe konstruiert wurden. Ein Vorgehen, das in weiten Teilen bis heute nicht aufgeklärt ist.
Seitdem tauchen immer wieder justiziable Fälle auf, in denen in einem geradezu verblüffenden Umfang Daten gesammelt wurden.
Einer der jüngsten Fälle: Das Strukturermittlungsverfahren gegen die linke (Fußball-)Szene in Leipzig wegen des Verdachts auf Bildung einer kriminellen Vereinigung. Hier wurde nach der Auskunft der Staatsregierung auch die Telekommunikation mindestens eines Rechtsanwaltes und zweier Journalisten überwacht.
In der Antwort ist zu lesen: „Es ist jedoch bekannt, dass ein Rechtsanwalt als Berufsgeheimnisträger gemäß § 53 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 Strafprozessordnung (StPO) Drittbetroffener war. Darüber hinaus waren zwei Journalisten (§ 53 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 StPO) betroffen.“
Die Daten seien „unverzüglich gelöscht“ worden, teilt die Regierung mit.
„Das Ausmaß der Überwachung wegen offensichtlich haltloser Vorwürfe hat damit eine neue Dimension erreicht. Offensichtlich schrecken sächsische Ermittler in ihrem Verfolgungseifer nicht einmal vor Berufsgeheimnisträgern zurück“, kritisiert Valentin Lippmann, Sprecher für Datenschutz der Grünen-Fraktion im sächsischen Landtag, den Vorgang.
„Auch wenn sich die Ermittlungen nicht direkt gegen den Rechtsanwalt und die Journalisten richteten, so haben die Ermittler auch bei Ermittlungen gegen andere Personen Sorge dafür zu tragen, dass keine Berufsgeheimnisträger von den Überwachungsmaßnahmen betroffen werden. Dass bei der Telekommunikationsüberwachung von 240 Personen auch Berufsgeheimnisträger dabei sein könnten, hätte man prognostizieren können, zumal – wie der Justizminister ausführte – bei jedem der 26 Überwachungsbeschlüsse über 10.000 Datensätze anfallen die knapp 24.000 Seiten umfassen.“
Man geht mit riesigen Schleppnetzen vor, um irgendwie belastende Indizien für Fälle zu sammeln, die sich oft genug schlicht als blauer Rauch entpuppen. Die ganze Ermittlung musste in diesem Fall eingestellt werden, weil sich nicht einmal der Anfangsverdacht erhärtete. Da ist es schon rätselhaft, wie es überhaupt zur Genehmigung einer so umfassenden Telekommunikationsüberwachung kommen konnte. Reicht dazu die gemutmaßte Behauptung, man habe es mit einer „kriminellen Vereinigung“ zu tun, ohne dass überhaupt die nötigen Straftaten vorliegen, die so einen Verdacht überhaupt begründen würden?
„Ich vermute, dass dies nur die Spitze des Eisberges ist“, kommentiert Lippmann die in diesem Fall überhaupt erst einmal offenkundig gewordene Telekommunikationsüberwachung eines Anwalts und zweier Journalisten. Immerhin war das ein Vorgang, der auch medial Wellen schlug, erst recht, als die Ermittlungen wegen sichtlich fehlender Untergründung eingestellt werden mussten. „Wie viele der überwachten Personen tatsächlich Sozialarbeiter, Anwälte, Mandatsträger und sonstige Berufsgeheimnisträger waren, hat der Minister nicht beantwortet. Es ist angesichts des Ausmaßes nicht zu viel verlangt, diese Frage vollständig zu beantworten. Dazu fordere ich den Minister ebenso auf, wie zu der umfassenden Aufarbeitung dieses Überwachungsskandals.“
Dass auch Sozialbetreuer ins Überwachungsnetz geraten sind, hatte kürzlich erst die linke Landtagsabgeordnete Juliane Nagel öffentlich gemacht.
Auf Lippmanns Nachfrage, inwieweit „das Ergebnis der langjährigen Ermittlungen im Bereich des Innen- und Justizministeriums mit Blick auf die große Anzahl durch das Verfahren Betroffener, die Auswahl der Ermittlungsmethoden, Zelt- und Personaleinsatz“ und den Schaden für die demokratische Kultur in Sachsen hin ausgewertet wurde, gab es die lapidare wie erhellende Auskunft der Regierung: „Eine solche Auswertung hat bisher nicht stattgefunden“
Man setzt also systematisch Ermittlungsmethoden ein, die den Verdachtsfällen in der Regel nicht angemessen sind und am Ende auch kaum zu verwertbaren Ergebnisse führen, und nimmt die Tatsache, dass dabei auch eigentlich zu schützende Personen „mit erwischt“ werden, billigend in Kauf.
Das sollte zumindest den Justizminister alarmieren. Da läuft was falsch im Überwachungsstaat.
In eigener Sache: Lokaler Journalismus in Leipzig sucht Unterstützer
In eigener Sache (Stand Mai 2017): 450 Freikäufer und weiter gehts
Keine Kommentare bisher